Starringer ist stolz auf die designte Lederhose mit integriertem Telefon. (Bild: Anja Schuchardt)
Innovation Textil

Faden trifft Elektrode

Der Familienbetrieb Starringer zeigt, wie sich Technik sinnvoll in Stoffe integrieren lässt und Tradition trotzdem nicht auf der Strecke bleibt.

Jessica Seidel umarmt die ältere Dame unterhalb der Arme, hebt sie vom Bett in den Rollstuhl, bückt sich und zieht ihr die Schuhe an. Als die Altenpflegerin in die Hocke geht, schlagen mehrere Kurven auf dem iPad von Rena Starringer aus. Verantwortlich dafür ist die Kleidung der Pflegerin. Das T-Shirt liegt eng am Körper an, entlang der Wirbelsäule befindet sich ein Reißverschluss. Er sieht aus, wie ein modisches Accessoire. Tatsächlich verbirgt sich dahinter ein Strang mit Sensoren. Das Oberteil ist durch Druckknöpfe mit der Hose verbunden, damit nichts verrutscht. Das würde die Datenmessung verfälschen.

Daten, die sowohl für die Pflegerin, als auch für ihre Arbeitgeber, das Pflegeheim, große Bedeutung haben. Denn was die Sensoren messen, ist ein Indiz dafür, ob Jessica sich bei der Arbeit mit ihren Patienten überlastet, beispielsweise ihre Rückenmuskulatur schädigt oder zu viele Aufgaben übernimmt. Außerdem erspart die digitale Aufzeichnung der Bewegungsabläufe das schriftliche Protokoll – was Pfleger im Arbeitsalltag viel Zeit kostet.

Faden trifft Elektrode: Garderobe 2.0Play Video
Faden trifft Elektrode: Garderobe 2.0

Tragekomfort mit Mehrwert

Seit 15 Jahren beschäftigt sich der Schneiderbetrieb Starringer aus dem oberbayerischen Schrobenhausen mit der Frage, wie Technik und Kleidung sinnvoll zusammenspielen können. Damals begann Firmenchef Knut Starringer an regenfesten Motorradanzügen zu tüfteln. Inzwischen gibt es bei ihm Wanderjacken aus Fallschirmseide und Warnwesten mit LED-Leuchten. Für den Begriff „Wearable Technologies“ hat Starringer eine eigene Definition: „Wir wollen Technik in Kleidung so integrieren, das sie einen Mehrwert bietet und derjenige, der sie trägt, nichts davon spürt.“

Zu Zeiten von Ministerpräsident Edmund Stoiber, als der geflügelte Satz ‚Laptop und Lederhose‘ in aller Munde war, haben wir dieses Kleidungsstück entwickelt. Es vereint Tradition und Innovation.

Knut Starringer

Dass es nicht immer nur sinn- sondern auch mal reizvoll sein darf, zeigt ein Blick auf Starringers Kleiderständer. Dort baumelt ein Paar Kopfhörer zwischen zwei Lederhosenbeinen, im Träger ist ein münzgroßer Lautsprecher integriert, seitlich eine textile Tastatur eingenäht: eine Lederhose, mit der Burschen telefonieren können. „Zu Zeiten von Ministerpräsident Edmund Stoiber, als der geflügelte Satz ‚Laptop und Lederhose‘ in aller Munde war, haben wir dieses Kleidungsstück entwickelt. Es vereint Tradition und Innovation – so wie in unserem Unternehmen“, sagt Starringer. Die Krachlederne ist für 1.500 Euro zu haben, Neuanfertigungen kosten 1.850 Euro.

Die Verbundenheit mit der bayerischen Heimat zeigt sich auch in der Einkaufspolitik. Vom Faden bis zum Sensor kauft Starringer ausschließlich Materialien aus Deutschland und Österreich ein. Seine Wurzeln hat der Schneider in der Trachtenmode. 1961 gründeten die Starringers den kleinen Handwerksbetrieb. Heute führt Knut Starringer den Laden in zweiter Generation. Wer bei ihm klingelt, steht vor einem Wohnhaus. Die Nähstube erinnert mit ihrer Wohnzimmergröße eher an eine Hobbywerkstatt. Hier schneidert Knut mit seinem neunköpfigen Team an verschiedensten Modellen. Auch die Seniorchefin hilft mit über 80 Jahren noch täglich mit aus. Das einstige Kerngeschäft, Trachtenmode, findet heute aber nur noch Abnehmer bei Liebhabern. Sein Geld verdient Knut mit Sonderanfertigungen für Unternehmen und der Motorradbekleidung.

Sensoren für Pfleger

Die Entwicklung des Daten-Dresses hat Starringers Tochter Rena seit drei Jahren vorangetrieben. Die Textilingenieur-Studentin hat unter anderem am passenden Material – eine Mix aus Polyester und Zellwolle – für die Pflegekleidung getüftelt. Durch ihr Studium hat sie sich zu einer Expertin auf dem Gebiet der verschiedenen Stoffe gemausert. „Vom Aspekt der chemischen Aufbereitung her zeigt Rena mir, was da noch alles Wunderbares möglich ist und wie viel Luft wir noch nach oben haben“ sagt Vater Starringer.

Bei der Entwicklung der „schlauen“ Pflegebekleidung werden die Starringers von Mitarbeitern des Fraunhofer Instituts für Intergrierte Schaltungen in Erlangen und der Diakonie unterstützt. Derzeit testen Pfleger in der Seniorenwohnanlage Mögeldorf in Nürnberg 20 Modelle. Marktreif soll das System in etwa drei Jahren sein. „Für Pflegeheime wird es immer schwieriger Personal zu finden. Die innovative Garderobe könnte Heimen helfen, sich auf dem Markt zu positionieren“, prophezeit Knut.

Spagat zwischen Forschung und Tagesgeschäft

Etwa 180.000 Euro haben die Starringers bisher in das Bekleidungsprojekt für Pflegeeinrichtungen gesteckt. Möglich war das nur mit finanzieller Unterstützung des Staates. Knapp 45 Prozent der Kosten hat Starringer durch Fördermittel des Bundesforschungsministeriums decken können. Weitere Bewerbungen um Geld aus Fördertöpfen, auch in Bayern, laufen. „Wir müssen immer den Spagat zwischen Forschung und Entwicklung und dem Tagesgeschäft schaffen. Aber ohne Fördermittel geht es nicht. Da wären wir immer noch eine Hinterhofschneiderei“, sagt der Schneider. Die Kosten, die Heime für Shirt und Hose aufbringen müssen, lassen sich noch nicht eindeutig berechnen. Klar ist, dass die Wäsche nicht zum Kauf, sondern zur Miete angeboten werden soll.

Aber ohne Fördermittel geht es nicht. Da wären wir immer noch eine Hinterhofschneiderei.

Knut Starringer

Die Schneider aus Schrobenhausen haben schon wieder neue Pläne. Für ihre jüngste Idee haben sie Anfang des Jahres den zweiten Platz beim Bayerischen Businessplan Wettbewerb eingeheimst: eine Hose, die stützen, wärmen und kühlen kann. Gedacht für den Einsatz beim Training oder bei Reha-Patienten. Aber bis sie dieses Projekt ernsthaft angehen, müssen sie noch am Shirt für Pflegekräfte arbeiten: Die Sensoren sollen noch kleiner werden. Auch wenn der Reißverschluss entlang des Rückens optisch ganz nett aussieht – Funktionalität und Tragekomfort gehen vor.