500 Jahre Religionskritik
Unauflösbarer Konflikt: Für Mohammedaner ist Religionskritik eine Todsünde - im wörtlichen mörderischen Sinne. Für Protestanten war Martin Luthers Religionskritik die Geburtsstunde. Ohne sie könnte es die evangelische Kirche gar nicht geben. Für alle Christen ist Religionskritik seit der Reformation unveräußerliches Geburtsrecht.
Debatte um Glauben

500 Jahre Religionskritik

Kommentar Unauflösbarer Konflikt: Für Mohammedaner ist Religionskritik eine Todsünde - im wörtlichen mörderischen Sinne. Für Protestanten war Martin Luthers Religionskritik die Geburtsstunde. Ohne sie könnte es die evangelische Kirche gar nicht geben. Für alle Christen ist Religionskritik seit der Reformation unveräußerliches Geburtsrecht.

Das machen sich nur wenige klar: Ohne Religionskritik könnte es Protestanten und die evangelische Kirche gar nicht geben. Denn Religionskritik war ihre Geburtsstunde. Aus Martin Luthers tabuloser Religionskritik vor fast 500 Jahren ist der Protestantismus erst hervorgegangen. Und was da alles kritisiert wurde: Glaubenslehre, Liturgie, kirchliche Hierarchie. Der Stellvertreter Christi auf Erden wurde abgelehnt. Fast kein theologischer Stein blieb auf dem anderen. Und viel Blut ist geflossen. Aber seit Martin Luthers Thesenanschlag zu Wittenberg ist im zivilisierten christlichen Abendland Religionskritik selbstverständlicher Teil des politischen und gesellschaftlichen Diskurses.

Religionskritik ist längst unveräußerliches Geburtsrecht eines jeden Protestanten und aller Katholiken. Aber jetzt soll es ihnen genommen werden – von Zuwanderern aus manchmal noch analphabetischer Dritter Welt. Denn um nichts anderes geht es im „Fall“ Dieter Nuhr oder etwa beim Streit um die Mohammed-Karikaturen.

Für Christen ist es normal, ihre eigene Religion zu kritisieren, über Glaubensfragen skeptisch nachzudenken und über manche theologische Lehre heftig den Kopf zuschütteln. Für sehr viele Mohammedaner dagegen ist jede Form von Religionskritik unerträglich.

Für Christen ist es schwierig, den Kriegsherrn und Warlord Mohammed positiv zu bewerten

Der Gegensatz führt zu kulturell-intellektuellem Konflikt, dessen Tiefe sich nicht jeder bewusst macht: Abendländisch-zivilisierte Europäer etwa dürfen selbstverständlich über die historische Figur Jesu Christi nachdenken und sie beurteilen. Das tun sie dann natürlich ebenso selbstverständlich, wenn es um die historische Figur des Religionsstifters Mohammed geht und um seinen Koran. Problem: Für zivilisierte Christenmenschen ist es naturgemäß schwierig, den Kriegsherrn und Warlord Mohammed – denn das war er – positiv zu sehen und zu bewerten. Auch im Koran – für Mohammedaner Allahs ewig gültiges Wort – finden christliche Europäer Dinge, die sie für ethisch unvertretbar halten und halten müssen: etwa wenn darin Gepflogenheiten des siebten arabischen Jahrhunderts wie Sklaverei oder die Verheiratung sehr kleiner Mädchen als normal und dadurch eben als erlaubt gelten. Damit und mit anderen Dingen hat Allah einfach falsch gelegen, jedenfalls aus heutiger westlich-europäischer Sicht.

Es geht um 500 Jahre abendländische Zivilisation

Für viele Muslime ist solche Rede schiere Blasphemie. Das kann man sogar verstehen. Denn wenn Allah falsch liegen kann, was bleibt dann von seiner göttlichen Unfehlbarkeit und von der des Koran? Wenn man der historischen Figur Mohammed Kriegszüge und blutige Massaker vorwerfen darf – wie konnte dann Allah ausgerechnet ihm den Koran offenbaren? Und was ist das dann für eine Gottheit?

Es ist schon richtig: Europäisch-westliche Religionskritik und abendländisches Nachdenken über Theologie stellt das Religionsgebäude des Islam grundsätzlich in Frage. Aber Muslime müssen lernen, das zu ertragen – sonst können sie in Europa nicht glücklich werden und passen dann dort auch nicht hin. Und Europas Protestanten und Katholiken dürfen sich ihr Geburtsrecht der Religionskritik auf keinen Fall nehmen lassen – sonst verspielen sie 500 Jahre abendländischer Zivilisation.