Will Milliarden-Kosten einfach wegzaubern: Bayern-SPD-Chefin Natascha Kohnen. (Bild: imago/ZUMA Press 842952587)
SPD

Rote Gratis-Mentalität

Kommentar Der öffentliche Nahverkehr soll gratis sein. Das fordern Natascha Kohnen und die Bayern-SPD. In München fallen dann 900 Millionen Euro für Tickets weg. Aber die Kosten für Busse und Bahnen bleiben. Wer dafür zahlen soll? Schweigen im SPD-Wald.

Das ist er, der unschlagbare SPD-Wahlkampfschlager. Natascha Kohnen hat ihn gefunden, den Stein der Weisen, das Ei des Kolumbus. Und lässt alle politischen Mitbewerber ganz schön alt aussehen. Wir müssen es eingestehen: Ihre Forderung elektrisiert uns. „Wir brauchen jetzt den Einstieg in den kostenfreien ÖPNV, nicht erst am Sankt Nimmerleinstag.“ Das hat Kohnen gerufen und im Landtag auf’s Pult gehauen. Damit sattelt sie noch drauf auf die Idee von Ministerpräsident Markus Söder (CSU), der in einigen Jahren ein 365-Euro-Jahres-Ticket einführen will.

Schöner Traum: Busse und Bahnen ohne Kosten

Die Bayern-SPD macht den öffentlichen Personennahverkehr nun aber völlig „kostenfrei“. Ein grandioses Versprechen! Wenn man nur die Sozialdemokraten ans Ruder lässt, gibt es Busse, Trams, U-Bahnen und S-Bahnen völlig ohne Kosten – die Erlösung für Bürgermeister, Kämmerer und Wähler in Bayern. „Völker, hört die Signale …“

Moment: Kohnen weiß also, wie man es macht, dass die Kosten für Busse und Bahnen verschwinden. Aber warum hat sie das nicht längst ihrem Genossen, dem Münchner OB und MVG-Aufsichtsratschef Dieter Reiter verraten? Denn der weiß: 580 U-Bahnwagen, 100 Trambahnen und knapp 400 Busse – das kostet in der Realität echtes Geld.

Und da endet er schon, der Traum von der großen Magierin Kohnen, die Milliarden-Kosten einfach weghext. Zaubern kann sie nur mit Worten. Sie sagt „kostenfrei“, aber sie meint: „gratis“. Die Kosten für Busse und Bahnen bleiben natürlich. Nur zahlen soll sie nicht mehr der Fahrgast, sondern die Stadt, das Land, der Staat, irgendjemand halt. Doch am Schluss ist dieser Jemand immer: der Steuerzahler. So ist sie halt, die SPD-Mentalität.

900 Millionen Euro für Tickets

„Kostenfreien“ ÖPNV gibt es nicht. 900 Millionen Euro hat der Münchner Verkehrsverbund (MVV) im vergangenen Jahr allein durch den Verkauf von Fahrkarten eingenommen. Fast eine Milliarde. Wenn die Kunden für die Tickets gar nichts mehr zahlen, wie sich das Kohnen vorstellt, muss das Geld woanders herkommen. Nur woher? Eine neue kommunale Abgabe? Städtische Steuern auf den Verkauf von Schuhsohlen oder Fahrradschläuchen? Kohnen sagt es uns nicht.

Noch eine Zahl: 5,5 Milliarden Euro hat die Stadt München gerade eingeplant für den Ausbau ihres ÖPNV. Bund, Land und Stadt sollen das in den nächsten Jahren gemeinsam stemmen. Ein großes Projekt für die Hauptstadt, für den Freistaat. Aber Kohnen will München als erstes die Ticket-Einnahmen streichen – über mehrere Jahre hinweg mehrere Milliarden. Schon genial, die bayerische SPD-Chefin.

Ein Euro am Tag

Der ÖPNV soll attraktiver werden. Der Bund denkt darüber nach, wie man das machen könnte. Ministerpräsident Markus Söder ist schon weiter: Er hat das Ziel formuliert, bis zum Jahr 2030 Nahverkehrstickets für einen Euro pro Tag anzubieten. In ganz Bayern. Aber überall sind die ÖPNV-Bedingungen anders – in München anders als in Aschaffenburg oder Nürnberg, in Landshut anders als in Erlangen oder Lindau.

Da gibt es erstmal viel zu planen und sehr viel zu rechnen. Denn am Schluss sollen Busse und Bahnen mindestens so gut fahren wie heute. In ganz Bayern. Das dauert, muss dauern. Der ehemalige Finanzminister weiß das, und er kann rechnen. Natascha Kohnen weiß es und kann es nicht.