Der Schirmherr besucht den vierten Stamm Bayerns: Ministerpräsident Horst Seehofer beim 66. Sudetendeutschen Tag in Augsburg. (Bild: Wolfram Göll)
Sudetendeutscher Tag

Die Zeichen stehen auf Versöhnung

Beim Sudetendeutschen Tag in Augsburg stehen die Zeichen auf Versöhnung mit den Tschechen – sehr zur Freude des Schirmherrn, Bayerns Ministerpräsident Seehofer. Volksgruppensprecher Bernd Posselt erhielt großen Beifall für eine Satzungsänderung, die den Begriff „Wiedergewinnung der Heimat“ streicht. Zwei Botschaften aus Prag und Brünn ließen aufhorchen.

Ausgerechnet ein Satz aus dem Vaterunser gab die Grundmelodie des 66. Sudetendeutschen Tages vor: „Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.“ Dieser Satz stand im Mittelpunkt zweier wichtiger Reden der Hauptkundgebung in der Augsburger Schwabenhalle: Sowohl der Volksgruppensprecher der Sudetendeutschen, Bernd Posselt, als auch der tschechische Vizepremierminister Pavel Bělobrádek zitierten diese vierte Bitte des wichtigsten Gebets der Christenheit.

Bělobrádek hatte sein Grußwort per Videobotschaft nach Augsburg übermittelt, weil er gleichzeitig auf dem Parteitag der Tschechischen Christdemokraten (KDU-ČSL) in Zlín mit großer Mehrheit zum Parteichef gewählt wurde. Das Christentum habe Tschechen und Deutsche über die Jahrhunderte verbunden, betonte Bělobrádek in seiner Botschaft – in diesem Geist hoffe man nun auf Versöhnung. Der Vizepremier zitierte den früheren Staatspräsidenten Václav Havel, der immer gesagt habe: „Die Wahrheit befreit.“

Individuelle Schuld, kollektive Verantwortung

Posselt betonte: „Auch Angehörige unserer Volksgruppe haben schwere Schuld auf sich geladen. Wir stehen zur Aufarbeitung.“ Die Sudetendeutschen leugneten nicht die „Kausalität“ zwischen dem Zweiten Weltkrieg und der Vertreibung. Die Sudetendeutschen seien bereit zu der Zusammenarbeit mit dem tschechischen Volk, wenn dieses ebenso bereit zur Versöhnung sei.

Aber unmissverständlich stellte Posselt auch klar: „Die Vertreibung der Sudetendeutschen war kein Kollateralschaden des Zweiten Weltkrieges, sondern ein eiskalt geplantes Nachkriegsverbrechen.“ Das Gros der Vertreibung habe nämlich erst im Sommer 1946 begonnen, also mehr als ein Jahr nach dem Ende des Krieges. Hier dürfe keine falsche Geschichtssicht einreißen. Es gebe keine Kollektivschuld der ganzen Volksgruppe für den Zweiten Weltkrieg oder Hitler, betonte Posselt. Schuld sei immer eine individuelle Kategorie. „Individuelle Schuld, aber kollektive Verantwortung: Dieser stellt sich unsere Volksgruppe vollständig“, so Posselt. Aufklärung und Dokumentation sei und bleibe wichtig, „damit sich diese Geschichte nie wiederholt“. Friede uns Partnerschaft in Europa gebe es nur, wenn wirklich alles auf den Tisch kommt“, betonte Posselt.

„Wiedergewinnung der Heimat“ kann missverstanden werden

Im Frühjahr 2015 hatte Bernd Posselt im Bundesvorstand der Sudetendeutschen Landmannschaft durchgesetzt, dass die Begriffe „Wiedergewinnung der Heimat“ und „gleichwertige Entschädigung“ aus der Satzung gestrichen werden. 72 Prozent Zustimmung hatte er dafür erhalten. Derzeit tobt ein juristischer Streit um die gerichtliche Eintragung dieser Satzungsänderung. Posselt befürchtete einerseits, dass dieser aus den 1950er Jahren stammende Begriff immer noch als Rückeroberungs-Androhung verstanden werden könnte. „Wiedergewinnung der Heimat im Sinn von Grenzänderungen ist weder möglich noch wünschenswert“, betonte Posselt. Außerdem seien immer mehr jüngere, nachgeborene Sudetendeutsche nicht mehr bereit, sich mit solchen Begriffen zu identifizieren.

Von einer kleinen Gruppe rechtsgerichteter Kritiker musste sich Posselt auf dem Sudetendeutschen Tag auch einige Buhrufe und Pfiffe gefallen lassen, die ich in den freilich weitaus überwiegenden Beifall mischten. Während Posselts Rede verstummten diese Störer allerdings, teilweise verließen sie demonstrativ den Saal. An deren Adresse richtete Posselt den Vorwurf, sie wollten die Annäherung zwischen Sudetendeutschen und Tschechen „ganz bewusst für Agitationen nutzen“. Dafür sei die Volksgruppe aber „zu wichtig und zu kostbar“.

Wir geben den Extremisten und Hetzern keinen Millimeter Raum in unserem Lande.

Horst Seehofer, Bayerischer Ministerpräsident

Sehr deutlich war die Positionierung des Schirmherrn der Sudetendeutschen Volksgruppe, Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer, der zuvor stilecht mit dem Bayerischen Defiliermarsch und dem Egerländer Marsch begrüßt worden war. Seehofer bezeichnete Posselts Rede als „historisch“. Den Volksgruppensprecher Bernd Posselt selbst nannte Seehofer einen „Menschen der Tapferkeit“, einen „Brückenbauer und Türöffner“ – und das ohne den eigenen Standpunkt zu unterschlagen oder zu relativieren. Der Ministerpräsident stellte klar: „Wir geben den Extremisten und Hetzern keinen Millimeter Raum in unserem Lande.“

Allerdings dürfe auch nie vergessen werden, dass die Vertreibung von 3,5 Millionen Sudetendeutschen „eines der schwersten Verbrechen des 20. Jahrhunderts“ gewesen sei. Nach dem Krieg hätten sich die Sudetendeutschen hervorragend in Deutschland und Bayern eingelebt, hätten nicht nach Hilfe durch „Vater Staat“ gerufen, sondern angepackt. Die Ortsnamen Neu-Gablonz, Bubenreuth, Waldkraiburg, Geretsried und Traunreuth stünden sinnbildlich für die Tatkraft und die Aufbauleistung der Sudetendeutschen nach dem Krieg.

Mit uns leben, nicht gegen uns

„Heimat bewahren und Zukunft gestalten. Unser vierter Stamm, die Sudetendeutschen, haben entscheidenden Anteil an der Kultur Bayerns und sind eine große Bereicherung“, betonte Seehofer. Die Sudetendeutschen sollten ein leuchtendes Vorbild für alle heutigen Neubürger Deutschlands sein: „Wer zu uns kommen will, muss mit uns leben wollen, nicht neben oder gegen uns“, so der Ministerpräsident.

Seehofer wörtlich: „Die Sudetendeutschen sind überzeugte Europäer, weil sie wissen, dass die Wiederholung der Geschichte nur durch Versöhnung verhindert werden kann.“ Die Sudetendeutschen mahnte Seehofer zur Geduld. In der tschechischen Gesellschaft und Politik wachse die Bereitschaft, eigene Schuld anzuerkennen. „Der Prozess ist unumkehrbar“, so Seehofer. Das zeige unter anderem die Eröffnung der bayerischen Repräsentanz in Prag im Dezember 2014 unter Teilnahme des tschechischen Premierministers und zahlreicher Minister sowie der Sudetendeutschen in Gestalt von Bernd Posselt, betonte Seehofer.

Stadt Brünn bittet um Vergebung für Todesmarsch

Aufhorchen ließ unterdessen eine Erklärung des Stadtrats der mährischen Gebietshauptstadt Brünn, die den Brünner Todesmarsch, den Auftakt zur Wilden Vertreibung vor genau 70 Jahren, verurteilt sowie gleichzeitig um Vergebung und Versöhnung bittet. Beim Brünner Todesmarsch waren Ende Mai 1945 rund 20.000 bis 30.000 deutsche Bewohner Brünns – großteils Frauen, Kinder und Alte – im ehemaligen Mendel-Kloster gesammelt und dann zu Fuß über 70 Kilometer nach Niederösterreich getrieben worden. Tausende Menschen starben dabei und wurden in Massengräbern verscharrt.

Der Brünner Oberbürgermeister Petr Vokřál hatte diese Vergebungs-Erklärung bereits beim Brünner Symposium der Ackermann-Gemeinde Ende März angekündigt. Der Bundesvorsitzende der Ackermann-Gemeinde, Martin Kastler, hatte diese Ankündigung umgehend begrüßt sowie anschließend einen Kranz an einem Mahnmal des Todesmarsches bei einem der Massengräber niedergelegt (BK berichtete). Kommendes Wochenende wird ein symbolischer „Lebensmarsch“ in umgekehrter Richtung, von Niederösterreich nach Brünn, an dieses schreckliche Ereignis erinnern. Daran wollen Bernd Posselt, Martin Kastler sowie die Brünner Stadtspitze teilnehmen.