Berliner Wohlwollen für Cameron
Premierminister David Cameron hat in Berlin mit Bundeskanzlerin Angela Merkel seine EU-Reformwünsche besprochen. In manchen Punkten kann er auf Unterstützung rechnen: Berlin möchte London gerne in der EU halten. Bis Ende 2017 sollen die Briten über die EU-Mitgliedschaft ihres Landes abstimmen. Derzeit würden 45 Prozent der Wähler mit "Ja" stimmen.
Brexit

Berliner Wohlwollen für Cameron

Premierminister David Cameron hat in Berlin mit Bundeskanzlerin Angela Merkel seine EU-Reformwünsche besprochen. In manchen Punkten kann er auf Unterstützung rechnen: Berlin möchte London gerne in der EU halten. Bis Ende 2017 sollen die Briten über die EU-Mitgliedschaft ihres Landes abstimmen. Derzeit würden 45 Prozent der Wähler mit "Ja" stimmen.

„Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg, das hat Europa schon häufig beweisen.“ Mit den freundlichen Worten kam Bundeskanzlerin Merkel aus dem Gespräch mit Großbritanniens Premierminister David Cameron in Berlin. Der Premier beendete in Berlin eine kleine Europa-Tour, die ihn zuvor nach Den Haag, Paris und Warschau geführt hatte. Cameron will mit den europäischen Kollegen über seine Vorstellungen von EU-Reformen sprechen. Bis spätestens Ende 2017 will Cameron seine britischen Wähler darüber abstimmen lassen, ob Großbritannien Mitglied der EU bleiben soll oder nicht. Wenn die Briten die Abstimmungsfrage mit Ja beantworten sollen, müssen bis dahin EU-Reformen im britischen Sinne unter Dach und Fach sein.

Offenbar strebt Cameron jetzt doch Änderungen der EU-Verträge an. Das macht Merkels wohlwollenden Satz auf der Pressekonferenz nach dem Gespräch wichtig: Berlin ist nicht grundsätzlich dagegen. Änderungen könnten auch im deutschen Interesse sein, deutete Merkel an: „Wir wollen den Prozess konstruktiv begleiten.“

London will EU-Sozialtourismus begrenzen

Was wollen die Briten? Besonders wichtig sind London Korrekturen im Bereich der Freizügigkeit. Um sogenannten Sozialtourismus zu begrenzen, will Camerons Konservative Partei Wohlfahrtsleistungen für EU-Ausländer beschränken. So soll es etwa Sozialleistungen erst nach vier Jahren Aufenthalt im Lande geben. Für Kinder, die nicht im Lande leben, will London kein Kindergeld mehr zahlen.

Das wären Korrekturen, die auch im deutschen Interesse sein könnten. Das Prinzip der Freizügigkeit fällt für Merkel zwar unter eine unantastbare „rote Linie“. Aber bei den Sozialleistungen, so die Bundeskanzlerin, müsse es eine „faire Balance“ geben.

Auf Granit gestoßen ist Cameron mit diesem Wunsch allerdings nur Stunden vorher in Warschau. Polens Ministerpräsidentin Ewa Kopacz will von solchen Veränderungen am Recht der EU-weiten Freizügigkeit  – sie spricht von „diskriminierenden Regelungen“ – nichts wissen. Kein Wunder: Derzeit leben und arbeiten etwa 800.000 Polen im Vereinigten Königreich.

Mehr Rechte für Nicht-Euro-Länder

Sehr viel mehr schmecken dürfte den Polen dafür ein anderer britischer Wunsch: Mehr Rechte für jene zehn EU-Länder, die nicht der Eurozone angehören. Dazu zählt auch Polen. Und Warschau hat das erst kürzlich wieder betont, der Eurozone erst nach dem Jahr 2020 beitreten zu wollen. Derzeit können die 18 Euro-Länder den Rest der Gemeinschaft majorisieren.

David Cameron will Großbritannien unbedingt in der EU halten. Britische Interessen seien am besten in der Gemeinschaft der 28 zu realisieren, so der Premier in Berlin. Aber auf der Grundlage von Reformen. Die Chancen, dass Camerons Wähler am Referendumstag in seinem Sinne entscheiden, stehen – derzeit jedenfalls – gut: Der jüngsten Umfrage des britischen Meinungsforschers YouGov zufolge sprechen sich derzeit etwa 45 Prozent der Briten für den Verbleib in der EU aus – vor genau drei Jahren waren es nur 28 Prozent.

Deutschlands Interesse an britischer EU-Mitgliedschaft

„Wir wünschen uns ein starkes Großbritannien in der Europäischen Union“, hatte Regierungssprecher Steffen Seibert vor Camerons Ankunft in Berlin betont. Aus deutscher Sicht gibt es viele gute Gründe, auf ein positives pro-EU-Votum der Briten zu hoffen: Wie Cameron liegt auch Merkel daran, darauf hin zu wirken, dass Brüssel nicht mehr Macht gegenüber den Nationalstaaten gewinnt. In der Wirtschaftspolitik steht Berlin den liberalen, freihändlerischen Briten näher als etwa Frankreich. Die Exportnation Deutschland will den großen britischen Markt nicht verlieren: Deutsche Unternehmen haben in Großbritannien 121 Milliarden Euro investiert – etwa so viel wie in Frankreich, China und Italien zusammen. Wenn die EU außenpolitisch etwas darstellen will, kann sie auf Großbritannien – Atommacht mit ständigem Sitz im UN-Sicherheitsrat – nicht verzichten. Eine weitere Gefahr: Wenn die Briten die EU verlassen, könnten auch anderswo in der Gemeinschaft die EU-Skeptiker gefährlich Aufwind bekommen.

Völlig ausgeschlossen ist es also nicht, dass Cameron für seine Reformwünsche Unterstützung erhält – nicht nur von Deutschland.