Horst Seehofer, war seit Oktober 2008 Parteivorsitzender der CSU. (Foto: Marko Priske/BK)
Seehofer

„Haltung bewährt sich“

Interview Aus dem aktuellen BAYERNKURIER-Magazin: Der CSU-Vorsitzende und Bundesinnenminister Horst Seehofer fordert seine Partei auf, klaren Kurs zu halten, auf die Erfolge in Bayern zu bauen und sich ein Beispiel an Franz Josef Strauß zu nehmen.

Herr Seehofer, war es schon 
jemals so schwer, eine Volkspartei zu führen?

Es war schon immer schwierig. Alle Bevölkerungsgruppen und alle Interessen in einer Partei zu bündeln, war immer eine Herkulesaufgabe – vor allem in den letzten zehn Jahren, in denen ich an der Spitze der Partei stehe. Wir sind eine Partei der Mitte, die auch das demokratische Spektrum rechts der Mitte abdeckt. Dies in der praktischen Politik so abzubilden, dass alle zufrieden sind, war noch nie einfach.

Die CSU von heute deckt eine große Bandbreite ab, sie ist Heimat für die Christlich-Sozialen, die Liberalen und die Konservativen gleichermaßen.

Horst Seehofer

In vielen europäischen Ländern hat sich das Parteiengefüge extrem verändert, etablierte Parteien sind verschwunden. In Italien regieren Rechte mit europafeindlichen Populisten, in Frankreich sind Sozialdemokraten und Konservative nahezu bedeutungslos. Sind Volksparteien ein Auslaufmodell?

Mit der These vom „Auslaufmodell Volksparteien“ bin ich bereits vor der letzten Landtagswahl 2013 konfrontiert worden. Damals fand die gleiche Debatte wie heute statt. Wir haben trotzdem ein sehr gutes Ergebnis eingefahren, die einzige absolute Mehrheit in ganz Deutschland. Wenn man den Blick über die Grenzen 
hinaus richtet, dann kann man für die CSU feststellen, dass wir als Volkspartei auch heute einen Zuspruch in der Bevölkerung haben, wie keine andere Partei in Europa. Wir haben in Bayern fünf, sechs Konkurrenten, die in den Landtag einziehen können. Ich kenne kein Bundesland, in dem eine Partei bei so viel Konkurrenz solche Umfrageergebnisse erzielt.

Aber auch in Bayern zeigt sich das bürgerliche Lager derzeit zersplittert. Wie kann es wieder geeint werden?

Wenn wir auf unsere Konkurrenten blicken, dann sehen wir, dass sie um die 15 Prozent oszillieren oder teils weit darunter liegen. Es ist übrigens ein historischer Vorgang, dass keiner unserer Wettbewerber höher liegt. Dass wir als CSU nicht mehr auf die früher gewohnten Größenordnungen kommen, ist eine Folge aus den Jahren 2007/08. Durch den Einzug der Freien Wähler in den Landtag ist für uns die Wahrscheinlichkeit, über 50 Prozent zu kommen, deutlich gesunken. Der zweite große Einschnitt war die Flüchtlingspolitik der vergangenen Jahre. Sie hat uns das Aufkommen der AfD beschert. Diese beiden Umstände drücken auf unser Konto. Die einzig richtige Antwort darauf ist, dass wir noch mehr auf unsere eigene Kraft setzen, auf unsere Stärke, die sich dadurch ausdrückt, was die CSU für Bayern zustande gebracht hat. Die CSU hat Bayern gemeinsam mit unserer Bevölkerung zur erfolgreichsten Region Europas gemacht, und unser bayerischer Weg wird dafür sorgen, dass das auch in Zukunft so bleibt. Auf diese Stärken müssen wir in den kommenden Wochen bauen.

Ich habe mein ganzes politisches Leben gegen Rechtsradikale gekämpft. Das gehört für mich zur Parteiräson der CSU.

Horst Seehofer

Auch innerhalb der CSU gibt es immer wieder einmal Debatten über den richtigen Kurs. Wie schätzen Sie das ein?

Die CSU von heute deckt eine große Bandbreite ab, sie ist Heimat für die Christlich-Sozialen, die Liberalen und die Konservativen gleichermaßen. Der Charakter einer Volkspartei setzt voraus, dass man sich mit unterschiedlichen Ansichten toleriert. Wir sind die klassische Volkspartei der Mitte, die auch das demokratische, rechte Spektrum mit einbezieht. Gleichzeitig grenzen wir uns glasklar ab von Hetzparolen, von Ausländerhass und Antisemitismus. Ich habe mein ganzes politisches Leben gegen Rechtsradikale gekämpft. Das gehört für mich zur Parteiräson der CSU. Dass wir dennoch immer wieder kampagnenartig in Bezug gesetzt werden zu Rassisten und Terroristen, zu Mördern und zu Nazis, ist eine schlimme Sache.

Schwierig war zuletzt das 
Verhältnis zu Teilen der Amtskirche. Hohe Repräsentanten kritisieren die CSU offen für 
ihre Politik. Etwa in der Asylpolitik. Woher kommt diese Entfremdung?

Die Kirche darf gesinnungsethisch handeln. Das ist ihr Recht. Wir Politiker müssen unsere Entscheidungen aber verantwortungsethisch treffen. Wir können nicht einfach sagen, Deutschland steht für alle Menschen aus aller Welt offen. Wir müssen auch fragen, können wir die nötigen Wohnungen bereitstellen, die Kitas und Schulen, die Finanzmittel – 
und haben wir die nötige Integrationskraft? Ich höre regelmäßig von kirchlichen Würdenträgern, dass eine Begrenzung der Zuwanderung notwendig ist. Aber wie und in welcher Größenordnung begrenzt werden soll, das sei eine politische Entscheidung. Das Maß der Zuwanderung bestimmt sich ganz entscheidend danach, was eine Gesellschaft an 
Integration leisten kann. Der ehemalige Bundespräsident Gauck hat das sehr schön formuliert: „Das Herz ist weit, aber die Möglichkeiten sind begrenzt.“ Genau das ist die Grundlage unserer 
Politik. Sie verbindet Humanität und Ordnung. Dies in eine Balance zu bringen, ist übrigens die Aufgabe des Innenministers.

Bei mir hat sich die Überzeugung sehr verfestigt, dass wir politisch alles tun müssen, um die AfD überflüssig zu machen.

Horst Seehofer

Sie haben vorhin die AfD 
erwähnt. Dem Bundestag 
gehört sie seit dem vergangenen Jahr an. Wie erleben Sie dort diese Partei?

Über deren Agieren bin ich richtiggehend erschrocken. Ich habe mit der AfD noch keine konstruktive Minute im Deutschen Bundestag erlebt. Sie hat keine belastbaren Inhalte, keine Ideen für die Zukunft. Sie zeigt nur eine Anti-Haltung mit einer oft unappetitlichen und aggressiven Sprache. Bei mir hat sich die Überzeugung sehr verfestigt, dass wir politisch alles tun müssen, um die AfD überflüssig zu machen.

Wie kann das gelingen?

Das geschieht am besten durch eine Politik, die das tut, was sie sagt, und auf die Sorgen der Menschen achtet. Die AfD ist ja eine Protestpartei, keine Partei, die Lösungen bietet.

In Bayern haben in bestimmten Regionen auch viele Menschen die AfD gewählt. Wie kann man sie zurückgewinnen?

Das sind oft Regionen, in denen die Fragen der Zuwanderung eine überdurchschnittliche Rolle spielen. Wir hatten bei der Bundestagswahl das Problem, dass uns die Menschen gesagt haben: Das, was Ihr fordert, ist gut, aber könnt Ihr es in Berlin auch durchsetzen? Das war eine Frage der Glaubwürdigkeit. Jetzt stellen wir den Bundesinnenminister und jetzt rückt die Frage der Glaubwürdigkeit noch stärker in den Mittelpunkt. Deshalb kämpfe ich ja so dafür, dass die Grundlagen zur Ordnung und Steuerung der Zuwanderung geschaffen werden.

Das heißt, die Politik muss jetzt liefern? Die Bürger müssen sehen, dass zum Beispiel in den neuen Ankerzentren schneller entschieden wird …

… da werden die Fälle schneller abgearbeitet, da wird auch konsequenter abgeschoben, vor allem, wenn die Menschen nicht schutzbedürftig oder Gefährder sind. Aber es geht auch darum, dass wir an der Grenze Menschen abweisen, gegen die eine Einreisesperre vorliegt. Das habe ich durchgesetzt. Außerdem ging es noch um diejenigen, die in einem anderen europäischen Land bereits einen Asylantrag gestellt haben. Da haben wir bereits erfolgreich verhandelt und Vereinbarungen mit Spanien und Griechenland über die schnelle Rücküberstellung solcher Personen getroffen.Unser Rechtsstaat stellt jenen, die nicht schutzbedürftig sind, so viele Rechtsmittel zur Verfügung, dass es im Laufe der Zeit immer schwieriger wird, sie in ihr Heimatland zurückzuführen. Darum sind die Anker-zentren, die Zurückweisungen an der Grenze und die Transitverfahren so wichtig, und darum ist es so wichtig, dass wir in den Heimatländern dieser Menschen so helfen, dass sie sich gar nicht erst auf die gefährliche Reise nach Europa begeben. Das ist nämlich der wichtigste und auch der humanste Ansatz in der Migrationspolitik: die Hilfe in den Herkunftsländern. Wenn jemand zu uns kommt und Schutzbedarf hat, dann muss er auch integriert werden – von der Sprache bis zum Beruf. Das machen wir in Bayern vorbildlich. Damit diese Fähigkeit erhalten bleibt, Menschen Schutz zu gewähren und sie zu integrieren, müssen wir jene, die diesen Schutzbedarf nicht haben oder sogar noch straffällig geworden sind, wieder zurückführen.

In nahezu allen Sachfragen – sei es bei Grenzkontrollen, bei Abschiebungen oder Ankerzentren – stimmen deutliche Mehrheiten der Politik der CSU zu. In Umfragen zeigt sich das noch nicht. Woher kommt diese Diskrepanz?

Das ist in der Tat ein Phänomen. In der Sache, etwa bei der Abschiebung von Gefährdern und Straftätern oder der Zurückweisung an der Grenze, bekommen wir mindestens 60 Prozent, meistens sogar mehr als 70 Prozent Zustimmung. Deshalb haben unsere politischen Gegner nicht die Sachfrage, sondern die Stilfrage hochgezogen. Sie haben sich gar nicht mehr mit den Sachargumenten auseinandergesetzt, sondern eine teils schon bösartige und ehrverletzende Kampagne gegen uns gefahren – gegen die Partei und ihre Repräsentanten. Dabei wurde vieles äußerst verzerrt dargestellt. Von solchen Kampagnen lassen sich dann leider auch manche Menschen beeinflussen.

Ich kann uns nur allen empfehlen, Kurs zu halten. In einer vernünftigen Sprache, aber mit klarer Haltung.

Horst Seehofer

Zum Ende der letzten GroKo wurde häufig beklagt, dass die Parteien nicht unterscheidbar seien, dass es zu wenige Auseinandersetzungen gebe. Jetzt hatten wir eine intensive Debatte um die Zuwanderungspolitik und viele Menschen sagen, wir wollen keinen Streit. Wie passt das zusammen?

Das ist skurril, aber das gibt es nicht erst seit heute. Sie werden kaum jemanden finden, der Diskussionen in der Demokratie, das Ringen um die beste Lösung, nicht für richtig und notwendig hält – man kann es auch als Streit bezeichnen. Die Menschen sagen, sie wollen eine lebhafte Demokratie, sie wollen eine lebhafte Diskussion. Aber wehe, sie findet statt. Dann heißt es ganz oft, könnt Ihr darüber nicht unter vier Augen reden?

Dann würde der Vorwurf 
lauten, Sie betrieben Hinterzimmerpolitik …

Das wäre auch nicht recht, das würde sicher auch kritisiert. Für mich ist deshalb entscheidend, ob uns die Menschen in der Sache zustimmen. Und wir Politiker haben die Pflicht und die Verantwortung, den Menschen die Gründe für unsere Entscheidungen zu erläutern. Das ist manchmal mühsam, aber das ist gerade jetzt unsere Aufgabe.

Das heißt also, man muss in 
der Sache konsequent bleiben und auch einmal schwierigere 
Zeiten durchstehen?

Ich kann uns nur allen empfehlen, Kurs zu halten. In einer vernünftigen Sprache, aber mit klarer Haltung. Alles andere hätte einen großen Glaubwürdigkeitsverlust zur Folge. Bayern steht hervorragend da. Ganz Deutschland beneidet uns um die blendende Lage des Freistaats. Wir können auf etwas verweisen, das auch durch unsere kontinuierliche Politik der letzten sechs Jahrzehnte entstanden ist. Darauf können wir stolz sein. Die CSU ist inhaltlich bestens positioniert. Wir sind finanziell geordnet. Wir haben hochmotivierte Mitglieder. Wir haben an der Spitze mit Markus Söder einen erstklassigen Ministerpräsidenten und eine hervorragende Riege von Ministern und Staatssekretären, die bienenfleißig in Bayern unterwegs sind – auch in Ferienzeiten. Deshalb vertraue ich fest darauf, dass wir, wenn der eigentliche Wahlkampf beginnt, noch die Prozente nach oben klettern werden, die wir für den Wahlerfolg brauchen. Es ist manchmal gar nicht so schlecht, wenn man zu Beginn eines Wahlkampfes weiß, dass man sich noch anstrengen muss. Ich bin sicher, dass wir ein sehr gutes Wahlergebnis bekommen werden.

In diesem Jahr jährt sich der Tod von Franz Josef Strauß 
zum 30. Mal. Was hat Bayern mit ihm verloren?

Franz Josef Strauß war ein Jahrhundertpolitiker. Einer, den es mit dieser Wirkmächtigkeit nur einmal in einem Jahrhundert gibt. Bei meiner Heimatzeitung konnten die Leser vor Kurzem abstimmen und haben Strauß zur Jahrhundertperson gewählt. Dieses Ergebnis ist übrigens ein typisches Beispiel, wie sich das Urteil über eine Person ändern kann: In seiner aktiven Zeit war Strauß wegen seines klaren Standpunktes – Mitte-rechts übrigens – ein Politiker, der hoch umstritten war. Ich habe ihn ja in seinen aktiven politischen Zeiten erlebt. Mein erster Wahlkampf als junger Politiker war 1980 Strauß gegen Helmut Schmidt. Das war eine äußerst giftige Auseinandersetzung und Strauß stand bundesweit voll in der Kritik. Heute ist er der Jahrhundertpolitiker – auch über die Parteigrenzen hinweg – und wird geradezu verklärt. Das zeigt: Haltung bewährt sich.

Was haben Sie persönlich von Strauß gelernt?

Er ist mein Vorbild. Solange ich in der Staatskanzlei war, stand seine Büste hinter meinem Schreibtisch. In der Landesleitung steht sie heute noch. Wir heutigen 
Politiker werden seine Urgewalt in der Rhetorik nie erreichen. Es ist keine Schande, das zuzugeben. Aber wir können seine Ratschläge beherzigen. Eine seiner Botschaften lautete, kompliziert zu denken, aber einfach zu reden. Er wollte damit sagen, man soll so reden, dass einen die Menschen verstehen. Das ist für mich ein Kompass. Oder: Man soll reden, wie man denkt, und so handeln, wie man gesprochen hat. Das sind zeitlose, richtige Handlungsanweisungen für Politiker. Und seine Aussage „Bayern ist unsere Heimat, Deutschland unser Vaterland und Europa unsere Zukunft“, ist heute so aktuell wie eh und je.

Das Interview führte Thomas Röll.