Die Debatte um ein Burka-Verbot ist in vollem Gange. (Bild: Imago/Felix Abraham)
Neue Prozesse

Nicht ohne mein Kopftuch

Dürfen Arbeitgeber ihren Mitarbeiterinnen verbieten, ein Kopftuch zu tragen? Der Europäische Gerichtshof verhandelt aktuell zwei Fälle aus Belgien und Frankreich – mit möglicherweise weitreichenden Folgen auch für Deutschland. Vor einem Münchner Gericht wurde zudem über das Ablegen des Niqab bei einer Aussage verhandelt. Diese Fälle machen klar: Es braucht klare Regeln für Kopftücher im Alltag.

Der Europäische Gerichtshof beschäftigte sich am Dienstag mit religiöser Bekleidung am Arbeitsplatz. In einer ersten Verhandlung geht es um eine muslimische Rezeptionistin in Belgien, die entlassen wurde, weil sie während der Arbeit ein Kopftuch tragen wollte. Im zweiten Fall wehrt sich eine bei einer französischen Firma beschäftigte Softwaredesignerin gegen ihre Kündigung. Die Frau trug den islamischen Schleier und wurde nach einer Kundenbeschwerde entlassen. Die Urteile dürften erst in einigen Monaten fallen.

Wer hat am Ende Recht, der Arbeitgeber oder die Arbeitnehmer? Die zwei gleichartigen Fälle beschäftigten am Dienstag den Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg. Zwar handelt es sich um Fälle aus Frankreich und Belgien – doch die Urteile dürften auch in Deutschland zu spüren sein. Hierzulande dürfen Frauen am Arbeitsplatz zwar ein Kopftuch tragen. Dieses Recht kann der Arbeitgeber aber einschränken, wenn es sachliche Gründe dafür gibt, etwa die Sicherheit am Arbeitsplatz, eine Störung des Betriebsfriedens oder eine drohende Geschäftsschädigung durch beweisbare Kundenbeschwerden. Einzelne Kopftuchfälle sorgen jedoch immer wieder für Aufsehen.

Die umstrittenen Urteile von Karlsruhe

Allen voran zwei bis in höchste Juristenkreise extrem umstrittene Urteile des Bundesverfassungsgerichts: Eine Muslimin gewann hier zunächst 2003 einen Rechtsstreit gegen das Land Baden-Württemberg, weil sie mit Kopftuch an einer staatlichen Schule unterrichten wollte. Ein Verbot für Lehrer, in Schule und Unterricht ein muslimisches Kopftuch zu tragen, benötigte laut dem Urteil eine gesetzliche Regelung des entsprechenden Bundeslandes. „Auf der Grundlage der von der Sachverständigen geführten und ausgewerteten qualitativen Interviews lassen sich zwar keine repräsentativen Aussagen für alle in Deutschland lebenden Musliminnen treffen; die Forschungsergebnisse zeigen jedoch, dass angesichts der Vielfalt der Motive die Deutung des Kopftuchs nicht auf ein Zeichen gesellschaftlicher Unterdrückung der Frau verkürzt werden darf. Vielmehr kann das Kopftuch für junge muslimische Frauen auch ein frei gewähltes Mittel sein, um ohne Bruch mit der Herkunftskultur ein selbstbestimmtes Leben zu führen“, heißt es im Urteil, ohne diese Frage allerdings wirklich zu entscheiden. Einig waren sich die Richter aber nicht: Die Entscheidung erging mit fünf gegen drei Stimmen. Immerhin wurde eingeräumt: „Ein von der Lehrerin aus religiösen Gründen getragenes Kopftuch kann allerdings deshalb besonders intensiv wirken, weil die Schüler für die gesamte Dauer des Schulbesuchs mit der im Mittelpunkt des Unterrichtsgeschehens stehenden Lehrerin ohne Ausweichmöglichkeit konfrontiert sind. Es fehlt jedoch eine gesicherte empirische Grundlage für die Annahme, dass vom Tragen des Kopftuchs bestimmende Einflüsse auf die religiöse Orientierung der Schulkinder ausgehen.“ Das scheint allerdings doch ein wenig blauäugig. Und beim Kruzifix-Urteil 1995 sahen die Richter das offenbar auch noch anders, weil sie dem Kreuz Einfluss auf die Schüler zubilligten.

Das zweite Urteil

Nach dem Urteil von 2003 erließen jedoch mehrere Bundesländer pauschale Kopftuchverbote für Lehrerinnen an staatlichen Schulen. 2015 schuf erneut das Bundesverfassungsgericht hier hohe Hürden. Kernaussage dieses Beschlusses war, „dass ein pauschales Verbot religiöser Bekundungen in öffentlichen Schulen durch das äußere Erscheinungsbild von Pädagoginnen und Pädagogen mit deren Glaubens- und Bekenntnisfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG nicht vereinbar ist.“ Die gesetzliche Privilegierung zugunsten christlich-abendländischer Bildungs- und Kulturwerte oder Traditionen wurde obendrein für nichtig erklärt. „Die dem Staat gebotene weltanschaulich-religiöse Neutralität ist nicht als eine distanzierende im Sinne einer strikten Trennung von Staat und Kirche zu verstehen, sondern als eine offene und übergreifende, die Glaubensfreiheit für alle Bekenntnisse gleichermaßen fördernde Haltung.“ In der Begründung stand auch, dass das „Kopftuch“ einer muslimischen Lehrerin keine „konkrete Gefahr“ für die Störung des Schulfriedens darstelle. Es müsse nämlich eine „hinreichend konkrete Gefahr in einer beachtlichen Anzahl von Fällen für die Störung des Schulfriedens oder die staatliche Neutralität“ feststellbar sein. Eine abstrakte Gefahr reiche jedoch nicht aus. Dies war zwar kein Freibrief für Kopftuch-Lehrerinnen, aber es erschwerte durch die schwammige Formulierung „hinreichend konkrete Gefährdung des Schulfriedens oder der staatlichen Neutralität“ ganz erheblich die Ablehnung solcher Lehrerinnen. Zudem kann eine solche Gefährdung laut Urteil nicht nur von der Lehrerin, sondern auch von Dritten ausgehen, was bedenkliche Folgen haben könnte. Einige Juristen sahen zudem einen Widerspruch zum Kruzifix-Urteil des Bundesverfassungsgerichts, wonach Kreuze in Schulen, die keine Bekenntnisschulen sind, grundsätzlich gegen das Grundgesetz verstoßen. Hier wurde noch ein „schonender Ausgleich“ bei widerstreitenden Interessen angemahnt, also etwa das Abhängen des Kreuzes in Klassenzimmern, wenn nur ein Schüler beziehungsweise dessen Eltern oder aber ein Lehrer dies verlangen.

Anders ist die europäische Rechtslage: Laut einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom März 2011 verstoßen Kreuze in Klassenzimmern nicht gegen die Religionsfreiheit. Es lasse sich nicht beweisen, dass ein Kruzifix an der Wand Einfluss auf die Schüler habe – auch wenn es in erster Linie ein religiöses Symbol sei.

Die Folgen

Acht Bundesländer, darunter Bayern, hatten zuvor ein Gesetz zum Kopftuchverbot verabschiedet. Die Staatsregierung hielt eine Änderung jedoch nicht für notwendig, da die Gesetze nicht vergleichbar seien. Bildungsminister Ludwig Spaenle betonte damals, dass die bayerische Politik sich klar zur Religionsfreiheit bekenne, schon weil diese in der bayerischen Verfassung verankert ist. Der Freistaat sei aber unverrückbar christlich-abendländisch geprägt. Die bayerische Regelung stelle im Spannungsfeld zwischen Religionsfreiheit und Sicherung des Schulfriedens einen guten und praktikablen Ausgleich dar.

2007 wies der Bayerische Verfassungsgerichtshof eine Popularklage bezüglich Kopftüchern als unbegründet ab. Er begründete seine Entscheidung damit, dass die Religionsfreiheit von muslimischen Lehrerinnen zwar beeinträchtigt sei, dass diese aber ein mit den Grundrechten der Eltern und Schüler kollidiere – letztere hätten hier Vorrang. Deshalb sei es dem Gesetzgeber grundsätzlich erlaubt, Lehrerinnen und Lehrern das Tragen weltanschaulicher oder religiöser Symbole zu verbieten. Zudem sei die Bevorzugung christlicher Konfessionen im Gesetz (etwa bei der Nonnentracht) gestattet, weil eine muslimische Lehrerin die in der Bayerischen Verfassung fest verankerten christlich-abendländischen Grund- und Kulturwerte im Gegensatz zur Nonne in ihrer Tracht „nicht glaubhaft vermitteln“ könne.

Die Urteile des EuGH könnten nun große Bedeutung für Deutschland haben. Im Falle der belgischen Klägerin geht es darum, ob ein Neutralitätsgebot am Arbeitsplatz eine Ungleichbehandlung für Muslime mit Kopftuch darstellt oder nicht. Wenn eine solche Regel aus Sicht des EuGH keine Ungleichbehandlung darstellt, können Arbeitgeber künftig viel einfacher eine religiöse Neutralitätspflicht einfordern. Ob dies dann auch für staatliche Arbeitgeber gilt, werden vermutlich weitere Prozesse zeigen.

Weiterer Kopftuch-Prozess in München

Ein aktuelles Verfahren in zweiter Instanz in München liefert ein weiteres Problem mit den Kopftüchern: Eine Muslima sollte vor Gericht gegen einen Mann aussagen, der sie angeblich in der Münchner S-Bahn beleidigt hat. „Ihr Arschlöcher“ und „Du gehörst hier nicht her“, soll der Beschuldigte der 43-Jährigen zugerufen haben. Daraufhin zeigte sie ihn an. Weil sie bei ihrer Aussage vor Gericht den nur die Augen frei lassenden Niqab-Schleier nicht abnehmen wollte, sah der Richter es als unmöglich an, die Wahrhaftigkeit ihrer Aussage beurteilen zu können – weil er ihre Mimik nicht sehen konnte. Auf Zwangsmittel verzichtete er jedoch. Allerdings hinterließ die Aussage eines neutralen Zeugen starke Zweifel, dass wirklich Beleidigungen gefallen sind. Weil der Angeklagte deshalb freigesprochen wurde, ging die Staatsanwaltschaft in Berufung.

Der Zeugenbeistand der Frau, Rechtsanwalt Heinrich Karl Haarmann, sagte nun der „Bild„-Zeitung, dass sie in zweiter Instanz den Schleier lüften werde, weil sie nicht gewusst habe, was für Konsequenzen drohen könnten.

Anti-Burka-Initiative in der Schweiz

Unterdessen haben Schweizer Burka-Gegner die Erlaubnis für eine Unterschriftensammlung erhalten. Die Volksinitiative „Ja zum Verhüllungsverbot“ wurde von der Bundeskanzlei für gültig befunden. Sie will die Verhüllung des Gesichts im öffentlichen Raum und an Orten verbieten, die öffentlich zugänglich sind oder an denen grundsätzlich von jedermann beanspruchbare Dienstleistungen angeboten werden. Eine Ausnahme gilt für Sakralstätten, wie beispielsweise Moscheen. Ausnahmen sind aber auch aus Gründen der Gesundheit, der Sicherheit, der klimatischen Bedingungen und des einheimischen Brauchtums erlaubt. Die Initiatoren haben nun bis zum 15. September 2017 Zeit, die nötigen 100.000 gültigen Unterschriften zu sammeln.