Der Schwurgerichts-Saal 600, in dem 1945/46 die Nürnberger Kriegsverbrecher-Prozesse stattfanden. (Foto: Wolfram Göll)
Justizpalast

Maßstäbe im Menschenrecht

„Hier stand die Wiege des Völkerstrafrechts“: Das größte Justizgebäude Bayerns, der Nürnberger Justizpalast mit dem weltbekannten Saal 600, wird 100 Jahre alt. Verfassungsrichter Müller und mehrere Staatsminister würdigen die Bedeutung des Gebäudes.

„Eines der bekanntesten Gerichtsgebäude weltweit“, „Wiege des Völkerrechts“, „Dieser Saal ist Weltgeschichte“: Viele Superlative bemühten die Festredner, um die Bedeutung des größten Justizgebäudes in Bayern zu beschreiben: Vor 100 Jahren wurde der Justizpalast Nürnberg mit dem weltbekannten Schwurgerichtssaal 600 eingeweiht, in dem nach dem Zweiten Weltkrieg die Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse stattfanden, die Grundlage für das heutige Völkerstrafrecht.

Bei einem Festakt im Saal 600 hoben prominente Redner die Bedeutung des Saales und des ganzen Gebäudes hervor: Bundesverfassungsrichter Peter Müller, die bayerischen Staatsminister Winfried Bausback, Joachim Herrmann und Markus Söder, Landtagspräsidentin Barbara Stamm und der Hausherr, Oberlandesgerichtsprädsident Christoph Strötz. Als Ehrengäste waren der frühere Bundesbauminister Oscar Schneider erschienen, der frühere Ministerpräsident Günther Beckstein und die Präsidentin des Zentralrats der Juden, Charlotte Knobloch.

Grundlegende Maßstäbe der Rechtsgeschichte

„Die Maßstäbe, die in diesem Saal 600 gesetzt wurden, sind grundlegend für die Aufarbeitung von Kriegsverbrechen weltweit“, erklärte der Festredner, Verfassungsrichter Peter Müller. „Sie beziehen sich auf die allgemeingültigen Menschenrechte und die Menschenwürde, unabhängig von den Gesetzen eines Landes. Jeder muss sich für seine Verbrechen verantworten, unabhängig von seiner Funktion“, sagte der frühere CDU-Ministerpräsident des Saarlands.

Der Verfassungsrichter erinnerte aber auch daran, dass in der Zeit der NS-Diktatur gerade im Nürnberger Saal 600 vom Sondergericht zahlreiche Unrechtsurteile gefällt wurden, unter anderem das Todesurteil 1942 gegen Leo Katzenberger wegen „Rassenschande“. Das Nürnberger NS-Sondergericht unter Präsident Oswald Rothaug, so Peter Müller, sei berüchtigt gewesen. Aber auch einfache Amtsrichter hätten sich besonders regimetreu gezeigt – etwa als einem Vermieter ein Sonderkündigungsrecht zugesprochen wurde, weil die Mieter Juden waren. „Der Dolch des Mörders war unter der Robe des Juristen verborgen“, zitierte Müller das Urteil des Nürnberger Juristenprozesses.

Rechtsstaatlichkeit weltweit in der Krise

Peter Müller betonte, die Rechtsstaatlichkeit brauche grundsätzlich Orte, an denen sie greifbar werde, wie etwa Gerichte. „Gerechtigkeit gedeiht nicht im Schatten“, erklärte er. Der Rechtsstaat benötige materielle und kulturelle Grundbedingungen, wie etwa ordentliche Gehälter, damit wirklich die besten Juristen Staatsanwälte und Richter werden wollten. Deutschland sei hier auf einem guten Weg, wenngleich die Ausstattung in einigen Bundesländern Sorgen mache.

Weltweit befinde sich der Rechtsstaat jedoch in der Krise, befand Müller: Da einige große Staaten in Richtung Despotie abglitten, lebten derzeit nur noch 38 Prozent der Weltbevölkerung in Rechtsstaaten. Auch mit Hinweis auf US-Präsident Trump, der missliebige Richter als „sogenannte Richter“ bezeichnet hatte, sagte Müller: „Rechtstreue ist kein durchgängiges Merkmal der westlichen Gesellschaften. Und Rechtsvergessenheit ist leider alltäglich.“ Als Beleg führte Müller die Maastricht-Kriterien und IWF-Chefin Lagarde an, die erklärt hatte, zur Rettung des Euros habe die EU alle selbstgesetzten Regeln gebrochen.

Viele helle und einige sehr dunkle Stunden

Bayerns Justizminister Winfried Bausback betonte, im Saal 600 seien fundamentale Kapitel Rechtsgeschichte geschrieben worden. Der Nürnbeger Justizpalast sei daher eines der bekanntesten Gerichtsgebäude weltweit. „Hier wurde nicht weniger als Weltgeschichte geschrieben“, so der Justizminister. Bis heute sei dies der Ort, an dem der Rechtsstaat mit Leben erfüllt werde – „und darauf können Sie und wir als Gesellschaft stolz sein“. Der Justizpalast werde auch nach dem Umbau der Ort bleiben, an dem Recht gesporchen werde und wo sich die Mitarbeiter täglich für den Rechtsstaat einsetzten, betonte Bausback.

„Viele helle und einige dunkle, sogar sehr dunkle Stunden hat dieser Saal erlebt“, erklärte Landtagspräsidentin Barbara Stamm. Am meisten beeindrucke sie, wie viele Menschen Tag für Tag im Dienst für den Rechtsstaat arbeiten. Eine funktionierende Justiz sei der Garant dafür, dass der Rechtsstaat funktioniere, so Stamm. Die in der bayerischen Verfassung festgeschriebene Gewaltenteilung sei die richtige Konsequenz der Verfassungsväter nach der NS-Diktatur gewesen.

Ehrfurcht einflößende Architektur und moderner Neubau

Der Justizpalast weise eine für das beginnende 20. Jahrhundert typische „einschüchternde, ehrfurcht-einflößende Architektur“ auf, befand Bayerns Innen- und Bauminister Joachim Herrmann. Er selbst habe als junger Assessor diese Ehrfurcht gespürt, bekannte er. Derzeit werde mit dem Neubau eines modernen Sitzungssaalgebäudes die Grundlage dafür geschaffen, dass der Ostbau des Justizpalastes mit dem Saal 600 komplett vom Tagesgeschäft befreit werde und vollständig dem Memorium Nürnberger Prozesse und der internationalen Akademie Nürnberger Prinzipien überantwortet werde, so Herrmann.

Finanzminister Markus Söder sagte, nach einem weiteren Umbau würden für interessierte Besucher auch die Zellen und Gänge aus der Zeit der Nürnberger Prozesse sicht- und begehbar: „Dieser Saal ist Weltgeschichte.“ Viele tausend Gäste aus dem In- und Ausland wollten diesen Saal 600 als Schauplatz der Rechtsgeschichte und als den Geburtsort des Völkerrechts sehen – und damit Nürnberg als Stadt der Menschenrechte, sagte Söder.