FDP lässt Jamaika platzen
Zwei Monate nach der Bundestagswahl steht Deutschland vor unübersichtlichen politischen Verhältnissen. Die FDP hat die Verhandlungen mit CDU, CSU und Grünen über eine Jamaika-Koalition kurz vor Mitternacht überraschend abgebrochen.
Sondierung

FDP lässt Jamaika platzen

Zwei Monate nach der Bundestagswahl steht Deutschland vor unübersichtlichen politischen Verhältnissen. Die FDP hat die Verhandlungen mit CDU, CSU und Grünen über eine Jamaika-Koalition kurz vor Mitternacht überraschend abgebrochen.

«Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren», sagte FDP-Chef Christian Lindner in der Nacht. Danach ist es acht Wochen nach der Bundestagswahl völlig unklar, wie es in Deutschland politisch weitergeht. Bundeskanzlerin Angela Merkel will im Laufe des Tages die Lage mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier besprechen. Er hatte erst am Wochenende die potenziellen Jamaika-Partner ermahnt, ihrer Verantwortung gerecht zu werden und Neuwahlen zu vermeiden.

Angela Merkel kündigte an, sie werde als geschäftsführende Bundeskanzlerin «alles tun, dass dieses Land auch durch diese schwierigen Wochen gut geführt wird». Sie bedauerte das Aussteigen der FDP aus den Jamaika-Verhandlungen. Die Union habe geglaubt, dass man gemeinsam auf einem Weg gewesen sei, bei dem man eine Einigung hätte erreichen können. Die CDU-Vorsitzende will am Montagvormittag mit dem Vorstand ihrer Partei in einer Telefonkonferenz über das weitere Vorgehen sprechen.

Einigung war „zum Greifen nahe“

Bei der CSU kommt zunächst die Landesgruppe im Bundestag zusammen. Über den Termin für eine Sitzung des Parteivorstands und möglicher weiterer Gremien wie der Landtagsfraktion wird CSU-Chef Horst Seehofer in einer Telefonschalte mit dem Präsidium beraten. Seehofer bezeichnete das Scheitern der Jamaika-Sondierungen als «Belastung» für Deutschland. Eine Einigung sei «zum Greifen nahe» gewesen. Auch bei der Migrationspolitik – eines der umstrittensten Themen in den Sondierungen – wäre eine Einigung möglich gewesen.

CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer äußert Bedauern darüber, dass die Jamaika-Sondierungen nicht zu einem Erfolg geführt werden konnten. „Ich finde es nicht gut, ich finde es schade“, sagt er im ZDF-Morgenmagazin. Deutschland stehe nun vor sehr schwierigen Wochen.

Wir haben eine Situation, die sehr ernst ist.

Andreas Scheuer

Verwunderung über FDP

Die stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende Julia Klöckner hält den Abbruch der Sondierungsgespräche durch die FDP für möglicherweise kalkuliert. „Es war überraschend, aber vielleicht auch vorbereitet“, sagt Klöckner dem SWR. Dass die FDP „kurz vor der Einigung abgesprungen ist, das hat mehr als nur eine Person verwundert“.

FDP-Chef Christian Lindner hatte den Abbruch der Sondierungen damit begründet, dass es in den gut vier Verhandlungswochen nicht gelungen sei, eine Vertrauensbasis zu schaffen. Das wäre aber Voraussetzung für eine stabile Regierung gewesen. Lindner machte deutlich, dass die Gräben zwischen FDP und Grünen aus seiner Sicht zu groß waren. Die Liberalen seien für Trendwenden in der Politik gewählt worden, etwa in der Bildung oder bei der Entlastung der Bürger. Diese seien nicht erreichbar gewesen: «Nach Wochen liegt aber heute unverändert ein Papier mit zahllosen Widersprüchen, offenen Fragen und Zielkonflikten vor.» Wo es Übereinkünfte gebe, seien diese mit viel Geld der Bürger oder Formelkompromissen erkauft worden.

FDP-Generalsekretärin Nicola Beer sagte am Montag im «Morgenmagazin» des ZDF, in zentralen Fragen habe es keinerlei Bewegung gegeben. «Ein Weiter-So der Groko-Politik mit ein bisschen ökologischer Landwirtschaft zu garnieren – sorry, das ist zu wenig für Deutschland.»

Wie geht es weiter? GroKo oder Neuwahlen?

Die Grünen-Spitze warf der FDP vor, sich vor ihrer Verantwortung gedrückt zu haben. «Ein Bündnis hätte zustande kommen können», sagte Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt. Bei Klimaschutz, Landwirtschaft und Migration sei man am Ende näher beieinander gewesen, als man es gedacht hätte. Parteichef Cem Özdemir sagte, die Grünen seien bei vielen Themen an ihre Schmerzgrenzen und darüber hinaus gegangen. Grünen-Chefin Simone Peter sagte, die FDP habe vier Wochen lang «die Öffentlichkeit getäuscht: unverantwortlich, unseriös, berechnend».

Grünen-Geschäftsführer Michael Kellner sieht nun Steinmeier und Merkel gefordert. «Am Ende des Tages, glaube ich, läuft es auf Neuwahlen hinaus», sagte er im ZDF-«Morgenmagazin». Die SPD steht nach Darstellung von Parteivize Ralf Stegner für eine Fortsetzung der Großen Koalition weiterhin nicht zur Verfügung. Stegner sagte der Deutschen Presse-Agentur: «Die Ausgangslage für die SPD hat sich nicht verändert. Wir haben kein Mandat für eine erneute große Koalition.» Die SPD-Spitze hatte am Abend der Bundestagswahl am 24. September unmittelbar nach dem historischen Absturz auf 20,5 Prozent entschieden, eine rechnerisch mögliche, erneute große Koalition mit der Union abzulehnen und in die Opposition zu gehen.