Johannes Singhammer, Vizepräsident des Deutschen Bundestags a. D. (Foto: CSU)
Werte

Die Stunde der Konservativen

Gastbeitrag Die rasche Entscheidung und die unverzügliche Aktion gelten als Qualitätsnachweis moderner Politik. Wenn sich Geschichte aber zu einer Zeitenwende verdichtet, sind Innehalten und Orientierung überlebenswichtig, schreibt Johannes Singhammer.

„Halte still und sammle Dich“ ist früheren Generationen von Bergarbeitern mitgegeben worden, um unter Tage Risikosituationen zu meistern. Identität und Werte sind gerade jetzt unverzichtbare Grundlagen planvollen abgewogenen politischen Handelns. Wenn die Digitalisierung die Welt umpflügt, wenn die Globalisierung wechselweise abhängige Nachbarschaften von Menschen schafft, die nicht ein gemeinsamer Gartenzaun verbindet, sondern oft mehr als 10.000 Kilometer Entfernung, wenn die Zuwanderung Deutschland mehr verändert als die Wiedervereinigung, dann sehen immer weniger Menschen in Deutschland eine unablässige Veränderung als sinnvollen Selbstzweck. Die Formulierung „Weiter so“ entwickelt für viele eine bedrohliche Perspektive. Neues Gewicht gewinnt aber die Frage der Identität im Sonne von „wer bin ich?“ oder „wer sind wir?“

Jedenfalls so lange sich in einem historischen Prozess eine europäische Identität noch nicht verankert hat, schafft die „Nation“ für die meisten Menschen in Europa und auch in Deutschland gemeinsame Heimat. Wer nationale Identitäten mit der Abrissbirne einreißen will, baut keine bessere Wirklichkeit. Wie wäre es, wenn neben dem glasklaren Bekenntnis zur deutschen Geschichte mit allen Brüchen und der Schuld auch hin und wieder auf das nach 1945 erreichte hingewiesen würde, z.B. dem Wiederaufbau, dem Wirtschaftswunder, dem Geschenk der Deutschen Einheit, den Wohlstand, um den uns viele andere beneiden, das umgesetzte Bekenntnis zu einer freiheitlichen und friedvollen Gesellschaft? Und muss man nicht dem berühmten Historiker Heinrich August Winkler zustimmen, wenn er vor kurzem in einem Essay warnt: „Wer die Nationen abschaffen will, fördert die Nationalisten“.

Identität und Werte sind gerade jetzt unverzichtbare Grundlagen planvollen abgewogenen politischen Handelns.

Johannes Singhammer, CSU

Gibt es nicht Anlass innezuhalten, wenn trotz mehrerer Dekaden und nach fast vier Generationen intensivster Integrationsbemühungen beispielsweise die Menschen mit Wurzeln aus der Türkei sich weniger zu der deutschen Gemeinschaft zugehörig fühlen, sondern viel mehr der nationalistischen Türkei von Herrn Erdogan? Deshalb genügt es nicht eine blühende Parallelgesellschaft zu bedauern, sondern das offenkundige Scheitern aufwendiger Integrationskonzepte über Jahrzehnte hinweg muss schonungslos analysiert und korrigiert werden.

Zur Identität zählt unstrittig auch, die gemeinsame Sprache. Wenn in Schulklassen nicht deutschsprechende Zuwanderer auf ihrer Herkunftssprache beharren, während deutsche Eliten ihre eigene Sprache geringschätzen, dann fehlt es an Gemeinsamkeit und wächst das Risiko einer Zukunft des Nichtverstehens. Unverzichtbarer Teil einer Persönlichkeit ist, ob jemand Mann oder Frau, Junge oder Mädchen ist. Das hat nichts zu tun mit einer Diskriminierung unterschiedlichster Arten von Sexualität. Wer aber das Geschlecht als soziales Wahlrecht verzwergt, raubt den Menschen einen existenziellen Teil ihrer Selbstvergewisserung. Gleiches gilt für die Eingebundenheit in die Familie. Familie überflüssig zu machen, zu ersetzen durch ein diffuses Gefühl von Kuschelnähe in einem globalen Dorf führt nur zur orientierungslosen Obdachlosigkeit. Ohne eine Demographie im Gleichgewicht, welche Ungerechtigkeiten vermeidet, lässt sich politische Nachhaltigkeit nicht erreichen. Wenn pflegebedürftige Deutsche von Menschen aus Polen versorgt werden und junge Ukrainer ältere Menschen in Polen pflegen mit der Konsequenz, dass alte ukrainische Großeltern alleine in ihren Dörfern zurückbleiben, zeigt sich die Fragwürdigkeit eines solchen Systems der exportierten demographischen Labilität.

Die Beschleunigung der Geschichte ist radikaler und dynamischer als alles andere.

Johannes Singhammer, Bundestagsvizepräsident a. D.

Vergewissern wir uns der tragenden Werte: Ein herausragender Wert unseres Landes ist das Grundgesetz – unser Goldschatz. Die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland mit dem königlichen Artikel 1: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Dieser Artikel ist nicht vom Himmel gefallen, aber Ergebnis der christlichen Prägung des Abendlandes und Konsequenz der fürchterlichen Verbrechen der Nationalsozialisten. Daraus ergibt sich zwingend die Religionsfreiheit und auch das Recht seine Religion zu wechseln. Zuwanderern die Eingewöhnung in Deutschland zu erleichtern indem man Kompromissangebote bei der Religionsfreiheit unterbreitet haben sich als schauerliche Irrwege entlarvt. Nicht anderes gilt für die Gleichberechtigung von Frauen und Männern. Deshalb ist die Vielehe in Deutschland verboten. Und selbstverständlich braucht das Bekenntnis zu einer Leitkultur, welche das Zusammenleben friedlich gerechter und freier macht nicht verschämt, ängstlich versteckt werden.

Noch nie war der Nutzen von Weltveränderungstheorien für ein angebliches Paradies auf Erden so gering wie in der Jetztzeit. Die Beschleunigung der Geschichte ist radikaler und dynamischer als alles andere. Jetzt kommt die Stunde des verantwortungsbewussten Innehaltens und des überlegten Handelns gespeist aus den Erfahrungen der Geschichte und gegründet auf ein ideologiefreies Menschenbild, eben: Konservativ.