Die Bundeszentrale der SPD in Berlin. (Foto: Imago/Revierfoto)
SPD

Abgemeldet bei der entscheidenden Frage

Kommentar Für die Wähler ist Zuwanderung das große Thema. Am Beispiel SPD kann man sehen, wie es einer Partei ergeht, die solch einer Schicksalsfrage ausweichen will: Sie macht sich gesprächs- und politikunfähig. Merke: Dem Wähler entkommt niemand.

Das muss man sich einmal vorstellen: Seit Tagen gibt es heftige Auseinandersetzungen in der Berliner Koalition über das größte Thema im Lande – die Zuwanderungspolitik. Alles ist möglich mit allen Konsequenzen. Und vom Koalitionspartner SPD kommt – nichts. Gar nichts.

Die Berliner SPD-Zentrale hisst die Europa-Flagge. „Die SPD steht für ein starkes und geeintes Europa“, sagt ihr Generalsekretär. Eine Leerformel. Immerhin: SPD-Chefin Andrea Nahles ruft den Koalitionsausschuss zusammen. Nur: Worüber will sie reden? Zur großen Streitfrage – der Zurückweisung an der Grenze – hat ihre Partei keine Meinung, keine Position.

Gesprächsunfähige SPD

Migranten, Flüchtlinge, Asyl – für die Wähler, für das ganze Land ist dies das wichtigste Thema, mit riesigem Abstand. Aber die SPD meidet es, muss es meiden. „Wir können nicht jeden aufnehmen“, wagte Parteichefin Nahles kürzlich zu sagen. Und brachte prompt die halbe Partei gegen sich auf. Jetzt verbieten sich Parteiführung und Partei das Migrantenthema – aus Angst vor der Zerreißprobe im eigenen Haus.

Die SPD will das wichtigste Thema im Lande beschweigen und um Himmels Willen nicht berühren. Das kann nur schief gehen. Und am Beispiel SPD kann man die Folgen solcher Schweige-Taktik studieren: Die – noch – zweitgrößte Partei im Lande macht sich gesprächsunfähig, nach innen und nach außen. Nach innen, weil sie das dominierende Thema nicht diskutieren kann. Nach außen, weil sie genau darum keine Position findet, über die sie mit den Koalitionspartnern verhandeln könnte.

Eine Regierungspartei ohne Haltung, ohne Meinung. Was ihr beim Wähler nicht hilft. In den Umfragen ist die SPD dieser Tage im Bund auf bis zu 16 Prozent gestürzt – nach dem Rekordtief von 20,5 Prozent am Wahlabend im vergangenen September.

Das größte landespolitische Thema: Einwanderung

Noch absurder treiben die Bayern-SPD und ihre Landeschefin Natascha Kohnen den Tanz um das heiße Eisen. Vier Monate vor einer Wahl, bei der es für die Bayern-SPD fast schon um die Zweistelligkeit geht, um die Existenz. Auf ihrem Parteitag in Weiden hat Kohnen kürzlich aufgezählt, mit welchen Themen sie im Oktober punkten will: Wohnungsbau, Kitas, Schulen, Nahverkehr und derlei mehr. Das große Einwanderungsthema kommt bei ihr nicht vor. Außer als Grund zur Empörung darüber, dass die CSU es so ernst nimmt, wie es ist.

Kohnen übersieht etwas Simples: Jedes jener typisch landespolitischen Wahlkampfthemen – Wohnraum, Schulen, Kindergärten, innere Sicherheit, Ärztedichte bis hin zum allgemeinen Lebensgefühl ganz lokal vor Ort – hat heute mit jenem ganz großen Thema zu tun, das genau darum die Menschen auch am meisten bewegt: hunderttausendfache, gar millionenfache Einwanderung aus der Dritten Welt.

Die Quittung der Wähler

Wer dem notwendigen und unvermeidlichen Meinungsstreit darüber ausweichen will, wird untergehen. Was der Grund dafür ist, dass die Bayern-SPD in den Umfragen derzeit bei Untergangszahlen von 12 bis 14 Prozent liegt.

Lektion: Dem Wähler entkommt keiner. Jedenfalls nicht, wenn es um das Thema geht, das die meisten Menschen inzwischen für eine regelrechte Lebensfrage halten. Wer die beschweigen will, vermeiden will, der meldet sich ab. Beim Wähler und aus der Politik. Keine gute Strategie vier Monate vor einer Schicksalswahl.