Die Wälder der Oberpfalz sind beliebt bei Mountainbikern. (Foto: Ghost)
Mittelstand

Aus dem Wald in die Welt

Aus dem BAYERNKURIER-Magazin: Mit Cube und Ghost sitzen zwei namhafte Rad-Hersteller in der nördlichen Oberpfalz. Über einen Standort, der überraschende Chancen bietet und zwei Firmen, deren Mitarbeiter verrückt sind nach dem eigenen Produkt.

Die Berge sind sanft, hier im äußersten Norden der Oberpfalz. Wer über Landstraßen fährt, sieht oft Kilometer weit nichts als Wälder. Zwischen dem Kohlwald und dem Oberpfälzer Wald, im Tal der Wondreb, liegt die Stadt Waldsassen. Idyllisch – ja. Katholisch – noch mehr. Die Stiftsbasilika mit Deutschlands größter Kirchen- und Klostergruft und dem umfangreichsten barocken Reliquienschatz nördlich der Alpen ist das Wahrzeichen von Waldsassen.

Doch in den Wäldern rund um die Basilika, das Kloster und die Wallfahrtskirche sind nicht nur fromme Wallfahrer unterwegs. Hier zischen Dämpfer und Federgabeln, hier schnaufen Radfahrer die Berge hinauf und brettern sie hinunter. Einer von Deutschlands führenden Fahrradherstellern sitzt in Waldsassen: Ghost. Für den englischen Namen gibt es eine Erklärung, die vermutlich mehr über den Humor der Oberpfälzer aussagt, als die Markengründer Uwe Kalliwoda und Klaus Möhwald das beabsichtigt haben.

„Ou“ wie in „Ghost“

Maxi Dickerhoff lacht laut, als er nach der Bedeutung des Markennamens gefragt wird. Dickerhoff arbeitet seit eineinhalb Jahren für Ghost, sein Job nennt sich Brand Awareness Manager. Heißt: Er macht die Marke bekannt.

Dickerhoff holt aus. In den 1990ern schwappte die erste Mountainbike-Welle von Amerika nach Deutschland. Im Jahr 1990 fand die erste deutsche Mountainbike-Meisterschaft in Kirchzarten im Schwarzwald statt. Die Firmengründer erkannten den Trend, begannen Mountainbikes zu importieren. Sie statteten die Räder mit hochwertigen Teilen aus. Bremsen, Schaltung, Reifen. Diese Räder brauchten einen eigenen Markennamen. Und weil das Mountainbiken eine so amerikanische Sportart ist, wählten sie einen englischen Namen. „Aber der Name brauchte einen Bezug zur Heimat, also zur Oberpfalz“, sagt Dickerhoff. Was haben Gespenster – denn das heißt Ghost übersetzt – nun mit der Oberpfalz zu tun? Liebe Leser, sprechen Sie das englische Wort Ghost einmal laut aus. Haben Sie es gehört? Das „ou“, der klassische Oberpfälzer Laut, ist unüberhörbar.

Die Anekdote vom englisch-oberpfälzischen Markennamen ist nicht das einzige, womit die Radschmiede aus Waldsassen überrascht. Wer den Firmensitz betritt, merkt schnell: Hier arbeiten Radfahrer. Ingenieure, Mechaniker, Werbeleute. Niemand trägt Schlips, jeder Mitarbeiter sieht so aus, als könne er sich zur Mittagspause direkt auf den Sattel schwingen. Und tatsächlich tun sie das auch: Jeden Mittwoch gibt’s einen mittäglichen Ausritt mit gemeinsamem Essen in Anschluss. „Unser Arbeitgeber will, dass es uns gut geht“, sagt Dickerhoff. Wer sich wohlfühlt, bringt gerne Leistung. Den Chefs ist es wichtig, dass die Mitarbeiter sich mit der Marke identifizieren.

Erfolgreiche Geisterfahrer

Ghost entwickelt seine Räder in Waldsassen, die Rahmen werden wie branchenüblich in Asien produziert. Allerdings: Ghost betreibt dort sein eigenes Werk, Firmengründer Kalliwoda hat es selbst in China aufgebaut. Daran hat auch die Übernahme durch die Accell Group nichts geändert. Der niederländischen Holding gehört Ghost seit 2008, Uwe Kalliwoda leitet das Unternehmen seitdem als Geschäftsführer. „An unserem Qualitätsanspruch hat das nichts geändert“, sagt Dickerhoff.

Unser Vorteil ist, dass vor allem radbegeisterte Menschen bei uns arbeiten wollen.

Maxi Dickerhoff

Um seine Qualität zu sichern, braucht Ghost gute Mitarbeiter. „Unser Vorteil ist, dass vor allem radbegeisterte Menschen bei uns arbeiten wollen“, sagt Dickerhoff, der aus dem Allgäu stammt. Heißt: Ein Maschinenbauingenieur, dem es wichtiger ist, dass er hinter seinem Haus ein anständiges Radwegenetz im Wald findet, kommt nach Waldsassen, auch wenn das Kultur-Programm nicht mit dem einer Metropole mithalten kann. Deswegen leidet Ghost nicht unter dem Fachkräftemangel, den die technische Branche gerade in strukturschwächeren Regionen oft zu spüren bekommt.

Das ist allerdings aus noch einem weiteren Grund erstaunlich. Wer sich in Waldsassen ins Auto setzt und 20 Minuten Richtung Westen fährt, der kommt auf eine schwarze Fertigungshalle zu, die in ihrer Dimension erstmal verblüfft. Und die gehört einem der direkten Konkurrenten, der an denselben Fachkräften interessiert ist: Cube. Haarscharf sitzt Cube in der Oberpfalz, die Stadt Waldershof liegt direkt an der Grenze zu Oberfranken.

Die Geschichten der beiden Unternehmen ähneln sich. Marcus Pürner gründete Cube im Jahr 1993. Zufall ist das nicht. Pürner und Kalliwoda kennen sich seit dem wirtschaftswissenschaftlichen Studium in München, dort wohnten die beiden Oberpfälzer sogar im selben Haus. In ihren Studentenbuden haben sie die ersten importieren Räder umgebaut, sich später fast zeitgleich für eine Firmengründung entschieden. Dabei waren Cube und Ghost immer mehr Freund als Feind. „Bei Lieferengpässen ist man sich gegenseitig zur Seite gesprungen“, sagt Harald Lucas. Bevor beim einen die Produktion lahmlag, brachte der andere mal schnell 200 Schaltzüge vorbei. Der 44-jährige Lucas erinnert sich gut an die frühen Jahre. Mittlerweile ist er Head of Productmanagement and Design. Er hat Cube mitgestaltet. Eine Firma, die von der Garage hinaus in die Welt zog.

E-Bikes im Trend

Heute bauen die Waldershofer 600.000 Fahrräder im Jahr, die sie in 63 Ländern der Welt verkaufen. In Europa gelten sie als Marktführer im mittleren und hochwertigen Mountainbike- und Rennradbereich. Deutschland, Österreich, die Schweiz und Italien sind die wichtigsten Länder für Cube, rund 45 Prozent ihrer Räder setzen die Oberpfälzer hier ab.

Auch Cube entwickelt seine Räder komplett am Standort Waldershof, wo 600 Menschen für die Firma arbeiten. Die Rahmen kommen wie üblich aus China. Mehr als 300 Modelle hat Cube im Angebot. Vom Rennrad über teil- und vollgefederte Mountainbikes, vom Trekking-Rad zum Kinderrad. Ein Segment wächst derzeit besonders: E-Bikes. Die Räder mit Motorenunterstützung machen bereits 30 Prozent der Gesamtproduktion aus. Und immerhin schon die Hälfte des Umsatzes.

Radln als Lifestyle

Welches Rad der Cube-Fan auch immer fährt, er scheint ein modebewusster Kunde zu sein. „Bei uns bekommen die Leute eigentlich alles außer Sportbrillen“, sagt Lucas. T-Shirts, Hosen, Handschuhe, Schuhe, Helme. Die Produktpalette ist breit. Wer sich ein blaues Mountainbike von Cube kauft, kann sich komplett passend dazu einkleiden. Auch die Accessoires entwickelt Cube im eigenen Haus, dafür gibt es eigene Designer.

Die beiden Mittelständler Cube und Ghost haben vieles gemeinsam. Dazu gehört:  Die Oberpfalz möchte sie nicht missen. Cube ist einer der bedeutendsten Arbeitgeber in Waldershof, Ghost ist zweitgrößter Gewerbesteuerzahler in Waldsassen. Beide Arbeitgeber binden Menschen an die Region, die die Vorzüge des Standortes erkennen. Menschen, die die sanften Berge und unendlichen Wälder nicht nur hinnehmen, sondern lieben.