Droht hier das erste bayerische Fahrverbot? Autos auf der chronisch verschmutzten Landshuter Allee am Mittleren Ring in München. (Foto: Imago/Sven Simon)
Verkehr

„Gelackmeierte der Fahrverbote“

Die Kommunen haben durch das Gerichtsurteil den schwarzen Peter erhalten, kritisiert Augsburgs Oberbürgermeister Kurt Gribl. Er warnt davor, jetzt massenhaft Autofahrer zu bestrafen, und plädiert für differenzierte Lösungen.

Sie kommen gerade vom Deutschen Städtetag. Wie haben Sie und Ihre Oberbürgermeister-Kollegen das Diesel-Urteil aus Leipzig aufgenommen?

Wir waren gerade in Sitzung, als das Urteil erging. Die Reaktion war relativ unaufgeregt. Jeder hat mit einem Richterspruch gerechnet, wonach Fahrverbote auch möglich werden. Ernüchterung ist allerdings eingetreten, weil die Kommunen den Schwarzen Peter haben: Sie verursachen die Schadstoffbelastungen nicht, müssen aber dafür sorgen, dass die Grenzwerte eingehalten werden.

Wie geht es denn für die bayerischen Städte weiter, speziell die drei Großen, die relativ häufig Überschreitungen messen – München, Nürnberg, Augsburg?

Das wird in allen dreien unterschiedlich laufen. Laut Bundesverwaltungsgericht ist die Gesundheit der Bewohner ein hohes Gut – aber auch die Mobilität ist ein Freiheitsrecht, das man nicht ohne weiteres einschränken darf. Nur wenn gesundheitskonforme Zustände nicht anderweitig herzustellen sind, kommen Fahrverbote in Betracht. Deshalb kann man sie auch nicht pauschal aussprechen, sondern muss die Gegebenheiten in der jeweiligen Stadt genau betrachten. In München mag die Situation anders liegen, für Augsburg und Nürnberg kann ich sagen: Wir wollen keine Fahrverbote. Also müssen wir rechtmäßige, beanstandungsfreie Zustände herstellen.

Bis wann wollen Sie in Augsburg die gesetzlichen Grenzwerte nicht mehr reißen?

2020 sollte unser Ziel sein. Ich weiß, zwei Jahre, das ist recht nah. Aber beim Thema Gesundheit muss man schon zeitnah wirksam werden. Wir haben ja in Augsburg bei den Stickoxiden nur relativ geringfügige Überschreitungen. Fahrverbote wären nur denkbar, wenn wir nicht durch andere Maßnahmen ans Ziel gelangen. Und wir haben ein ganzes Paket laufen, die wir schon konsequent verfolgen – wir bauen den öffentlichen Nahverkehr aus, fördern die E-Mobilität, verbessern den Fahrrad-Anteil am Verkehrsaufkommen.

Sie haben stets eine Blaue Plakette gefordert, damit Städte Fahrverbote überhaupt umsetzen können. Regierungssprecher Seibert hat jetzt angekündigt, die neue Bundesregierung würde sich mit ihr bald beschäftigen. Zufrieden?

Die Blaue Plakette bekommt erst jetzt nach dem Leipziger Urteil ihren Sinn. Denn laut dem Gericht sind zwar Fahrverbote möglich, aber nur als ultima ratio. Wenn ein Bürgermeister zu dieser letzten Möglichkeit greifen muss, dann würde ihm die Blaue Plakette helfen. Allerdings muss er bei Fahrverboten, wenn sie nicht pauschal sein sollen, differenzieren.

In welcher Form?

Dass beispielsweise erst ältere Fahrzeuge unterhalb des Niveaus der Euro-4-Norm betroffen sind. Und später die etwas weniger schmutzigen. Jedenfalls darf es nicht massenhaft Verkehrsteilnehmer treffen, die gar nicht oder wenig zum Problem beitragen.

Nun schlägt das Bundesverkehrsministerium vor, die Straßenverkehrsordnung zu ändern, so dass Städte „streckenbezogen“ Fahrverbote aussprechen können. Würde sich dann der Verkehr nicht seinen Weg durch die anliegenden Straßen und Wohngebiete suchen? Ist das der Weisheit letzter Schluss?

Natürlich nicht. Das war nur eine beispielhafte Benennung von Gestaltungsspielräumen. Es gibt ja Strecken, die man so umleiten kann, dass nicht gleich ganze Wohngebiete überschwemmt werden. Letzteres hätte natürlich fatale Wirkung. Generell kann ich nicht sagen, dass Streckenverbote Unfug sind. Es gibt sicherlich Fälle, wo Verkehrsverlagerungen keine Belästigungen in den Seitenstraßen erzeugen. Es müssten halt Passagen sein, die großräumiger, über andere Hauptverkehrsadern umfahren werden können.

In den meisten hoch belasteten Straßen würde sich der Verkehr aber wohl eher auf die direkte Umgebung verlagern.

Das könnte ja in der Gesamtbetrachtung dazu führen, dass man keine Grenzwertüberschreitungen mehr hat. Weil die Belastungen sich so gleichmäßig verteilen, dass sie darunter bleiben.

Ist dabei aber nicht die Perspektive zu einseitig: zu stark auf die betroffenen Autofahrer und weniger auf die Anwohner, die unter dem Verkehr zu leiden haben?

Die gibt es sicherlich, keine Frage. Zu den Gelackmeierten von Fahrverboten gehören aber hauptsächlich Besitzer von Dieselwagen. Und die Kommunen, die sie umsetzen müssen.

Wie groß schätzen Sie die Gefahr ein, dass die gesamte Problematik den Parteien schadet?

Klar. Das ist eine hochemotionale Thematik, wenn die Bewegungsfreiheit eingeschränkt wird. Ich habe Verständnis für verärgerte Autofahrer, die sich einen Diesel gekauft haben, weil er als besonders umweltfreundlich propagiert wurde. Politik muss hier noch klarer formulieren: Unternehmen, die diese Fahrzeuge hergestellt und vertrieben haben, müssen dafür sorgen, dass ihre Versprechungen eingehalten werden. Was an Schadstoffemissionen in den Fahrzeugpapieren und Prospekten steht, das kann man einfordern. Für mich eine Selbstverständlichkeit.
Die Menschen in den Städten haben schlicht ein Anrecht darauf, dass die Grenzwerte eingehalten werden. Das Leipziger Urteil ist auch insofern richtungweisend, weil Anwohner entsprechend Schutzansprüche erheben können. Die Situation müssen wir ernst nehmen.

Kurt Gribl ist Oberbürgermeister von Augsburg und Vorsitzender des Bayerischen Städtetags.