Horst Seehofer droht Bundeskanzlerin Angela Merkel mit einer Klage aufgrund der Flüchtlingspolitik. Foto: imago/Sven Simon
Flüchtlingspolitik

Bayerns Klage ist kein Einzelfall

Ein Gutachten des Bundestags belegt: Die Aufregung um Bayerns mögliche Klage gegen die Bundesregierung ist haltlos und übertrieben. Bereits mehrfach in der Geschichte der Bundesrepublik haben Länder gegen den Bund geklagt - obwohl an der Landesregierung beteiligte Parteien auch im Bund vertreten waren.

Darf Bayern die Bundesregierung wegen deren Flüchtlingspolitik verklagen? Für den früheren Richter am Bundesverfassungsgericht Udo di Fabio ist der Fall eindeutig. In einem Gutachten, das er im Auftrag der Staatsregierung erstellt hat, kommt di Fabio zu dem Ergebnis, dass eine Klage sehr wohl gerechtfertigt sei. Der durch die Politik der Bundesregierung ausgelöste Anstieg der Flüchtlinge bringe den Freistaat Bayern an die Grenzen seiner Funktionsfähigkeit und gefährde damit seine „Eigenstaatlichkeit“, argumentiert der Spitzenjurist.

Politische Gegner sehen die Sache naturgemäß anders: Sollte Bayern tatsächlich gegen den Bund klagen, so die Meinung von SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann, müsse Bundeskanzlerin Angela Merkel die CSU-Minister in ihrer Regierung entlassen. Die Klage sei für Merkel „der Casus belli“, behauptet Oppermann. Und weiter: „Es hat so etwas in Deutschland noch nicht gegeben, dass in einer Koalition ein Koalitionspartner gegen den anderen klagt.“

Auch SPD, FDP und CDU haben bereits gegen den Bund geklagt

Oppermann und Co. können sich ihre Empörung sparen. Eine Klage Bayerns gegen den Bund wäre bei weitem nicht so außergewöhnlich, wie der SPD-Politiker und andere Kritiker es darstellen. Ein Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags, aus dem die Süddeutsche Zeitung zitiert, belegt das. Schon mehrfach in der Geschichte der Bundesrepublik sind demnach Länder gegen die Bundesregierung vor Gericht gezogen. 23 Fälle listet das Gutachten auf. In neun dieser Fälle habe es sich um Verfahren von Ländern gegen den Bund „mit parteipolitischer (Teil-)Identität zwischen Landesregierung(en) und Bundesregierung“ gehandelt.

Zu den Parteien, die den Bund verklagt haben, obwohl sie dort selbst mit in der Regierung vertreten waren, gehören CDU, FDP und – mehrfach – die SPD. Den Anfang machte zu Beginn der 50er Jahre das damalige, von der CDU regierte Bundesland Baden mit einer Klage gegen die Regierung von Konrad Adenauer (CDU). Der Grund war die Gründung des neuen Südweststaats Baden-Württemberg. In jüngster Zeit klagte beispielsweise die rot-grüne Landesregierung von Nordrhein-Westfalen gegen die große Koalition in Berlin. Düsseldorf wollte erreichen, dass die Länder ihre Angelegenheiten künftig selbst vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vertreten dürfen.

Die große Aufregung der SPD  über eine Verfassungsklage Bayerns ist völlig unnötig.

Johannes Singhammer, Bundestagsvizepräsident

Mit Blick auf eine weitere, von einem sozialdemokratisch regierten Bundesland angestrengte Klage wies CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer die Kritik an Bayern zurück: „Herr Oppermann soll sich mal keine Gedanken um die CSU in einer gemeinsamen Union machen. Die CSU bleibt hartnäckiger, aber verlässlicher Partner in der Bundesregierung. Wir haben uns im Gegensatz zur SPD an alles gehalten, was wir in der Koalition vereinbart haben“, so Scheuer. „Bei den Erinnerungslücken des Herrn Oppermann helfen wir gerne: Das SPD-regierte Hamburg hat beim Betreuungsgeld gegen die Bundesregierung geklagt. Das ist nichts anderes.“

Angesichts des Bundestags-Gutachtens sagte Bundestagsvizepräsident Johannes Singhammer (CSU) der Süddeutschen Zeitung: „Die große Aufregung bei der SPD über eine Verfassungsklage Bayerns ist deshalb völlig unnötig.“ Die Häme der SPD sei auch wegen eines anderen Ergebnisses unangebracht. In dem Gutachten heiße es: „Anhaltspunkte dafür, dass sich eine parteipolitische Identität oder Teilidentität zwischen einer Landes- und der Bundesregierung auf die Begründetheit eines Bund-Länder-Streitverfahrens auswirken könnte, sind nicht ersichtlich.“