Baby kommt: Eine Hebamme hilft einer Schwangeren im Kreißsaal bei der Geburt. (Foto: Imago/ biky)
Hebammen-Mangel

Wehe, wenn die Wehen einsetzen

Im Freistaat kommen so viele Babies zur Welt wie lange nicht, aber kleine Kliniken haben große Probleme mit den Geburten: Weil Hebammen fehlen, schließt das Krankenhaus in Schrobenhausen für zwei Monate den Kreißsaal. Zuletzt verordneten die Ärzte auch in Füssen und in Lauf einen zeitweiligen Geburtenstopp. "Daran müssen wir uns gewöhnen", kündigt der Verband der bayerischen Hebammen an.

Der kleine Leonhard schläft fest in seinem Körbchen. Sophie mit dem vollen brünetten Haar drückt ihr Fäustchen eng an die rechte Wange. Frisch geborene Babies anzuschauen, bringt viel Freude. Doch im Kreiskrankenhaus Schrobenhausen gibt es bis auf weiteres nichts mehr zu sehen. Leonhard und Sophie waren die vorerst letzten, die im dortigen Kreißsaal zur Welt kamen. Seit Anfang April hat die Klinik im Landkreis Neuburg ihre Geburtsräume geschlossen. Für zwei Monate, wegen akuten Hebammen-Mangels. „Nur noch planbare Geburten, also durch Kaiserschnitt, sind bei uns in den kommenden Wochen möglich“, erklärt der Geschäftsführer des Krankenhauses, Dietmar Eine.

In ganz Bayern haben Krankenhäuser mit dem Mangel an ausgebildeten Hebammen zu kämpfen.

Eine Schließung bis Juni – so drastisch hat in Bayern noch nie eine Klinik auf die Misere reagiert. Über die Jahre sprangen in Schrobenhausen, wo pro Jahr etwa 300 Kinder geboren werden, immer mehr Geburtshelferinnen ab. Nun wurde auch noch eine Kollegin kurzfristig krank. So dass dem Haus nichts anderes übrig blieb, als den Kreißsaal vorübergehend dichtzumachen. Werdende Mütter müssen nach Neuburg an der Donau oder nach Aichach ausweichen. Bis zum Frühsommer hofft Klinikchef Eine, neue Fachkräfte einzustellen und wieder einen „Rund-um-die-Uhr-Betrieb“ anbieten zu können. Damit Leonhard und Sophie nicht die letzten Neubürger aus der Spargelstecher-Region bleiben.

Die Gründe

In ganz Bayern haben Krankenhäuser mit dem Mangel an ausgebildeten Hebammen zu kämpfen. Fest angestellte Kräfte plagen sich mit anstrengenden Drei-Schicht-Betrieben in den großen Häusern, manche kündigen. Weil immer mehr Kolleginnen fehlen, lastet der Alltag auf immer weniger Schultern. Zudem lassen Freiberuflerinnen den Job bleiben, weil ihnen die Berufshaftpflichtversicherung zu teuer geworden ist, die für angestellte Kolleginnen der Arbeitgeber übernimmt. In Orten mit geringer Bevölkerungsdichte sind ihre Verdienstaussichten nicht gerade rosig. Manche sattelt auf Geburtsvorbereitung und Nachsorge mit Rückbildung um – und lassen das klassische Kerngeschäft an der Geburtsliege links liegen.

Geburtenrekorde – aber geschlossene Kreißsäle

Die Folge ist eine paradoxe Entwicklung: Viele Kommunen und Landkreise im Freistaat freuen sich über steigende Geburtenzahlen. Für 2014 vermeldete das Statistische Landesamt einen Höchststand von 113.935 Lebendgeburten in ganz Bayern. Für 2015 deutet sich eine weitere Erhöhung an – Städte wie München, Nürnberg, Würzburg melden bereits wieder Steigerungsraten. Zugleich aber müssen immer wieder Kliniken für einige Zeit die Geburtsabteilung schließen, weil Personal fehlt. „Von den 116 Kreißsälen in Bayern kämpft mindestens die Hälfte mit den Schwierigkeiten – ein Kreislauf aus unbesetzten Stellen und weiterem Personalschwund“, sagt Susanne Weyherter, Vorstand des Bayerischen Hebammen Landesverbandes.

Von den 116 Kreißsälen in Bayern kämpft mindestens die Hälfte mit den Schwierigkeiten.

Susanne Weyherter, Vorstand des Bayerischen Hebammen Landesverbandes

Die Gründe dafür sind vielfältig und keineswegs auf die erhöhten Versicherungsbeiträge beschränkt, über die so viel berichtet wird. Die Bezahlung der vielen Frauen und wenigen Männer ist nicht üppig: Eine frisch examinierte Berufseinsteigerin kommt mit Nachtzuschlägen auf 2000 Euro netto monatlich, eine altgediente Kraft mit Leitungsfunktion auf etwa 2500 Euro. „Aber sie sind meist hoch motiviert in den Beruf gestartet und wollen gar nicht unbedingt reich werden“, erklärt Weyherter. Viele zermürbe der unberechenbare Schichtbetrieb und die personelle Ausdünnung rundum. Manche demotiviere der Umstand, dass sie sich „nur noch im Laufschritt durch die Klinik bewegen“, sagt die Verbandsfrau, „und sich zu wenig 1:1 um die Mütter kümmern können“. Da müssten Krankenhausbetreiber an mehreren Schrauben drehen, um den bedrohten Betrieb wieder zum Laufen zu bringen.

Kurzfristige Engpässe im Allgäu und in Franken

Die Kliniken Ostallgäu mussten am Standort in Füssen im vergangenen Sommer schon wochenweise den Kreißsaal schließen, und im Herbst noch einmal tageweise. „Das waren kurzfristige Engpässe“, versichert Roswitha Martin-Wiedemann vom Betreiberunternehmen in Kaufbeuren. Neue Hebammen wurden eingestellt, denen die Klinik finanziell entgegenkam. Nun läuft der Betrieb wieder. Ebenso zogen sich die Krankenhäuser Nürnberger Land aus der Affäre. Am Standort Lauf an der Pegnitz blieb der Kreißsaal im vergangenen Sommer mehrere Wochen lang an Wochenenden geschlossen. Eine besonders kuriose Lösung: Denn auf eine durchgängige Schließung können sich werdende Mütter einstellen und auf eine weiter entfernte Klinik umdisponieren. Aber eine Geburt ausschließlich auf Werktage zu beschränken? So genau lässt sich die Niederkunft nun mal nicht planen.

Da werden wir uns dran gewöhnen müssen, dass Kreißsäle schließen.

Susanne Weyherter

Die Situation in manchen bayerischen Regionen bleibt für Gebärende wackelig. Die großen Betriebe laufen zuverlässig auf Hochtouren. So wie die Taxisklinik in München oder die Nürnberger Klinik Hallerwiese – mit rund 3500, respektive 3000 Babys die geburtenstärksten im Land. Aber kleinere Kliniken mit wenigen hundert Geburten pro Jahr betreiben ihre Kreißsäle am Rande der Rentabilität. „Die haben es schwer. Da werden wir uns dran gewöhnen müssen, dass Kreißsäle schließen“, sagt Hebamme Weyherter.

In Lauf haben sie mit neuen Anstrengungen reagiert. Neuerdings amtiert im dortigen Klinikum neben neuen Hebammen auch der erste Chefarzt für Gynäkologie und Geburtshilfe: seit 1. April. Kein Aprilscherz, sondern der Versuch einer Offensivstrategie gegen die Misere. Erste Anzeichen des Erfolgs sind auf der Säuglingsstation bereits zu besichtigen: Benjamin, 3065 Gramm, 47 Zentimeter. Und David, 4670 Gramm, 56 Zentimeter.