Weiterer Absturz mit der SPD oder Fortschritt mit der CDU: Plakate mit den Kandidaten Hannelore Kraft (SPD) und Armin Laschet (CDU). (Bild: Imago/Manngold)
NRW

Schicksalswahl für alle Eltern

Die Bildungspolitik in Nordrhein-Westfalen ist seit Jahrzehnten ein Drama. Rot-Grün machte „seid 2010“ alles noch schlimmer: Das Gymnasium geschwächt, Unterrichtsausfall überall, Inklusion und Integration mit viel zu wenig qualifiziertem Personal.

Es ist nur eine kleine Randnotiz, aber doch symptomatisch für die Bildungsmisere in Nordrhein-Westfalen: Als die SPD vergangene Woche in großen Zeitungsanzeigen für ihre Bildungspolitik warb, unterlief ihr ein Rechtschreibfehler: „7200 Lehrer mehr seid 2010“ stand da. Bei der Zeitangabe müsste natürlich ein „seit“ stehen. Das Foto des SPD-Inserats wurde tausendfach in den sozialen Medien geteilt und gab zu viel Spott Anlass.

Doch eigentlich wäre Verärgerung angebracht. NRW steht im Ländervergleich des Bildungsmonitors 2016 auf Platz 14, nur Berlin und Brandenburg sind noch schlechter. Der Bildungsmonitor der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft und des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln erfasst anhand von 93 Kriterien die Leistungsfähigkeit des jeweiligen Bildungssystems – von Ganztagsschulen bis zu Schulabbrecherquoten.

In allen Bildungsstudien, egal ob Pisa, TIMSS, IGLU oder IQB-Bildungstrend, belegte NRW in verschiedenen Bereichen hintere Plätze. Auch bei den Ausgaben für öffentliche Schulen steht NRW mit 5900 Euro pro Schüler und Jahr auf dem vorletzten Platz (Bildungsfinanz­bericht vom Dezember 2016). „In Relation zum BIP werden in NRW nur 3,9 % öffentliche Bildungsausgaben getätigt. In anderen Bundesländern beträgt die Quote bis zu 5,2 %“, sagt der Pädagogenverband Bildung und Erziehung (VBE) in NRW.

Und in der Betreuungsquote von Kleinkindern in den Kitas behält das rot-grüne NRW mit einem Schnitt von 25,7 Prozent die „rote Laterne“, meldete die DPA unter Berufung auf das Statistische Bundesamt. Der Rückstand zum Bundesschnitt beträgt hier sieben Punkte.

„NRW-Abitur“ als Chiffre für wacklige Halbbildung

Die schlechten Schulen in NRW sind kein ganz neues Phänomen: Schon seit den 1970er Jahren ist der Begriff „NRW-Abitur“ eine satirische Chiffre für blumig verpackte wacklige Halbbildung – schon damals als Folge SPD-geprägter Bildungspolitik, Leistungs- und Elitenfeindlichkeit. Dank Rot-Grün könnte der Weg zum massenhaft verteilten Billig-Abitur sogar noch breiter werden, denn viele Gymnasien sollen durch Gesamtschulen ersetzt werden. Das planen SPD und Grüne tatsächlich – ausweislich ihrer Programme.

Schicksalswahl für die Gymnasien.

Philologenverband NRW

Zwar hatten sich SPD und Grüne 2011 im „Schulkonsens“ selbst verpflichtet, bis 2023 keine Schulform ohne CDU-Zustimmung abzuschaffen. Doch anscheinend wird der Konsens bereits unterlaufen. Jedenfalls nennt der Philologenverband NRW die Wahl am 14. Mai eine „Schicksalswahl für die Gymnasien“, weil die flächendeckende Umwidmung von Gymnasien in Gesamtschulen sehr konkret drohe – wenn auch zunächst schleichend: Den Gymnasien werde von rot-grüner Seite nahegelegt, auch Haupt- und Realschulabschlüsse zu vergeben, umgekehrt sollen die Gesamtschulen auch das gymnasiale Abitur nach acht Jahren vergeben dürfen. So würden die Gymnasien überflüssig gemacht und sukzessive abgewickelt, kritisiert der Philologenverband. Der Landesrechnungshof hat festgestellt, dass an jedem Gymnasium in Nordrhein-Westfalen im Schnitt zwei Lehrerstellen mit 50 wöchentlichen Unterrichtsstunden fehlen. 67 Prozent der Gymnasien (5. – 9. Klasse) und 76 Prozent der Realschulen (5. – 10. Klasse) bleiben laut Rechnungshof hinter den Vorgaben zurück.

Doch Einheitsschulen á la NRW schneiden in allen Studien miserabel ab, weil dort die guten von den schlechten Schülern heruntergezogen werden. Um diesen Effekt zu mindern, müssten in jeder Klasse mehrere Lehrer unterrichten oder unterschiedlich leistungsfähige Klassen geschaffen werden – das ist jedoch unfinanzierbar (für das Schuldenland NRW sowieso), unrealistisch oder von Rot-Grün nicht gewollt. Die Spanne zwischen einem guten Gymnasiasten und einem schlechten Hauptschüler ist obendrein zu groß, um diese an einer einzigen Schule gemeinsam zu unterrichten.

Humaner Ansatz komplett gescheitert

„Kein Kind zurücklassen“ – diesen lobenswerten Ansatz haben sich SPD-Ministerpräsidentin Kraft und ihre grüne Schulministerin Sylvia Löhrmann aufs Panier geschrieben. Kraft trägt dieses Motto im Wahlkampf wie eine Monstranz vor sich her. Doch an diesem hohen Anspruch ist Rot-Grün gescheitert. „Die Grundschule ist das Stiefkind der Landesregierung“, kritisiert der VBE-Vorsitzende Udo Beckmann. „Die Förderung der Kinder ist in Gefahr.“ Dabei stützt er sich auf eine Erhebung des Verbandes unter den 2800 Grundschulen.

Lehrer werden zerrieben zwischen Integration Zugewanderter, Inklusion Behinderter und Förderanspruch aller anderen Schüler.

Udo Beckmann, Landesvorsitzender des Pädagogenverbandes

Die Klassen in den Grundschulen seien zu groß, die Personalsituation sei miserabel, so Beckmann. Nur 43 Prozent der antwortenden Schulen hätten ein positives Urteil über ihre Gesamtsituation und damit die die rot-grüne Bildungspolitik abgegeben, ermittelte der VBE. Mehr als ein Drittel der Grundschulen hat weniger Lehrer, als ihnen nach dem Stellenschlüssel zustehen. Kurzfristiger Ausfall kann kaum ausgeglichen werden, die landesweite Vertretungsreserve sei löchrig. 2400 Stellen müssten zusätzlich besetzt werden, rechnete Beckmann vor.

Mehrheit der Schüler leidet unter Inklusions-Chaos

Dazu kommt das „Drama mit der Inklusion“, wie es die Welt nennt. Flüchtlings- und Zuwandererkinder sollen gemeinsam mit Einheimischen, Behinderte gemeinsam mit Nichtbehinderten in einer Klasse unterrichtet werden. Doch auch dies scheitert an der dramatisch schlechten Personalsituation. Inklusionsklassen benötigen idealerweise je zwei Lehrer, mindestens einer davon ein geschulter Sonderpädagoge, und maximal 24 Schüler, höchstens fünf davon sollten behindert sein. Doch die meisten Lehrerverbände sowie viele Eltern behinderter Kinder klagen, dass es an ausreichender Ausbildung der Lehrer sowie Personal fehle – Lehrer wie Schüler seien darum überfordert. Es fehlten landesweit mindestens 2400 Lehrer und sogar 7000 Sonderpädagogen, rechnet die Welt vor.

Nur 30 Prozent der Grundschulen sind laut VBE in der Lage, ausreichend Unterricht für Kinder mit Förderbedarf anzubieten. „Inklusion und Integration sind die größten Baustellen“, so Beckmann. „Die meisten Grundschullehrer werden zerrieben zwischen Integration Zugewanderter, Inklusion Behinderter und Förderanspruch auch aller anderen Schülerinnen und Schüler.“ Im CDU-Eckpunktepapier für die Gymnasien steht ein weiterer Fehler der Regierung bei Zugewanderten: „Zudem fordert die Landesregierung durch einen Erlass, dass auch Kinder und Jugendliche ohne ausreichende Deutschkenntnisse sofort am regulären Unterricht teilnehmen.“

Familiennachzug wird Situation deutlich verschlimmern

Nur ein Viertel der Grundschulen bezeichnet die Ausstattung an Räumen und Sachmitteln als ausreichend für das gemeinsame Lernen, so der VBE weiter. Wegen der vielen Flüchtlingskinder könne die Sprachförderung nicht so angeboten werden wie früher – sagen 60 Prozent der Grundschulen laut VBE-Umfrage. Die Situation sei hier sogar deutlich schlechter geworden statt besser.

Die Lage könnte sogar noch dramatischer werden, weil ein großer Teil der Bürgerkriegsflüchtlinge Anrecht auf Familiennachzug hat, voraussichtlich ab März 2018. Die Schätzungen reichen bis zu einer Million nachgezogener Flüchtlinge bundesweit, zehntausende davon für NRW. Dann kommen auch wesentlich mehr Flüchtlingskinder ohne Deutschkenntnisse auf das bereits jetzt überforderte NRW-Schulsystem zu.

Leistungsfähige Schüler kommen unter die Räder

Dass die Mehrheit der einheimischen, nichtbehinderten und leistungsfähigen Schüler massiv unter dem Durcheinander in den Klassenzimmern mit zu großen Klassen und zu wenigen Lehrern leidet, liegt auf der Hand. Hinzu kommt die schlechte finanzielle Situation vieler Kommunen, die für den Schulbau zuständig sind. Marode Schulhäuser sind darum an der Tagesordnung.

„Die Schulministerin sieht tatenlos zu, wie die Grundschulen durch die unvorbereitete Einführung der Inklusion, durch den permanenten Unterrichtsausfall und die nun hinzukommende Unterrichtung von Flüchtlingskindern an ihre Belastungsgrenze stoßen“, kritisiert der Fraktionsvize der Landtags-CDU, Klaus Kaiser. Er beklagt auch, dass die grüne Schulministerin das ganze Ausmaß des Unterrichtsausfalls regelrecht verschleiert. „Das ist bewusste Desinformationspolitik. Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen: das ist die Devise der Schulministerin in Sachen Unterrichtsausfall“, kritisiert der CDU-Fraktionsvize, nachdem ihm auf 52 (!) kleine Anfragen im Landtag nur schwammige Antworten serviert wurden. Er muss sich daher auf Berechnungen der Landeselternschaft der Gymnasien berufen, die die Ausfallzeiten selbst in Kleinarbeit zusammengetragen haben.

Bewusste Desinformationspolitik – nichts sehen, nichts hören, nichts sagen: Das ist die Devise der Schulministerin in Sachen Unterrichtsausfall.

Klaus Kaiser, Fraktionsvize der Landtags-CDU NRW

„Wir wollen eine Unterrichtsgarantie. Um Unterricht zu garantieren, brauchen Schulen eine Lehrerversorgung von 105 Prozent. Wir werden diese Versorgungsquote für die Grundschulen in Nordrhein-Westfalen so schnell wie möglich realisieren“, kündigt Kaiser an. Die CDU hat die Bildung neben der Inneren Sicherheit, der Wirtschafts- und der Verkehrspolitik zu einem der Hauptthemen ihres Wahlkampfs gemacht.