Johannes Hintersberger, Staatssekretär im Bayerischen Staatsministerium für Arbeit und Soziales. (Foto: StmAS)
Barrierefrei

Er macht den Weg (barriere-)frei

Aus dem BAYERNKURIER-Magazin: Johannes Hintersberger ist mitverantwortlich dafür, dass Bayern barrierefrei wird. Für den Staatssekretär im Sozialministerium ist das Thema mehr als ein Job – es hat sein ganzes Denken verändert.

Ist der Lichtschalter niedrig genug für Rollstuhlfahrer? Gibt es neben der Treppe auch einen Aufzug? Ist diese Kante ein Hindernis? Können Blinde sich hier orientieren? Diese Fragen stellt sich Johannes Hintersberger jedes Mal, wenn er ein Gebäude betritt, in die Bahn steigt oder auf der Straße spaziert. Seit er als Staatssekretär im Bayerischen Staatsministerium für Arbeit und Soziales, Familie und Integration arbeitet, hat der Blick des Augsburger CSU-Politikers auf die Welt sich verändert.

Hintersberger ist gemeinsam mit Sozialministerin Emilia Müller (CSU) verantwortlich dafür, dass Bayern barrierefrei wird. Dass sich Menschen mit Behinderung frei bewegen können. Dass sie hören, sehen, verstehen können. Barrierefreiheit ist für den 63-Jährigen kein abstrakter Begriff. Und vor allem nicht nur sein Job. Die Arbeit an dem Thema hat ihn verändert. „Die Menschen, die ich kennenlernen darf“, sagt Hintersberger, „das ist Wahnsinn! Wie kreativ, wie anpackend sie sind. Das beeindruckt mich.“ Hintersberger reist durch Bayern und verleiht das Signet „Bayern barrierefrei“. Er bringt die Auszeichnung in Schulen, zu Unternehmen, in Rathäuser, in Museen, an Flughäfen, zu Thermen, in Arztpraxen. Und dabei trifft er immer wieder Menschen, die Ideen haben, wie der Freistaat Barrieren abbauen kann. Und Hintersberger erlebt immer wieder: „Die größten Barrieren stehen immer noch in den Köpfen der Leute.“

Regierungsziel für das Jahr 2023

Ministerpräsident Horst Seehofer hat in seiner Regierungserklärung im November 2013 das Ziel vorgegeben: Bayern soll bis 2023 im gesamten öffentlichen Raum und im öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) barrierefrei werden. Federführend ist das Sozialministerium für diese Aufgabe verantwortlich. Seehofer hat sogar einen Staatssekretärs-Ausschuss einberufen, „damit hat er politisch auf das Thema noch mal eine Schippe drauf gelegt“, sagt Hintersberger. Und meint: Barrierefreiheit ist dem Freistaat keine bloße Pflicht, sondern eine Herzensangelegenheit, die alle mit Nachdruck voranbringen wollen. Und: Das Thema ist so komplex, dass es ressortübergreifend bearbeitet werden soll. Weil Bauthemen auf soziale Themen treffen, Finanzierungsfragen auf Denkmalschutz. Kein Bereich, den Barrierefreiheit nicht berührt.

Die größten Barrieren stehen immer noch in den Köpfen der Leute.

Johannes Hintersberger

Hintersberger weiß dabei sehr wohl, dass Bayern als Land nicht alleine vorankommt. Klar: Der Freistaat baut all seine Gebäude um. Er gestaltet den Verkehr barrierefrei, fördert kleine Projekte, und steht als Erstberater kostenfrei zur Verfügung. „Aber die ganze Gesellschaft ist mitverantwortlich“, sagt Hintersberger. Er weiß, dass er starke Partner braucht: Kommunen, Unternehmen, Vereine, Privatleute.

Es geht voran

Der Freistaat unterstützt zum Beispiel die Deutsche Bahn bei der barrierefreien Gestaltung der Bahnhöfe allein im Rahmen des Bayern-Pakets I in den Jahren 2013 bis 2018 mit 60 Millionen Euro. Im Rahmen des Folgeprogramms für die Jahre 2019 bis 2021 (Bayern-Paket II) wird die Förderung durch den Freistaat – vorbehaltlich verfügbarer Haushaltsmittel – sogar rund 100 Millionen Euro betragen. Beim Zukunftsinvestitionsprogramm des Bundes stellt der Freistaat eine Kofinanzierung in Höhe von 14 Millionen Euro sicher, damit 19 kleinere Stationen in der Nähe von Bedarfsschwerpunkten wie etwa Senioren- oder Behinderteneinrichtungen barrierefrei zugänglich werden. Klar: Viele Projekte könnten schon weiter gediehen sein, viele Bahnsteigkanten könnten schon jetzt barrierefrei sein. Hintersberger warnt aber davor, das Projekt „Bayern barrierefrei“ an vermeintlichen Misserfolgen zu messen. Es gehe in allen Bereichen voran. Und das Vernetzen, Bewegen und Überzeugen der nötigen Partner sei eben ein Teil des Prozesses.

220 Millionen Euro hat der Freistaat Bayern in den vergangenen beiden Jahren für Barrierefreiheit ausgegeben. Vor allem floss das Geld in die 3000 eigenen Immobilien. Bis 2023 sollen alle öffentlichen Gebäude barrierefrei zu betreten sein und außerdem eine für alle taugliche Toilette besitzen. Zeitlich ist alles durchgeplant. 1100 Gebäude sind schon umgebaut. „Bordsteine und Aufzüge“, sagt Hintersberger, „sind aber nur ein Mosaik-Stein.“ Er definiert Barrierefreiheit für sich als Wert. Einen, den sein eigenes Haus lebt: Im gesamten Geschäftsbereich des Bayerischen Sozialministeriums sind knapp 14 Prozent der Mitarbeiter schwerbehindert. Die gesetzliche Beschäftigungsquote liegt bei fünf Prozent.

Schautafeln beim Zahnarzt

Und dann ist da noch die Sache mit den Barrieren in den Köpfen. Ein alter Spruch, fast abgedroschen. Aber Hintersberger liegt daran: „Das ist die eigentlich Aufgabe. Wir wollen bei den Menschen ein Bewusstsein für das Thema schaffen. Diese Aufgabe wird uns viel länger beschäftigen als der Umbau von Gebäuden.“ Hintersberger dreht, wo er kann. Neulich hat er sich mit der Präsidentin der Bayerischen Architektenkammer kurzgeschlossen. Die Idee: Architekten sollen sich schon in der Ausbildung mit Barrierefreiheit auseinandersetzen. „Die Studienordnung ist schnell verändert“, sagt Hintersberger. Und der Effekt sei riesig. „Jeder künftige Architekt hat dann in Zukunft Ahnung davon.“ Es sind oft die kleinen Dinge, die den Erfolg bringen, die das Umdenken verankern. Das weiß der Staatssekretär und entsprechend belohnt er mit dem Signet „Bayern barrierefrei“ nicht nur große Umbauten und Mammutprojekte, sondern auch die kleinen Dinge. Zuletzt besuchte er einen Zahnarzt, der tauben Patienten auf selbstgemalten Plakaten erklärt, wie er ihre Zähne behandelt. Das nimmt Angst, schafft Vertrauen und ermöglicht Hörgeschädigten einen entspannteren Besuch beim Arzt. „Das sind die Dinge, die wir uns wünschen“, sagt Hintersberger. Dass jeder „da draußen“ sensibel wird und Menschen mit Behinderung in seine Überlegungen einfach einschließt.

Ich wünsche mir ein Bayern, in dem es ganz selbstverständlich ist, dass wir alle zusammen sind. Weil jeder überall hinkommt.

Johannes Hintersberger

Barrierefreiheit berührt nicht nur Rollstuhlfahrer und Blinde. Jeder alte Mensch, alle Mütter und Väter mit Kinderwagen sind froh um bequeme Wege. Wenn Behörden und Ministerien ihre Texte auch in einfacher Sprache verfassen, hilft das nicht nur Menschen, die sich schwer tun mit komplexen Texten. Denn ganz ehrlich: oft verstehen viele Leute nicht wirklich, was Fachstellen veröffentlichen. Kommunikation ist in vieler Hinsicht wichtig für die Barrierefreiheit. Gehörlose brauchen Gebärdensprache-Dolmetscher, Blinden helfen Programme, die ihnen vom Computerbildschirm vorlesen. Der Freistaat Bayern geht als gutes Beispiel voran. Für Ministerien etwa gilt die freiwillige Vorgabe, Veranstaltungen von Gebärdensprache-Dolmetschern begleiten zu lassen. Die staatlichen Webseiten sind barrierefrei, können also von den erwähnten Programmen gelesen werden.

Alles selbstverständlich

Nein, so schnell wird Johannes Hintersberger seine Aufgabe nicht erledigt haben. Er ist stolz auf das, was sein Ministerium, seine Mitarbeiter, die Bürgerinnen und Bürger und der Freistaat schon geschafft haben. Doch er hat eine Vision. „Ich wünsche mir ein Bayern, in dem es ganz selbstverständlich ist, dass wir alle zusammen sind. Weil jeder überall hinkommt.“ Dafür reist er durchs Land – wie zuletzt nach Mehring, wo er das Signet „Bayern barrierefrei“ in das neue Gymnasium gebracht hat, in dem kein Rollstuhlfahrer mehr auf fremde Hilfe angewiesen ist. Im vollen Terminkalender des Staatssekretärs zählen diese zu seinen liebsten.