Die Donaubrücke in Regensburg. (Foto: imago / Westend61)
Missbrauchsskandal

Bistum macht Unterschiede bei Entschädigungen

400.000 Euro zahlte das Bistum Regensburg bislang an 150 Opfer, die geprügelt oder gequält wurden. Neu ist, dass Opfer sexuellen Missbrauchs laut Medienberichten deutlich höhere Entschädigungen erhielten, als Opfer körperlicher Gewalt. Die Aufklärung des Skandals wird voraussichtlich noch über ein Jahr dauern.

Rund 400.000 Euro Entschädigungen hat die Katholische Kirche im Missbrauchsskandal bei den Regensburger Domspatzen bis Anfang Februar gezahlt. Das Geld ging an mehr als 150 Opfer. 2500 Euro erhält jeder, der unter körperlicher Gewalt litt. Dazu kommen Zahlungen für Opfer sexuellen Missbrauchs, die jeweils höher als 2500 Euro sein sollen. Diese Zahlen, die die Welt am Sonntag veröffentlichte, bestätigte Ulrich Weber. Das Bistum hat den Regensburger Rechtsanwalt mit der Aufklärung des Missbrauchsskandals beauftragt.

Bistum unterscheidet bei der Entschädigung der Opfer

Bislang unbekannt ist, dass das Bistum bei der Höhe der Entschädigung zwischen verprügelten und missbrauchten Opfern Unterschiede macht. Weder Weber noch das Bistum äußern sich zu der Höhe der Beträge. Welt am Sonntag hegt den Verdacht, dass eine Veröffentlichung der Summe Anreize schaffen könnte, dass weitere Opfer sexuellen Missbrauch anzeigen. Ein ehemaliger Domspatz bestätigt gegenüber der Zeitung, dass er „deutlich mehr als die 2500 Euro“ vom Bistum erhalten habe. Die genaue Höhe wollte er aus Angst vor Anfeindungen nicht nennen. Sein Fall wurde als schwerer sexueller Missbrauch eingestuft.

Vermutlich 700 Opfer unter den „Spatzen“

Anfang Januar hatte Anwalt Weber öffentlich gemacht, dass zwischen den Jahren 1953 und 1992 mindestens 231 Sängerknaben geschlagen oder gequält und weitere 60 Buben sexuell missbraucht worden waren. Weber betonte, dass die Dunkelziffer der Betroffenen noch deutlich höher liegen dürfte. Er rechnet damit, dass etwa jeder Dritte der rund 2100 Schüler der „Spatzen“ zwischen 1953 bis 1992 unter körperlicher Gewalt litt.

Blutige Schläge und erpresste Falschaussagen

Weber sprach seit Mai 2015 mit Dutzenden Opfern, Verantwortlichen und dem Missbrauchsbeauftragten des Bistums Regensburg. Zudem hatte er Einblick in die Geheimarchive, Personalakten des Bistums sowie die persönlichen Notizen des Generalvikars. Nach seinen Recherchen wurden 50 der 231 bislang ermittelten misshandelten Kinder auch Opfer sexueller Gewalt. „Die sexuellen Übergriffe reichten von Streicheln bis zu Vergewaltigungen.“ Viele Kinder hätten von Prügeln, blutigen Schlägen mit Rohrstock, Schlüsselbund oder Siegelringen berichtet. „Bettnässern wurde die Flüssigkeitsaufnahme verweigert“, erläuterte Weber. Zudem seien Mitschüler bei Ermittlungen zu Falschaussagen gedrängt worden. Strafrechtlich sind die allermeisten Taten verjährt. Die Übergriffe waren intern bekannt, führten nach Angaben von Weber aber nicht zu personellen Konsequenzen oder strukturellen Veränderungen in der Vorschule des Chores. Auch der Bruder des emeritierten Papstes Benedikt XVI., Georg Ratzinger, der den Chor von 1964 bis 1994 geleitet hatte, dürfte laut Weber von den Vorgängen gewusst haben: „Davon muss ich nach meinen Recherchen ausgehen.“

Auch Georg Ratzinger hat Ohrfeigen verteilt

Georg Ratzinger hatte in einem früheren Interview der Passauer Neuen Presse vor fast sechs Jahren eingeräumt, bis Ende der 1970er Jahre selbst hin und wieder Ohrfeigen verteilt zu haben. Zur Begründung seiner damaligen Verhaltensweise hatte er gesagt: „Früher waren Ohrfeigen einfach die Reaktionsweise auf Verfehlungen oder bewusste Leistungsverweigerung.“ Doch sei er froh gewesen, als zu Anfang der 1980er Jahre körperliche Züchtigungen vom Gesetzgeber ganz verboten wurden: „Daran habe ich mich striktissime gehalten, und ich war innerlich erleichtert.“ Ratzinger bekräftigte in dem Interview, dass er von den bekanntgewordenen Fällen sexuellen Missbrauchs bei den Domspatzen nichts gewusst habe – auch nicht gerüchteweise.

Abschlussbericht 2017 anvisiert

Februar 2014 hatte das Bistum Regensburg noch mitgeteilt, dass Berichte von 72 früheren Domspatzen aus den Jahren 1953 bis 1992 vorlägen. Bischof Rudolf Voderholzer hatte erklärt, die Straftaten anzuerkennen und den Opfern ein Schmerzensgeld in Höhe von jeweils 2500 Euro zu zahlen. Weber betonte, dass die jetzige Zusammenarbeit mit dem Bistum konstruktiv und zielführend sei. Bis zum Sommer will er noch Berichte von Opfern sammeln. Im Frühjahr 2017 soll der Abschlussbericht fertig sein.

Erste Gewaltberichte 2010

Die Regensburger Domspatzen sind Deutschlands ältester Knabenchor mit einer mehr als 1000-jährigen Geschichte. Seit 1994 leitet der Nicht-Geistliche Roland Büchner den Chor, der aus Knaben und jungen Männern besteht. Zu den Domspatzen gehören auch Schule und Internat. 2010 gab es erste Berichte über körperliche und sexuelle Gewalt bei den Domspatzen – ernsthaft untersucht werden die Vorfälle erst, seitdem Weber, der Mitarbeiter der Opferschutzorganisation Weißer Ring ist, zum unabhängigen Chefaufklärer ernannt wurde.

dpa/AS