Das bayerische Bildungssystem ist gut aufgestellt. (Bild: Fotolia/Alexander Raths)
Sitzenbleiber

Der Kampf ums Schulsystem

Bayerische Schüler bleiben überdurchschnittlich häufig sitzen, so die Horrormeldung der Landes-SPD. Die Wahrheit sieht anders aus. Hier geht es eigentlich und zum wiederholten Male um den alten Kampf der leistungsfeindlichen Linken gegen das Sitzenbleiben. Dass Bayerns Schulen im Bundesvergleich vorne liegen, beweisen nicht nur die Pisa-Studien, sondern auch eine aktuelle Bertelsmann-Studie.

Im vergangenen Schuljahr wiederholten 42.650 Kinder und Jugendliche an den allgemeinbildenden Schulen und den Wirtschaftsschulen eine Klasse – das waren 3,5 Prozent der insgesamt 1,2 Millionen Schüler im Freistaat. Diese Zahlen hat das Kultusministerium auf eine Landtagsanfrage der SPD veröffentlicht. Im deutschlandweiten Schnitt liegt die Sitzenbleiberquote lediglich bei 2,3 Prozent, wie das Statistische Bundesamt am Dienstag gemeldet hatte, verkündete die Bayern-SPD. Am häufigsten bleiben danach bayerische Kinder in der Realschule sitzen, dort liegt der Anteil bei 5,8 Prozent. An den Gymnasien waren es 3,5 Prozent.

„Es ist ein Armutszeugnis, wie viele Kinder und Jugendliche in Bayern jedes Jahr sitzenbleiben“, kritisierte auch gleich der SPD-Bildungsexperte Martin Güll. „Da die bayerischen Kinder mit Sicherheit mindestens so schlau sind wie die im übrigen Deutschland, muss es am bayerischen Schulsystem liegen.“ Güll vermutete, dass große Klassen und Schulstress die Ursachen sind. Das ist natürlich Unsinn. Das Ganze ist eher eine Grundsatzdebatte linker Bildungsideologen, die die Bayern-SPD alle Jahre wieder anstrengt, zuletzt 2009.

Die feinen Unterschiede

Das alles ist in mehrfacher Hinsicht weniger schlimm, als von der SPD verbreitet. Zum einen gibt es einen Unterschied zwischen freiwilligen und Pflicht-Wiederholern, die beide in den 3,5 Prozent für Bayern eingerechnet sind – der gleiche gewollte Fehler wie übrigens schon 2009, als es 3,6 Prozent waren.

„Aber nur 1,7 Prozent sind Pflichtwiederholer, der Rest wiederholt freiwillig“, erklärte Ludwig Unger, Pressesprecher des Bayerischen Bildungsministeriums, auf Anfrage des Bayernkurier. Seit Jahren ist dieser Wert der Pflichtwiederholer konstant unter zwei Prozent. Und unter den Freiwilligen sind wiederum eine Gruppe Schüler, die den Aufstieg an höhere Schulen schaffen, insbesondere nach der fünften Klasse von der Mittel- an die Realschule (daher die hohen Zahlen bei der Realschule), aber auch von der Realschule an das Gymnasium. Die aber dann aus nachvollziehbaren Gründen lieber die fünfte Klasse der Realschule oder im Gymnasium nochmal machen, da ihnen sonst Lehrstoff fehlen würde – der später zu Defiziten führen würde. In Bundesländern ohne differenziertes Bildungssystem ist ein solcher Aufstieg grundsätzlich ausgeschlossen, daher fehlen diese Wiederholer in ihrer Bilanz.

Gegen die „Politik des Durchwinkens“

Hinzu kommt, dass es nicht für die Qualität der Bildung eines Bundeslandes spricht, wenn die Sitzenbleiberquote gering ist. Im Gegenteil versuchen viele Schulen, diese Quote mit allen erdenklichen Mitteln zu senken. Ob dann alle Schüler aber auch wirklich die Anforderungen des Lehrplans erfüllen, ist mehr als fraglich. Eine „Politik des Durchwinkens“ mal ganz anders. Auf Nachfrage des Bayernkurier ist das Bayerische Bildungsministerium hier diplomatisch: „Die Bildungsstandards sind im Rahmen der Kultusministerkonferenz erarbeitet und von allen Ländern angenommen worden. Danach orientieren sich auch die Lehrpläne. Wie diese in den einzelnen Ländern in der Praxis realisiert werden, entzieht sich unserer Kenntnis. Bei Vergleichsstudien wird allerdings deutlich, dass bayerische Schülerinnen und Schüler in allen Kompetenzen mit an der Spitze liegen.“

Es gibt Situationen, in denen bei einzelnen Schülern so große Lücken an Wissen und Kompetenzen vorliegen, dass sie die Jahrgangsstufe noch einmal nachholen sollten.

Ludwig Spaenle, Bayerischer Bildungsminister

Und die alte Grundsatzfrage, ob Wiederholen sinnvoll ist oder nicht, wird aus Sicht des Bayerischen Bildungsministeriums so beantwortet: „Es kann für Schülerinnen und Schüler, wenn sie etwa aufgrund von Krankheit oder aufgrund von Leistungsdefiziten größere Lücken im Wissen oder den Kompetenzen haben, sinnvoll sein, eine Jahrgangsstufe zu wiederholen und die eigenen Fähigkeiten zu ergänzen und auszubauen.“ Und weiter: „Ein Verzicht auf ein Wiederholen verhindert, dass Schülerinnen und Schüler größere Wissenslücken und Kompetenzdefizite schließen können und gaukelt vermeintliche Stärken vor. Die Defizite werden in den Folgejahren in der Regel noch zunehmen. Sie werden sowohl im persönlichen Alltag wie auch in Studium und Beruf unübersehbar.“ Die letzte Debatte dazu startete die Opposition 2009. „Das Wiederholen ganz abzuschaffen, erscheint dagegen wenig sinnvoll: Es gibt Situationen, in denen bei einzelnen Schülern so große Lücken an Wissen und Kompetenzen vorliegen, dass sie die Jahrgangsstufe noch einmal nachholen sollten. Auf dieser Basis können sie ihre Schullaufbahn mit einem guten Fundament und den nötigen Kompetenzen fortsetzen“, erwiderte Bildungsminister Ludwig Spaenle schon damals.

Besser ist individuelle Förderung

Mit Maßnahmen der individuellen Förderung, wie zum Beispiel Intensivierungsstunden am Gymnasium, zusätzlichen Förderstunden in Realschule und Mittelschule sowie mit Ganztagsangeboten werden Schülerinnen und Schüler in Bayern darüber hinaus pädagogisch intensiv unterstützt. „Das Instrument des Vorrückens auf Probe ermöglicht zudem, dass Schülerinnen und Schüler mit kleineren Defiziten eine zusätzliche Chance erhalten, in die nächste Klasse vorzurücken und binnen drei Monaten diese auszugleichen“, sagte Ludwig Unger, Pressesprecher des Bayerischen Bildungsministeriums.

Neue Studie zur Ganztagsbetreuung

Niemand ist perfekt und alles lässt sich noch verbessern. Aber eine aktuelle Studie zur Ganztagsbetreuung zeigt, wie sich Bayern um seine Schüler kümmert: Die Bertelsmann-Stiftung hat in einem Vergleich aller 16 Bundesländer untersuchen lassen, wie sich Personaleinsatz, Personalstruktur und die Zahl der zusätzlichen Schulstunden in gebundenen Ganztagsschulen (wo der Nachmittagsunterricht verpflichtend ist) unterscheiden.

Bayern gibt in diesem Bundesvergleich sehr viel Geld für Ganztagsklassen aus. Schwerpunkt liegt dabei – im Gegensatz zu anderen Ländern – auf zusätzlichen Lehrerwochenstunden und Zusatzpersonal im gebundenen Ganztag. „Damit garantiert Bayern eine hohe Qualität sowie eine nachhaltige und intensive schulische Förderung der jungen Menschen“, erläuterte Spaenle. Der Einsatz von Lehrerstunden ermöglicht zudem einen rhythmisierten Unterrichtstag und eine enge Verzahnung des Unterrichts mit den Förderangeboten.

Erzieher statt Lehrer?

Viele Länder wie Berlin, Sachsen-Anhalt, Hamburg oder Sachsen favorisieren hingegen den Einsatz von Erzieherinnen und Erziehern, die dann die klassische Arbeit von Lehrern übernehmen. Lehrer, die die Schüler auch aus dem normalen Unterricht kennen, können in der Regel gezielter deren Schwächen abarbeiten, als von außen kommende Erzieher, denen obendrein das Handwerkszeug fehlt.

Liegt der Durchschnittswert bundesweit im Primarbereich bei 22.700 Euro pro Ganztagsklasse in der Mittelstufe, so investiert Bayern 31.700 Euro. Übertroffen werden diese Ausgaben nur von den Schuldenstaaten Berlin und Saarland, die ihr Haushaltsdefizit unter anderem mit bayerischen Steuermitteln (Länderfinanzausgleich) ausgleichen.

Auch regulär mehr Unterricht

„Die Stundentafeln der bayerischen Schulen sehen – dies weist die Bertelsmann-Studie in einer Tabelle aus – bereits regulär mehr Unterrichtsstunden vor als die in den meisten anderen Ländern. Diese zusätzlichen Lehrerstunden kommen allen Schülern zugute – und zwar unabhängig davon, ob sie Ganztagsangebote besuchen oder sich dagegen entscheiden“, so das Bayerische Bildungsministerium. An Grundschulen besuchen bayerische Schüler regulär durchschnittlich 26 Unterrichtsstunden, die Schüler in den meisten anderen Ländern deutlich weniger. In Bayern besuchen Schüler in der Sekundarstufe I 32 Stunden, in den meisten anderen Ländern weniger.

In den vergangenen Jahren konnte in Bayern zudem jeder genehmigungsfähige Antrag eines Sachaufwandsträgers auf Errichtung eines schulischen Ganztagsangebots genehmigt werden. Und diese Entwicklung geht weiter. Niemand ruht sich hier also auf seinen Lorbeeren aus.