Im Jahr 2016 schossen die Jäger 85.500 Wildschweine in Bayern. (Bild: Andreas Lettow)
Umwelt

Invasion der Wildschweine

Wildschweine setzen die Jägern zunehmend unter Druck: Die Tiere vermehren sich rasant, zerstören Äcker und verursachen Unfälle. Sogar 31 Jahre nach Tschernobyl ist ihr Fleisch noch immer radioaktiv belastet. Der Jagdverband setzt auf zwei Rezepte, um der Wildschweininvasion zu begegnen.

Die Halme sind abgebrochen, die Kolben gefressen, das Maisfeld sieht aus, als ob es eine landwirtschaftliche Maschine durchgepflügt hätte. Schuld daran sind immer öfter Wildschweine. Sie fühlen sich wohl in Bayern. Die Winter sind milder geworden, der Frühling beginnt eher, natürliche Feinde sind ausgerottet und die Landwirte bauen immer mehr Mais an. Optimale Bedingungen für die Tiere, um sich rasant zu vermehren. Doch wenn eine Rotte den Acker auf der Suche nach Nahrung umgräbt, kann das den Landwirt bis zu 1500 Euro kosten. Auch das Risiko, Seuchen wie Schweinepest auf Nutztiere zu übertragen, nimmt zu. Und der Konflikt zwischen Mensch und Tier. So sind Zusammenstöße mit Wildtieren eine der häufigsten Unfallursachen in Bayern. 2015 gab es rund 263.000 Unfälle mit Waldbewohnern, zehn Prozent mehr als im Jahr zuvor.

Jäger unter Druck

Anfang der Achtzigerjahre brachten die Jäger rund 3000 Tiere zur Strecke – in einem Jahr in ganz Bayern. Im vergangen Jahr erlegten sie insgesamt 85.500 Wildschweine, 14.000 mehr als in der Saison davor. „Alleine können wir Jäger diese Herausforderung nicht packen. Die Jagd auf Schwarzwild braucht einen breiten Konsens aller Beteiligten. Nur wenn Landwirte, Förster, Jäger und Politiker zusammenarbeiten werden wir erfolgreich sein“, sagt Jürgen Vocke, Präsident des bayerischen Jagdverbandes.

Alleine können wir Jäger diese Herausforderung nicht packen.

Jürgen Vocke, Präsident des bayerischen Jagdverbandes

Das Wildschweinproblem betrifft ganz Deutschland. Gegenüber dem Mittelwert der vorangegangen fünf Jahre ist die Zahl der erlegten Schwarzkittel um rund 16 Prozent angestiegen auf 610.631 Tiere. Selbst in den Bereichen der Nordsee und in alpinen Gebieten werden sie inzwischen gejagt.

Nächtliche Jagd beunruhigt Rotwild

Helfen sollen „innovative Bejagungsstrategien“, wie es im Landwirtschaftsministerium heißt. Dazu zählt beispielsweise der Einsatz von Nachtzielgeräten. Nach dem Bundesjagdgesetz sind sie zwar verboten. Sogenannte „Einzelanordnungen“ können jedoch nach bayerischem Jagdgesetz bewilligt werden. Doch die Methode hat andernorts Konsequenzen. „Durch den Einsatz von Nachtzieltechnik wird das Wild auch in den notwendigen Ruhezeiten mitten in der Nacht maßgeblich gestört. Dadurch wird insbesondere das Rotwild scheuer und zieht nicht mehr in gleichem Maß auf Freiflächen heraus“, sagt der Präsident. Doch bleibt es vermehrt im Wald, verursachen die Tiere dort erhebliche Schäden.

Laut Vocke müssten die Jäger mehr Bewegungsjagden organisieren. Dabei spüren Treiber und Hunde das Wild auch über Reviergrenzen hinweg auf. An einem Tag kann eine 50-köpfige Jägermannschaft bis zu 100 Tiere erlegen. Auch eine engere Zusammenarbeit zwischen Jägern, Landwirten und Förstern sei wichtig. Sogenannte „Schussschneisen“ in den Feldern erleichtern Jägern ihre Arbeit. Denn in einem hoch stehenden Mais- oder Rapsfeld haben sie kaum Chancen, Wildschweine zu entdecken. Felder sollten zudem nicht zu nah an die Waldgrenze reichen, damit die Tiere nicht direkt ins Dickicht flüchten können.

Vorbild Franken

Wie Bejagungsgemeinschaften funktionieren, zeigen die Beteiligten laut Vocke in Unterfranken. Während es in Oberbayern jahrzehntelang Wildschweine nur im Ebersberger und Forstenrieder Forst gab, haben die Jäger im nördlichen Teil von Bayern seit Generationen gelernt, Schwarzwild zu erlegen. Denn die Tiere sind im Vergleich zu Rotwild blitzschnell. Und sie sind so schlau, dass Sie Orte meiden, an denen eines der ihren erlegt wurde. Der Jagdverband investiert daher in Schulungen für die Jäger sowie in bessere Schießstände. Hier setzt Vocke auch auf finanzielle Unterstützung des Freistaates. Aber vor allem plädiert er für weniger Bürokratie. Verwaltungskosten, wie Genehmigungsgebühren bei Drückjagden, würden das Handwerk der Jäger unnötigerweise erschweren.

Verstrahltes Wildschweinfleisch

So sind immer weniger Jäger bereit, das wirtschaftliche Risiko einzugehen und Reviere zu pachten. Denn bei Wildschäden kommen sie für den Schaden auf, auch wenn in den meisten Fällen die Jagdgenossenschaft die Hälfte des Anteils übernimmt. Klappt es mit dem Abschuss, muss der Jäger zudem wieder zahlen – und zwar für die Kontrolle des Fleisches auf Radioaktivität. 31 Jahre nach der Atomkatastrophe von Tschernobyl sind viele Wildschweine immer noch mit radioaktivem Caesium belastet. Im vergangen Jahr lag rund 30 Prozent des kontrollierten Wildschweinfleisches in Bayern über dem Grenzwert von 500 Becquerel. Im Winter kann die Belastung sogar bei bis zu 4000 Becquerel liegen. Denn in der kalten Jahreszeit graben die Tiere tiefer im Boden nach Nahrung. Dort finden sie unter anderem das Wurzelwerk von Pilzen, die stark mit radioaktiven Stoffen belastet sind. Immerhin bekommen die Jäger die Kosten für Aufwand und den Verlust des Wildbrets vom Bundesverwaltungsamt erstattet. Für ein ausgewachsenes Wildschwein können das bis zu 210 Euro sein, für Frischlinge rund 100 Euro.

Wildschweinrouten digital

Neben Bejagungsgemeinschaften baut der bayerische Jagdverband auf eine intensive Vernetzung aller Beteiligten. Dazu hat er vor eineinhalb Jahren ein System entwickelt, das den Wildschweinbestand digital erfasst. Es verzeichnet neben erlegten und gesichteten Tieren verursachte Schäden, Streckenstatistiken und Wanderbewegungen. 1100 User haben sich bereits registriert. Jäger profitieren dabei vor allem, wenn sie innerhalb weniger Stunden auf gemeldete Schäden reagieren. „Diesen Vorteil müssen wir noch stärker nutzen“, sagt Vocke. Wer kommuniziert, hat Erfolg, lautet das Motto.

Weniger Unfälle mit dem Wildwechselradar

Interessant für die Jägerschaft ist die Entwicklung des Startup „Wuidi“. Das junge Unternehmen hat eine App entwickelt, die Autofahrer vor Kollisionen mit Wildschweinen warnt. Eine Erweiterung bezieht Jäger mit ein. Nach der Registrierung können Jagdpächter ihre individuellen Gefahrenschwerpunkte im Revier angeben. Kommt es doch zum Wildunfall, können sie diesen direkt mit dem Autofahrer abwickeln. Lesen Sie mehr dazu: App „Wuidi“ bald im Navi?

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App `Wuidi´ schützt vor Wildunfällen