Der Lehrerverband stellt die Schulnoten infrage, die meisten Deutschen wollen sie aber behalten. (Foto: Imago/Action Pictures)
Noten

An der Realität vorbei

Rund eine Million Schülerinnen und Schüler in Bayern erhalten diesen Freitag zum Ende des ersten Schulhalbjahres ein Zwischenzeugnis. Wieder einmal erheben sich Forderungen, die Noten abzuschaffen. Doch die große Mehrheit der Deutschen wie auch einige Lehrerverbände lehnen das ab.

Der Bayerische Lehrerverband BLLV fordert, die Vergabe von Schulnoten abzuschaffen. BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann sprach sich stattdessen für eine „differenziertere und individuellere Leistungsbewertung“ aus. „Was bringt einem Kind eine Fünf auf dem Zwischenzeugnis? Motivierend ist das nicht“, sagte Fleischmann. Sie hält vor allem sogenannte Lernentwicklungsgespräche für eine moderne Möglichkeit des Feedbacks in Schulen. „In diesen Gesprächen kann der Lehrer dem Kind Kritisches viel besser vermitteln als mit einem Zeugnis“, sagt die BLLV-Präsidentin. Die Gespräche werden bislang in den ersten beiden Grundschulklassen angeboten und können freiwillig in Anspruch genommen werden. Der BLLV hält es für möglich, diese Gespräche auch in anderen Jahrgängen und an anderen Schulformen anzubieten. Je näher der Termin der Zeugnisvergabe rücke, besonders in der vierten Klasse, „umso größer die Angst“ – das habe sie in ihren Jahren als Schulleiterin immer wieder beobachten können, so Fleischmann.

Wir müssen weg von den Noten.

Marlis Tepe, GEW

Auch die Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Marlis Tepe, hat sich für die Abschaffung von Schulnoten ausgesprochen. „Zensuren sind nicht objektiv. Wir müssen weg von den Noten, hin zu individuellen Berichten, weil sie den persönlichen Lernfortschritten der Kinder viel gerechter werden“, sagte sie der Bild-Zeitung. Tepe betonte, der Verzicht auf Noten sollte „nicht nur in Grundschulen, sondern in allen Schultypen praktiziert werden“.

Noten sollen bleiben

Kritik kam dagegen von der Vorsitzenden der Kultusministerkonferenz (KMK), Susanne Eisenmann (CDU): „Schule muss leistungsorientiert sein. Deshalb gehören auch Noten zur Leistungsmessung dazu.“ Ähnlich äußert sich auch Heinz-Peter Meidinger, Chef des Deutschen Philologenverbandes: „Es gibt keine Alternative zu Noten und Schulkinder wollen das auch.“ Eine große Mehrheit der Deutschen stimmt Eisenmann und Meidinger zu. Einer Umfrage des Kölner Meinungsforschungsinstituts YouGov vom vergangenen September zufolge halten drei von vier Deutschen Schulnoten weiterhin für sinnvoll – im Osten (81 Prozent) sogar noch mehr als im Westen (74 Prozent). Dass Schüler bei miesen Leistungen sitzenbleiben müssen, finden mehr als 80 Prozent richtig – für 33 Prozent ist das Wiederholen einer Klasse „sehr sinnvoll“, für 48 Prozent immerhin noch „eher sinnvoll“.

Schule muss leistungsorientiert sein. Deshalb gehören auch Noten zur Leistungsmessung dazu.

Susanne Eisenmann, CDU

„Das Zeugnis gibt eine Rückmeldung über die bisher erbrachten Leistungen in diesem Schuljahr. Sie können Ansporn sein, sich auch im zweiten Halbjahr engagiert und interessiert am Unterricht und Schulleben zu beteiligen“, betonte Bayerns Bildungsminister Ludwig Spaenle. „Fallen die Zeugnisse weniger erfreulich aus, so haben Eltern und ihre Kinder die Chance, zusammen mit Lehrkräften nach den Ursachen für den aktuellen Leistungsstand zu suchen.“ Bereits heute könnten zudem an Bayerns Schulen je nach Schulart dokumentierte Lernentwicklungsgespräche und zweimalige Informationen zum Notenbild Zwischenzeugnisse ersetzen. Zwischenzeugnisse gibt es an bayerischen Grund-, Mittel- und Realschulen sowie an Gymnasien, ebenso an den meisten beruflichen Schulen. An den Gymnasien beziehungsweise Realschulen können die Zwischenzeugnisse in den Jahrgangsstufen 5 bis 8 einheitlich durch zwei schriftliche Informationen über das Notenbild ersetzt werden. Die Entscheidung darüber trifft die Lehrerkonferenz im Einvernehmen mit dem Elternbeirat zu Beginn des Schuljahres. An Grundschulen kann das Zwischenzeugnis in den Jahrgangsstufen 1 bis 3 durch ein dokumentiertes Lernentwicklungsgespräch ersetzt werden. Im Schuljahr 2015/2016 entschieden sich rund zwei Drittel der Grundschulen für diese Variante.

Kritik am BLLV

Simone Fleischmann ist Rektorin einer oberbayerischen Grund- und Mittelschule und seit Mai 2015 Präsidentin des BLLV. In diesem Verband sind Lehrer aller Schularten Mitglied, darunter 2500 Gymnasiallehrer, vor allem aber (historisch bedingt) Grund- und Mittelschullehrer. Viele Lehrer fühlen sich allerdings nicht vom BLLV vertreten, weil dieser trotz der bayerischen Spitzenplätze in allen Bildungsstudien oft eher linke Bildungsideen vertritt – die in SPD-regierten Bundesländern obendrein schon ihre Unzulänglichkeit bewiesen haben. So tritt der BLLV für die Freigabe des Elternwillens beim Übertritt ein, was aber beispielsweise in Baden-Württemberg laut Max Schmidt vom Bayerischen Philologenverband nur dazu führte, dass viele Kinder trotz fehlender Eignung von ihren Eltern zum Gymnasium oder zur Realschule gemeldet wurden – und dadurch die Durchfallerquote in der fünften Klasse Gymnasium vervierfacht und in der Realschule verdoppelt wurde.

Wir sprechen uns daher für ein längeres gemeinsames Lernen aus, das durchaus zehn Jahre gehen kann.

Simone Fleischmann, BLLV, im September 2016

Der BLLV scheint zudem in seinen Positionen beinahe jede Leistungsanforderung an die Schüler als etwas Schlechtes anzusehen. Der Sinn von Hausaufgaben wird beim BLLV infrage gestellt, weil nicht jeder Schüler „zu Hause die nötige Unterstützung“ bekäme. Sitzenbleiben lehnt der Verband ab, ebenso die Dreigliedrigkeit des Schulsystems, weil dies „jede Chance auf Entwicklung“ verhindere, so Fleischmann in der Bayerischen Staatszeitung. Die vielen Bildungsstudien, die Bayern eine hervorragende Entwicklung bescheinigen, scheinen für sie keine Rolle zu spielen. Fleischmann sprach sich zudem in der Bayerischen Staatszeitung „für ein längeres gemeinsames Lernen aus, das durchaus zehn Jahre gehen kann“ aus, was verdächtig nach Gemeinschaftsschule klang. Dies ist die SPD-Schulidee aus der Mottenkiste, die in verschiedenen Studien bereits negativ eingestuft wurde, weil sie die starken Schüler schwächer macht und den schwachen Schülern nicht hilft. Bezeichnend: In der Notendiskussion stellte sich der bildungspolitische Sprecher der SPD, Martin Güll, auf die Seite des BLLV.

Auch politisch äußert sich der BLLV immer wieder, etwa gegen TTIP („Damit Bildung nicht zur Ware verkommt“) oder gegen das bayerische Integrationsgesetz („wirkt abschreckend und ist fragwürdig formuliert“). Die in diesem Gesetz angedrohten Sanktionen bei fehlender Integrationsbereitschaft seien geeignet, „Vorbehalte und Vorurteile zu verstärken“, behauptet der BLLV. Der Verband sieht gar die Gefahr, dass einzelne Passagen des Gesetzes genutzt würden, „um Flüchtlinge auszugrenzen und zu diskriminieren“. Gefordert wird in der Pressemitteilung deshalb: „Wir brauchen eine Willkommenskultur. (…) Wir warnen davor, durch Hetze und Polemisierung ein gesellschaftliches Klima zu befördern, das Gewalt begünstigt und unsere Arbeit in den Schulen gefährdet.“

Andere Lehrerverbände sind für die Noten

Rund 20.000 Lehrer, meist Gymnasiallehrer, sind im Bayerischen Philologenverband (bpv) versammelt. Zudem gibt es noch den Bayerischen Realschullehrerverband (brlv), der rund 80 Prozent der Lehrer aus dieser Schulart vertritt, den Verband der Lehrer an beruflichen Schulen in Bayern (VLB) sowie die Katholische Erziehergemeinschaft Bayern (KEG). Diese vier Verbände haben sich zusammen in der Arbeitsgemeinschaft bayerischer Lehrerverbände (abl) organisiert.

Das Zwischenzeugnis zeigt auf, wie erfolgreich das Lernen im ersten Halbjahr war und wo eventuell im zweiten noch Nachholbedarf besteht.

Michael Schwägerl, bpv

Für den Vorsitzenden des Bayerischen Philologenverbandes (bpv), Michael Schwägerl, sind die Zwischenzeugnisse, die am Freitag vergeben werden, eine wichtige Rückmeldung über die Leistungen der Schüler im ersten Halbjahr: „Das Zwischenzeugnis ist – wie der Name schon sagt – eine Bilanz zur Hälfte des Schuljahres. Damit zeigt es auf, wie erfolgreich das Lernen im ersten Halbjahr war und wo eventuell im zweiten noch Nachholbedarf besteht. Für Schüler, Eltern und Lehrer ist es damit ein wichtiges Instrument, um den individuellen Leistungsstand zu erfahren.“ Die Zeugnisse zeigten die gemachten Lernfortschritte und Lernerfolge.

Wer den Menschen vorgaukelt, dass ohne entsprechende Rückmeldung die erforderliche Bildungsqualität gehalten werden kann, der spielt mit der Leistungsfähigkeit und der Zukunft unserer Kinder und unseres Landes.

Jürgen Böhm, brlv

Der Vorsitzende des Bayerischen Realschullehrerverbands, Jürgen Böhm, warnt vor unnötiger Panikmache. „Wie beim Fußball ist zur Halbzeit ein Spiel noch nicht entschieden und es geht nun darum, mit der richtigen Einstellung in die zweite Halbzeit zu gehen, um das Ergebnis gegebenenfalls noch zu verbessern.“ Die Vergabe von Noten in Frage zu stellen, lehnt Böhm klar ab. „Die Bewertung in Form von Noten ist ein wichtiges Instrument zur Leistungsbeurteilung“, verdeutlicht er. „Jugendliche brauchen Orientierung.“ Der brlv-Chef verweist darauf, dass sich Prüfungen an den Realschulen stets auch an den Anforderungen im Berufsleben ausrichten. „Die Realschulfamilie schätzt unseren Praxisbezug, die verschiedenen Differenzierungsmöglichkeiten und erwartet von uns, dass wir die Praxis der Notenvergabe beibehalten“, so der Landesvorsitzende. „Alle Forderungen nach Abschaffung von Noten gehen an der Lebensrealität der jungen Menschen weit vorbei. Im späteren Berufsleben erhalten die zukünftigen Fachkräfte permanent Rückmeldungen über erbrachte Leistungen und müssen sich an diesen orientieren. Wer den Menschen vorgaukelt, dass ohne entsprechende Rückmeldung die erforderliche Bildungsqualität gehalten werden kann, der spielt mit der Leistungsfähigkeit und der Zukunft unserer Kinder und unseres Landes“, so Böhm abschließend.

Immerhin in einem sind sich alle einig, Lehrerverbände wie auch Spaenle und die Bayerische Familienministerin Emilia Müller. An die Eltern appellieren sie, bei schlechten Noten besonnen und ruhig zu reagieren. Kinder brauchten vielmehr Verständnis und Zuwendung.