Sebastian Brehm vertritt den Wahlkreis Nürnberg-Nord im Bundestag. (Foto: Wolfram Göll)
Bundestag

Warten nach dem Wahlerfolg

Aus dem BAYERNKURIER-Magazin: Noch nie hat es so lange gedauert, bis eine neue Bundesregierung gebildet war. Für Bundestagsneulinge wie den Nürnberger Finanzexperten Sebastian Brehm waren die ersten Monate im Parlament eine besondere Herausforderung.

Beim Anblick des Reichstagsgebäudes habe er erst einmal tief durchgeatmet und das Kreuz durchgedrückt, sagt Sebastian Brehm. „Ich war schon aufgeregt, denn Mitglied des Bundestages zu sein, das ist etwas Besonderes“, erinnert er sich an seine erste Fahrt nach Berlin als frisch gewählter Abgeordneter. Lang und hart hatte Brehm gekämpft um das Direktmandat in Nürnberg-Nord – seit jeher ein schwieriges Pflaster für die CSU. Ein altes Feuerwehrauto hatte er gekauft, CSU-blau lackiert und in die rollende Cafeteria „Brehm-Mobil“ umgebaut, um an Straßenbahn- und Bushaltestellen, vor Supermärkten und in Fußgängerzonen mit den Leuten ins Gespräch zu kommen.

Wo sind die Computer?

An mehr als 10.000 Haustüren hatten Brehms Helfer und er selbst im ganzen Wahlkreis geklingelt – von den eher dörflichen Gebieten im Knoblauchsland über die bevorzugten Wohnlagen Nürnbergs bis zu den sozialen Brennpunkten – um die Wähler zu motivieren. Dutzende Sprechstunden, persönlich, am Telefon und über Facebook, hatte er absolviert, ehe am Abend des 24. September feststand: Er hatte den Wahlkreis mit 31,3 Prozent erobert, immerhin knapp sechs Prozentpunkte vor der SPD-Konkurrentin. Und nun war Sebastian Brehm mit 46 am Ziel: im Bundestag in Berlin.

Doch einmal im Reichstagsgebäude angekommen, hielt das Hochgefühl nicht allzu lange an. Der Alltag holte den Volksvertreter rasch ein. Gleich am ersten Tag erfuhr er, was der Begriff „Digitalisierungsrückstand“ in der Praxis bedeutet: „In der Schlüsselstelle des Bundestages haben sie erst einmal ein Formular in die Schreibmaschine eingespannt. Die haben noch gar keinen Computer“, wundert er sich. Der Empfang in der CSU-Landesgruppe sei „sehr herzlich“ ausgefallen, berichtet Brehm. „Wir sind in den ersten Wochen schon zusammengewachsen. Das ist wichtig für die Grundstimmung und für die gemeinsame Arbeit.“

In der Schlüsselstelle des Bundestags haben die noch gar keinen Computer.“

Sebastian Brehm, CSU-Abgeordneter

Weil der Bundestag wegen der vielen Überhang- und Ausgleichsmandate auf die Rekordgröße von 709 Parlamentariern angewachsen ist, herrscht Raumnot – für Fraktionen und die Abgeordneten. „Wir konnten zunächst keine Büros abschließend beziehen. Alles war im Umbruch, die ersten Wochen waren voll mit organisatorischen Dingen“, berichtet Brehm. Das gilt erst recht für Parlamentsneulinge: Büro einrichten, Mitarbeiter suchen, Wohnung finden, neue Kollegen in der Fraktion kennenlernen, einem Bundestagsausschuss zugeteilt werden, der den eigenen Interessen, Kenntnissen und Fähigkeiten entspricht – all das steht am Beginn der Legislaturperiode.

Mittlerweile sind die ersten Schritte gemacht. Brehm hat ein Büro, eine Sekretärin, zwei weitere Mitarbeiter in Berlin, einen Festangestellten und zwei Minijobs in Nürnberg. „Mir war wichtig, dass meine Mitarbeiter gut zu mir, aber auch gut zueinander passen. Die Chemie und die Fachkenntnis müssen stimmen.“

Arbeiten im Provisorium

Brehm lernt den Bundestag in einer besonderen Lage kennen: Nicht nur bei der Zahl der Abgeordneten ist das Parlament auf Rekordgröße angewachsen, erstmals sind auch sechs Fraktionen vertreten. Zudem gab es beinah sechs Monate lang nur eine geschäftsführende Regierung. Wegen der langen Regierungsbildung war alles anders: Der Bundestag wollte zunächst die „Jamaika“-Verhandlungen abwarten, richtete keine reguläre Ausschüsse ein und behalf sich mit einem Hauptausschuss. Erst nach dem Abgang der FDP und dem Stop-and-Go der SPD in Sachen GroKo bildeten die Abgeordneten die regulären Ausschüsse.

Bei der Verteilung der Ausschuss-Posten hat Brehm – studierter Diplom-Kaufmann, gelernter Steuerberater – aus seiner Sicht das große Los gezogen: „Für mich war der Finanzausschuss der absolute Wunschausschuss“, freut er sich. Er ist als Berichterstatter für die Gewerbesteuer, die Abgabenordnung und das Berufsrecht zuständig. „Wir brauchen hier ein klares wirtschafts- und finanzpolitisches Profil, auch um die Wähler, die zur FDP abgewandert sind, zurückzugewinnen.“

Die SPD insgesamt will im Kern die Vergemeinschaftung von EU-Schulden und Eurobonds.

Sebastian Brehm

Die Unions-Steuerpolitiker hätten künftig eine wichtige Aufgabe, findet Brehm. „Das Finanzministerium der SPD zu geben, das ist schon sehr schwierig. Meiner Ansicht nach war das ein Fehler der CDU“, kritisiert er. Gerade wenn die SPD einen hauptsächlich von Deutschland finanzierten gemeinsamen EU-Haushalt oder gar eine EU-Sozialunion anstrebe, müsse die Union bremsen. Das tägliche Geschäft der Unions-Finanzpolitiker sei in den vergangenen beiden Legislaturperioden einfacher gewesen, vermutet Brehm: „Unter Schäuble konnten sich meine Vorgänger immer darauf verlassen, dass die Vorlagen im Kern schon passen, dass da keine Fußangeln lauern.“ Nun aber, mit dem Ministerium in SPD-Hand, komme mehr Arbeit auf die Unions-Parlamentarier zu: „Jetzt werden wir aufpassen müssen. Umgekehrt bietet das den Unionspolitikern aber auch die Chance zur Profilierung.“

In der Praxis bleiben

Er selbst hätte sich im Koalitionsvertrag deutlich mehr Mut bei Steuersenkungen gewünscht. „Der Staat muss auch einmal mit dem auskommen, was er hat. Neue Ausgabenprogramme sehe ich grundsätzlich sehr kritisch“, so Brehm. „Der Bürger muss endlich mehr von dem behalten dürfen, was er selbst erarbeitet hat.“ Es gehe grundsätzlich nicht an, dass der Staat Jahr für Jahr Rekordeinnahmen kassiere und dennoch den Bürgern immer noch tiefer in die Tasche greife.

Zwei Dinge hat sich Brehm fest vorgenommen: Er will unbedingt weiter beruflich als Steuerberater tätig bleiben, den Kontakt zum Alltag und den täglichen Problemen halten – vor allem auch zu den „normalen Leuten“. Er ist sich klar darüber: „Im Steuerbereich muss man immer auf dem Laufenden bleiben, die Praxis ist immer noch der beste Lehrmeister.“ Außerdem werde er mit seinem CSU-blauen Brehm-Mobil weiterhin im Wahlkreis unterwegs sein, verspricht Brehm: „Ich habe schon einen Einsatzplan fürs nächste Vierteljahr, wann wir wo auftauchen werden.“