Kirchenasyl erzwangen 2014 rund 100 Afrikaner, indem sie die Thomas-Kirche in Berlin-Kreuzberg besetzten. Doch Kirchenasyl schützt nicht vor Abschiebung, entschied das OLG München. (Symbolbild: Imago/Christian Ditsch)
Urteil

Kirchenasyl ist kein Schutz vor Abschiebung

Viele Kirchengemeinden in Bayern haben Asylbewerber in ihren Gebäuden aufgenommen, um ihnen ein Asylverfahren in Deutschland zu ermöglichen. Doch das Kirchenasyl ist grundsätzlich kein Abschiebehindernis, urteilte nun das Oberlandesgericht München.

Rechtsbruch – oder legitime „Notwehr“ von Kirchengemeinden gegen den Zugriff des Staates unter Berufung auf die Nächstenliebe? Dies ist das Spannungsfeld, in dem sich jeder Fall von Kirchenasyl befindet. Niemand steht über dem Gesetz, auch die Kirchen nicht, und überdies garantiert der Rechtsstaat ordentliche Verfahren durch mehrere Instanzen und Härtefall-Kommissionen, sagen die Kritiker des Kirchenasyls.

Faktisch entziehen die Kirchengemeinden Menschen ohne Aufenthaltserlaubnis dem Zugriff des Staates, indem sie sie in kirchlichen Gebäuden unterbringen. Dabei berufen sich die Gemeinden auf die Tradition des religiösen Asyls, das seit der Antike als „Tempelasyl“ bekannt ist: Ein Verfolgter flüchtet sich an einen heiligen Ort, entzieht sich damit der weltlichen Justiz und unterstellt sich symbolisch der göttlichen Gerichtsbarkeit.

Viele „Dublin-Fälle“

Bisher verzichteten die Behörden in Bayern auf gewaltsame Räumungen von Kirchenasylen. Im Gegenzug hängten die Kirchengemeinden die Kirchenasyl-Fälle meist nicht an die große Glocke, da es nicht um Propaganda, sondern um die Menschen gehe.

Allerdings beziehen sich die allermeisten Fälle von Kirchenasyl auf sogenannte „Dublin-Fälle“. Dabei geht es darum, neu eingetroffene Asylbewerber vor dem Rücktransport in dasjenige Land zu bewahren, wo sie zuerst EU-Boden betreten haben. In manchen dieser EU-Länder droht den Asylbewerbern Haft, wenn sie illegal ins Land gekommen sind, andere werden für die mangelhafte Qualität der Lebensbedingungen für Migranten kritisiert. Unerklärtes Ziel des Kirchenasyls bei diesen „Dublin-Fällen“ ist es, dem Asylbewerber etwa ein halbes Jahr Aufenthalt in Deutschland zu sichern, so dass er ein deutsches Asylverfahren erhält. So soll das Dublin-Abkommen der EU umgangen – Kritiker sagen: unterlaufen – werden, das genau diese Rücktransporte in die Erstaufnahmeländer vorsieht.

Kirchenasyl verbietet dem Staat kein Handeln.

Oberlandesgericht München

In einem prominenten „Dublin-Fall“ aus Freising hat das Oberlandesgericht (OLG) München nun entschieden, dass Kirchenasyl grundsätzlich nicht vor Strafverfolgung wegen illegalen Aufenthalts schützt. „Kirchenasyl verbietet dem Staat kein Handeln“, sagte der Vorsitzende Richter. Darunter falle auch eine Abschiebung aus Kirchenräumen. Da das Kirchenasyl kein eigenes Rechtsinstitut sei, ergebe sich damit auch kein Anspruch auf Duldung – auch wenn die Behörden nichts dagegen unternehmen. Nicht anerkannte Flüchtlinge, die Schutz in Kirchen suchen, haben demnach keinen Anspruch auf Aussetzung ihrer Abschiebung, stellte der Richter klar.

Kirchenasyl bildet grundsätzlich kein Abschiebehindernis

Im konkreten Fall allerdings bestätigte das OLG im Revisionsverfahren dennoch den Freispruch eines ausreisepflichtigen Nigerianers, der sich 2016 in Freising in Kirchenasyl begeben hatte. Der Mann sei für seine Zeit im Kirchenasyl nicht strafbar zu machen, weil das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BMAF) auf Grundlage einer Vereinbarung mit der katholischen und evangelischen Kirche eine Einzelfallprüfung eingeleitet hatte. Nur diese stellte demnach ein rechtliches Abschiebehindernis dar. In dieser Zeit habe sich der Mann nicht wegen illegalen Aufenthalts strafbar gemacht.

Der Nigerianer war im November 2014 von Italien nach Deutschland eingereist. Einen Asylantrag lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) im Januar 2016 zunächst ab. Zugleich ordnete das BAMF die Abschiebung des Mannes nach Italien an – also ein typischer „Dublin-Fall“. Der Flüchtling begab sich jedoch am 15. Juli 2016 in die Pfarrei Sankt Jakob in Freising und blieb dort bis zum 19. Oktober 2016 im Kirchenasyl. Der Pfarrer von Sankt Jakob zeigte die Aufnahme des Angeklagten im Kirchenasyl unverzüglich der Ausländerbehörde beim Landratsamt Freising und beim BAMF an. Daraufhin verzichteten die Behörden auf den Vollzug der Abschiebung.

Das Amtsgericht Freising entschied damals, dass sich ein abgelehnter Asylbewerber im Kirchenasyl nicht des illegalen Aufenthalts schuldig macht. Begründung: Der Aufenthalt im Kirchenasyl sei ein „inlandsbezogenes Abschiebehindernis“, das einen Duldungsanspruch begründe. Dem widersprach nun das OLG, nachdem die Staatsanwaltschaft Revision gegen das Urteil des Amtsgerichts eingelegt hatte. Derzeit befinden sich nach BAMF-Schätzung bundesweit etwa 710 Menschen in Kirchenasyl, etwa ein Drittel davon in Bayern.