Brexit-Folgen für Deutschland
Deutschlands Autobranche drohen nach dem Brexit Absatzverluste von bis zu 20 Prozent. Banken machen mit Verlagerungsplänen von London nach Frankfurt ernst: Bis 2019 könnte dort zusätzlicher Büroflächenbedarf für mindestens drei Hochhäuser entstehen.
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Brexit-Folgen für Deutschland

Deutschlands Autobranche drohen nach dem Brexit Absatzverluste von bis zu 20 Prozent. Banken machen mit Verlagerungsplänen von London nach Frankfurt ernst: Bis 2019 könnte dort zusätzlicher Büroflächenbedarf für mindestens drei Hochhäuser entstehen.

Unerfreuliche Brexit-Aussicht für Deutschland: Nach dem EU-Austritt Großbritanniens droht einer Studie zufolge der Wegfall Tausender Arbeitsplätze in Deutschlands Autobranche. Denn Europas Autohersteller müssten bei einem harten Brexit − also einem Abgang auch aus Europas Binnenmarkt − mit Absatzeinbußen von bis zu 20 Prozent rechnen, heißt es in der heute publizierten Untersuchung des Beratungsunternehmens Deloitte. So heftig waren die Einbußen zuletzt in der Finanzkrise 2009.

Großbritannien ist als Absatzmarkt sehr wichtig für die heimischen Hersteller, jedes fünfte aus Deutschland exportierte Auto geht in das Vereinigte Königreich. 2016 wurden dort 950.000 Autos aus Deutschland neu zugelassen. Den Angaben zufolge hängen hierzulande 60.000 Auto-Jobs an diesen Ausfuhren. 18.000 davon wären nach einem harten Brexit in Gefahr, so die Autoren.

Wir haben ein großes Handelsbilanzdefizit. Das Interesse der deutschen Autobauer an einem Freihandelsvertrag ist stark.

Mervyn King, ehemaliger Gouverneur der britischen Zentralbank

Grund für den drohenden Rückschlag wäre demnach ein Kursverfall des britischen Pfunds, wodurch sich die in Deutschland hergestellten Autos im Vereinigten Königreich im Preis um etwa ein Fünftel verteuern und die Nachfrage sinken würde. Auch Zölle würden die Kostensteigerung verschärfen. In Deutschland hergestellte Autos dürften der Studie zufolge in Großbritannien nach einem harten Brexit um 21 Prozent teurer werden. Hersteller aus Kontinentaleuropa wären die großen Verlierer, heißt es in der Studie.

Große Gewinner gäbe es laut Deloitte-Studie nicht: Firmen aus Großbritannien und aus Staaten außerhalb der EU dürften zwar kurzfristig Absatzanteile hinzugewinnen, doch auch sie müssten mit höheren Produktionskosten rechnen. Sie beziehen viele Fahrzeugteile von Zulieferern aus der EU − und diese Teile würden ja ebenfalls teurer.

Mervyn King, der ehemalige Gouverneur der britischen Zentralbank, erwartet darum im Interview mit der Neuen Zürcher Zeitung, dass die Brexit-Verhandlungen früher oder später in einen Freihandelsvertrag oder in eine einem Freihandelsvertrag ähnliche Situation münden werden: „Wir haben ein großes Handelsbilanzdefizit. Das Interesse der deutschen Autobauer an einem Freihandelsvertrag ist stark.” Was gerne übersehen wird: Auch für die französische Automobilindustrie mit einer Exportquote von 60 Prozent (2015) ist der britische Markt bedeutsam.

Jaguar Land Rover legt stark zu

Unterdessen berichten britische Medien, dass Jaguar-Land Rover (JLR), der größte Kraftfahrzeug-Hersteller des Landes, in England 5000 Arbeitsplätze schaffen will. Es soll dabei vor allem um Elektronik- und Softwareingenieure gehen. Der zum indischen Konzern Tata Motors gehörende Hersteller plant, in Großbritannien die Entwicklung vollelektrischer Fahrzeuge sowie die Entwicklung autonomer Fahrzeugkonzepte zu forcieren. Was kein Zufall ist: Die Regierung in London hat angekündigt, Großbritannien zu einem Innovations-Drehkreuz der E-Mobilität machen zu vollen. Tata Motors hofft, davon profitieren zu können. Der fünfsitzige elektrische SUV Jaguar I-PACE, der im österreichischen Graz gebaut wird, soll schon 2018 auf den Markt kommen.

Interessant: Auch so geht es JLR derzeit sehr gut. Im vergangenen Jahr konnte der Konzern den Absatz an Jaguar-Fahrzeugen um sage und schreibe 77 Prozent auf 148.730 Limousinen und Sportwagen steigern. Land Rover konnte mit insgesamt 434.582 verkauften Fahrzeugen nur um acht Prozent zulegen, berichtet die Pariser Tageszeitung Le Figaro. Unbeeindruckt von Brexit-Abstimmung und -Debatte stieg der Absatz beider Marken unter dem gemeinsamen Firmendach um insgesamt 20 Prozent.

Banken verlagern nach Frankfurt

Unterdessen beginnen allerdings internationale Bankhäuser in London ernst zu machen mit kleinen oder größeren Abwanderungsankündigungen auf Grund des Brexit. Den Anfang macht die Investbank Goldman Sachs. „Wir beginnen damit, Ressourcen nach Frankfurt und in andere europäische Städte zu verlagern”, sagt Goldman-Sachs-Europachef Richard Gnodde im Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Bank-Mitarbeiter mit Kundenkontakten sollen näher an ihre Kunden heranrücken. Ein Profiteur wird eben die hessische Bankenmetropole Frankfurt sein. Derzeit arbeiten dort etwa 200 Personen für das New Yorker Bankhaus. Brexit-bedingt soll sich ihre Zahl mindestens verdoppeln. Allerdings: In London beschäftigt Goldman Sachs derzeit über 6000 von weltweit etwa 34.000 Mitarbeitern (Stand 2014).

Wir beginnen damit, Ressourcen nach Frankfurt und in andere europäische Städte zu verlagern.

Goldman Sachs

Unter Verweis auf Frankfurter Immobilienkreise berichtet jetzt die Frankfurter Allgemeine Zeitung, dass offenbar auch eine ganze Zahl anderer Banken schon weit gediehene Umzugs- oder Verlagerungspläne haben. Das ebenfalls in New York ansässige Bankhaus Morgan Stanley mit weltweit etwa 56.000 Mitarbeitern plant wohl eine Verdreifachung seiner Frankfurter Belegschaft.

Ablesen lassen sich danach die noch begrenzten Verlagerungspläne an den Vorreservierungen von Büro- und Hochhausflächen. Morgan Stanley will sich in Frankfurt von 6000 auf 12.000 Quadratmeter verdoppeln. Die New Yorker Großbank JP Morgan − weltweit 234.589 Mitarbeiter (Stand 2015) − hat sich am Main 4000 Quadratmeter vorbuchen lassen. Auf der Suche nach Hochhausfläche sollen in Frankfurt auch der Finanzdienstleister Citigroup (219.000 Mitarbeiter) und die Mitsubishi Bank (55.549 Mitarbeiter) sein. Auch die Londoner Chartered Bank mit weltweit 88.640 Mitarbeitern will ihre Präsenz in Frankfurt ausbauen.

Die Dienste der City können weiterhin genutzt werden, wenn es sinnvoll ist.

Mervyn King, ehemaliger Gouverneur der britischen Zentralbank

Der FAZ zufolge hat die Deutsche Bank angekündigt, bis zu 4000 Mitarbeiter aus London abzuziehen und einen Großteil am Main zu stationieren. Insgesamt addiere sich der schon jetzt absehbare neue Flächenbedarf in Frankfurt auf 150.000 bis 200.000 Quadratmeter Bürofläche, so die FAZ − das entspräche der Bürofläche von zwei bis drei vollständigen Hochhäusern. Tatsächlich sollen bis zum Brexit Anfang 2019 im Frankfurter Bankenviertel drei neue Hochhäuser bezugsfertig werden.

Das Finanzzentrum London

Derzeit sind in Londoner Finanzsektor etwa 94.000 Personen beschäftigt. Bis zu 17.000 von ihnen könnten von Verlagerungsplänen ihrer Arbeitgeber betroffen sein. Nur einen Teil davon wird es an den Taunusrand verschlagen. „Ich glaube nicht, dass es große Verwerfungen gibt”, meint dennoch Ex-Zentralbankchef Mervyn King mit Blick auf das Finanzzentrum London. Die Dienste der Londoner City könnten und würden weiterhin genutzt werden, „wenn es sinnvoll ist”. Manche Aktivitäten würden auf Grund des Brexits aus London abwandern, so King: „Bisher haben sich die Finanzunternehmen aber für London entschieden. Sie hätten auch schon früher nach Paris oder Frankfurt abwandern können.” Da war Großbritannien aber noch Teil der EU.

(dpa)