Frankreichs Linke ohne Mehrheit
Frankreichs politische Landschaft im Fluss: Das bürgerliche Lager erobert sieben von dreizehn Regionen. Die Sozialisten wenden das große Debakel zwar ab, sind aber in zwei Regionen gar nicht mehr vertreten. Der rechtspopulistische Front National scheitert in allen Regionen, ist aber so stark wie nie. Banger Blick auf die Präsidentschaftswahl 2017: Wer schafft es dann in die zweite Runde?
Regionalwahlen

Frankreichs Linke ohne Mehrheit

Frankreichs politische Landschaft im Fluss: Das bürgerliche Lager erobert sieben von dreizehn Regionen. Die Sozialisten wenden das große Debakel zwar ab, sind aber in zwei Regionen gar nicht mehr vertreten. Der rechtspopulistische Front National scheitert in allen Regionen, ist aber so stark wie nie. Banger Blick auf die Präsidentschaftswahl 2017: Wer schafft es dann in die zweite Runde?

Frankreich wählt rechts. Die Franzosen wollen vom bürgerlichen und konservativen Lager regiert werden. Das ist die Botschaft der Regionalwahlen in zwei Runden – der letzte große Stimmungstest vor den Präsidentschaftswahlen in anderthalb Jahren.

Erfolg für Nicolas Sarkozy und Les Républicains

In der zweiten Runde der Regionalwahlen ist dem bürgerlichen Lager, angeführt von Ex-Präsident Nicolas Sarkozy, die Rückkehr gelungen: 2010 gewann seine damals noch UMP geheißene bürgerliche Partei von damals 22 Regionen nur eine einzige: Elsass. Der Rest des Hexagon erschien auf der Wahlkarte in sozialistischem Knallrot. Jetzt haben die Bürgerlichen sieben von dreizehn neu zusammengelegte Großregionen erobert – darunter die wichtige Region Ile de France mit Paris. Landesweit kamen Sarkozys Les Républicains auf 40,6 Prozent vor den Sozialisten mit 29,6 und dem rechtspopulistischen Front National mit 27,8 Prozent der Stimmen.

Frankreichs linkes Lager aus Sozialisten, Grünen und linksradikalem Front de Gauche – Linksfront – ist von einer Mehrheit weit entfernt.

Soviel ist damit klar: Frankreichs linkes Lager aus Sozialisten, Grünen, linksradikalem Front de Gauche – Linksfront – und Kommunisten ist von einer Mehrheit weit entfernt. In der ersten Wahlrunde hatten die Sozialisten nur in zwei Regionen den Spitzenplatz behaupten können und auch dort nur wenig rühmlich mit 30,4 und 34,9 Prozent. In der zweiten Runde haben sie jetzt mit Hilfe der anderen Linksparterien immerhin fünf Regionen retten können – am stärksten die Bretagne mit 51,4 Prozent der Stimmen.

Deutlicher Rückschlag für den Front National

Für den rechtspopulistischen Front National (FN) von Marine Le Pen hatte sich der herbe Rückschlag für die zweite Wahlrunde in den Umfragen schon abgezeichnet: Obwohl er in der ersten Runde in sechs Großregionen vorne gelegen hatte, konnte er am entscheidenten 13. Dezember keine Region für sich gewinnen. Für Spannung sorgten die Wahlgänge in der Nordregion Nord-Pas-De-Calais/Picardie und im Süden in der Region Provence-Alpes-Côte-d’Azur. Nach der ersten Runde hatte der FN in beiden Regionen mit über 40 Prozent weit vorne gelegen. Aber noch am Wahlabend hatten die Sozialisten in beiden Regionen ihre Listen zurückgezogen und ihren Wählern empfohlen bürgerlich zu wählen. Die Rechnung ist aufgegangen: Der Norden ging mit 57,7 und der Süden mit 54,7 Prozent klar an Sarkozys Les Républicains.

Du machst einen Fehler. Du kannst nicht gegen die ganze Welt recht haben.

Premierminister Manuel Valls

Kritisch hatte es auch im Osten in der neuen Großregion Alsace/Lorraine/Champagne-Ardenne erscheinen können: Dort hatte der  hoffnungslos drittplazierte 71-jährige regionale Sozialisten-Chef Jean-Pierre Masseret der Rückzugsorder aus Paris den Gehorsam verweigert – zum Zorn von Premierminister Manuel Valls: „Du machst einen Fehler. Du kannst nicht gegen die ganze Welt recht haben.“ Es ist dennoch gut gegangen: Les Republicains gewannen die Region mit 48,4 gegen 36,0 Prozent des FN.

Die Sozialisten retten ihr Gesicht, aber nicht viel mehr

Für Sozialisten wie Républicains ist nach dieser zweiten Wahlrunde das Gesamtbild dennoch alles andere als gut. Beide Parteien stehen vor einer tiefgreifend veränderten politischen Landschaft. Nur auf dem Papier sieht es so aus, als hätten die Sozialisten das Debakel mehr als nur verhindert, kommentiert die bürgerliche Pariser Tageszeitung Le Figaro. Doch in einigen der fünf behaupteten Regionen haben sie nur knapp gewonnen – etwa in Centre-Val de Loire mit 35,4 gegen 34,58 Prozent der Bürgerlichen und 30 Prozent des FN. Oder in Bourgogne-Franche Comté, wo die Sozialisten sich mit 34,6 gegen 32,9 und 32,4 Prozent durchsetzten.

Die Schwächung der Linken im Norden ist ein langfristiger, struktureller Trend.

Rémi Lefebvre, Professor für Politikwissenschaft

Vor allem aber ist es noch nie dagewesen, dass die Sozialisten bei einer Wahl solcher Bedeutung in zwei Großregionen nicht mehr angetreten sind – und jetzt in den beiden Regionalparlamenten auch mit keinem Sitz vertreten sind. Dass es sich im Norden und im Süden um einstige sozialistische Hochburgen handelt, macht die Sache nur noch schlimmer: „Die Schwächung der Linken im Norden ist ein struktureller Trend“, erklärt der in Lille lehrende Politik-Professor Rémi Lefebvre der linksliberalen Pariser Tageszeitung Le Monde. Vor fünf Jahren war das gesamte Linkslager in der ersten Runde im Norden auf gut 50 Prozent gekommen, 2015 nur noch auf 28 Prozent – ein Verlust von 22 Prozentpunkten und ein „vertikaler Absturz“ (Le Figaro).

Wie kann die Linke weiterregieren in einem Land, in dem zwei Drittel der Wähler die Rechte oder die extreme Rechte wählen?

Le Monde

Der Blick auf die Ergebnisse beider Wahlrunden muss Präsident Francois Hollande und seine Sozialisten beunruhigen: In der ersten Runde erreichten die Sozialisten landesweit gerade 23 Prozent der Stimmen. Frankreichs gesamte Linke – Sozialisten, Grüne, Front de Gauche und Kommunisten – kommt landesweit mit Mühe auf 37 Prozent. Die den Sozialisten nahestehende Le Monde führt das in ihrer Wahlanalyse zu einer bitteren Frage: „Wie kann die Linke weiterregieren in einem Land, in dem zwei Drittel der Wähler die Rechte oder die extreme Rechte wählen?” Was die Sache für Hollande noch schwieriger macht: Ein gutes Drittel des linken Lagers gehört der in Frankreich sogenannten „gauche contestataire” – den Protestlinken: Grüne, Front de Gauche und Kommunisten –, die sich nun Gehör verschaffen und Linksabweichler unter den sozialistischen Abgeordneten ermutigen wird.

Dilemma: 2017 braucht Hollande einen starken Front National

Eine „doppelte politische und moralische schreckliche Niederlage für die Sozialisten“ nennt Le Monde das Wahlergebnis. Denn die Sozialisten müssten sich vorhalten lassen, dass in ihrer Regierungszeit die Ergebnisse für den rechtspopulistischen Front National regelrecht explodiert seien. Die Regionalwahlen verheißen für die Sozialisten denn auch nichts Gutes für das Wahljahr 2017, ahnt Le Figaro: „Die Präsidentschaftswahl duldet keinen dritten Platz. Aber am vergangenen Sonntag ist die PS auf dem dritten Platz gelandet.“ Das große Dilemma für die Sozialisten: Wo sie gegen die Républicains gewinnen konnten, ist ihnen das nur Dank des guten Abschneidens des FN gelungen.

Der Aufschwung des FN gibt den Sozialisten die Hoffnung zurück.

Le Figaro

Lektion: Nur in Dreier-Entscheidungen und im direkten Duell gegen FN-Kandidaten können die Sozialisten gewinnen. Für 2017 bedeutet das: Auf Grund der Schwäche des linken Lagers und weil er in der ersten Runde auf die Protestlinke nicht zählen kann, ist Hollande auf den Front National regelrecht angewiesen. So paradox es auch klingt: Hollande braucht 2017 einen starken Front National. Denn nur, wenn Marine Le Pen und ihr FN dem bürgerlichen Lager genügend Stimmen entzieht und Sarkozys Républicains auf den dritten Platz drückt, kann Hollande es überhaupt bis in die zweite Runde schaffen. Und nur im direkten Duell gegen Marine Le Pen könnte er dann hoffen, doch noch zu gewinnen. „Der Aufschwung des FN gibt den Sozialisten die Hoffnung zurück“, titelt Le Figaro.

Sarkozy: Von den Verlusten der Sozialisten nicht profitiert

Aber auch Sarkozys Républicains haben keinen Grund zum Triumph. Zwar haben sie sieben Regionen gewonnen, aber davon zwei nur darum, weil die Sozialisten gar nicht erst antraten. Der Vergleich mit den Regionalwahlen 2010 relativiert das Ergebnis weiter: Damals gewann die sozialistische Opposition praktisch das ganze Land. 2015 hängt Hollandes sozialistische Regierung im historischen Zustimmungstief − und trotzdem konnte die bürgerliche Opposition jetzt nur etwas mehr als die Hälfte der Regionen gewinnen, beobachtet Le Monde. Triumphe sehen anders aus. Tatsächlich erscheint auch Frankreichs bürgerliches Lager derzeit so schwach wie selten: In der ersten Wahlrunde kamen Sarkozys Republikaner, die liberaldemokratische Union des démocrates et indépendants (UDI) und der zentristische Mouvement Democrat (MoDem) zusammen nur auf 27,3 Prozent. In der ersten Runde am 6. Dezember hat Sarkozy von jenen Wählern, die 2012 für ihn gestimmt haben, jeden fünften verloren. Das kann wieder passieren, warnt Le Figaro. Noch schonungsloser beschreibt Le Monde beide Runden dieser Regionalwahl für Sarkozys Republikaner: „Die Wahl hat bestätigt, dass ein Teil der rechten Wählerschaft bereit ist, zum FN umzuschwenken.”

Von 16 Prozentpunkten, die die Linke gegenüber 2010 landesweit verloren hat, konnte das bürgerliche Lager keinen einzigen gewinnen.

Le Monde

Kein Wunder, dass auch die Republikaner schon jetzt vor dem ersten Wahlgang 2017 zittern: Wer wird es dann neben Le Pen in die zweite Wahlrunde schaffen? Das Ergebnis der ersten Runde dieser Regionalwahlen weckt jetzt Zweifel an Sarkozys Fähigkeiten, dem FN wirksam entgegenzutreten, meint Le Monde und nennt eine weitere ungute Zahl: „Von 16 Prozentpunkten, die die Linke gegenüber 2010 landesweit verloren hat, konnte das bürgerliche Lager keinen einzigen gewinnen.“ Republikaner-Chef Sarkozy, der sich für 2017 schon als Präsidentschaftskandidat sieht, muss sich auf Widerstand aus den eigenen Reihen gefasst machen. Jetzt spricht er davon, die Vorwahlen seiner Partei vorziehen zu wollen.

Gläserne Decke für den FN

Auch was den Front National angeht, lohnt der genau Blick auf die Ergebnisse − und der beunruhigt. Zwar ist der FN in der zweiten Runde der „Regionales“ sozusagen an eine undurchdringbare gläserne Decke gestoßen, kommentiert Le Figaro den Wahlsonntag: „Die Franzosen nutzen die Partei von Marine Le Pen, um ihrem Zorn Gehör zu verschaffen, aber sie sehen weiter in ihr keine glaubwürdige politische Alternative.“ Richtig ist aber auch, dass der FN jetzt überall im Lande fest verwurzelt ist – mit landesweit fast 30 Prozent der Stimmen.

Zwar nutzen die Franzosen die Partei von Marine Le Pen, um ihrem Zorn Gehör zu verschaffen, aber sie sehen weiter in ihr keine glaubwürdige politische Alternative.

Le Figaro

Was in den letzten Jahren in Frankreichs politischer Landschaft passiert ist, zeigt der Vergleich mit dem FN-Ergebnis der Regionalwahlen im Jahr 2010: Damals kam der FN auf 11 Prozent und 2,2 Millionen Stimmen. Jetzt hat er 27,8 Prozent der Stimmen erzielt und etwa 6,8 Millionen Wähler für sich gewonnen − 400.000 mehr als beim bisher besten Ergebnis bei den Präsidentschaftswahlen 2012. Und das obwohl die Wahlbeteiligung jetzt um 20 Prozentpunkte tiefer lag. Vor fünf Jahren kam der FN auf 118 Mandate in den Regionalparlamenten, aber war in zehn von damals 22 Regionen gar nicht präsent. Jetzt ist er in allen dreizehn Großregionen mit 358 Sitzen drei Mal so stark und sehr massiv präsent. Das verändert die Ausgangslage für 2017, schon weil der FN nun über mehr Geldmittel verfügen wird. In manchen Städten und in acht Departements erzielte der FN jetzt absolute Mehrheiten. Auch das zeigt das Ergebnis dieser Regionalwahlen: In jenen zwölf Städten, die er in den Kommunalwahlen 2014 gewonnen hat, ist die Zustimmung für die Rechtspopulisten seither noch gestiegen.

Für uns gibt es keine Niederlagen, wir machen bei jeder Wahl Fortschritte.

FN-Bürgermeister von Hénin-Beaumont (Département Pas-de-Calais)

Le Monde warnt denn auch davor, im Ergebnis der zweiten Wahlrunde eine Niederlage des Front National zu sehen: „Wie kann man von einer Niederlage sprechen, wenn eine Partei ihre Wählerbasis von Wahl zu Wahl verbreitert? Wenn sie in weniger als einem Jahr zwei Prozentpunkte hinzugewonnen hat? Wenn sie in der ersten Wahlrunde in sechs von dreizehn Regionen vorne liegt?“ Das Blatt zitiert einen FN-Bürgermeister in jener Nord-Region, die Marine Le Pen jetzt doch nicht gewinnen konnte: „Für uns gibt es keine Niederlagen, wir machen bei jeder Wahl Fortschritte.” Ganz unrecht hat der Mann nicht.

 Frankreichs politische Landschaft im Fluss

Eine paradoxe Wahl ohne Sieger und Besiegte, resümiert Le Monde: „Die Rechte hat gewonnen, aber sie hätte unrecht, wenn sie jetzt Fanfarenklänge ertönen lassen wollte. Die Linke rettet ihre Gesicht, hat aber keinen Grund zum Triumph. Der Front National erleidet einen Rückschlag, ist aber noch nie so stark gewesen wie jetzt.”  Ein Alarmsignal für Frankreichs Politik, warnt auch Le Figaro: In der zweiten Runde der „Regionales“ habe der FN zwar nirgends gewonnen − „aber er ist nicht verschwunden und auch nicht der Zorn der Wähler”.

Die Rechte hat gewonnen, aber sie hätte unrecht, wenn sie jetzt Fanfarenklänge ertönen lassen wollte. Die Linke rettet ihre Gesicht, hat aber keinen Grund zum Triumph. Der Front National erleidet einen Rückschlag, ist aber noch nie so stark gewesen wie jetzt.

Le Monde

Beim Blick auf die politische Landkarte erscheint Frankreich auch nach diesen Regionalwahlen wieder nur in den zwei Farben blau und rot. Als ob sich ein linkes und ein bürgerliches Lager quasi hegemonial in die Macht teilten wie schon immer seit Anbeginn der fünften Republik 1958. Aber das ist eine optische Täuschung, warnt Le Monde. Denn das Frankreich, das jetzt in republikanischer Aufwallung noch einmal standgehalten hat, ist eben auch jenes Frankreich, in dem der Front National ein Rekord-Wahlergebnis erzielt hat und wo die Rechtspopulisten innerhalb von fünf Jahren die Zahl ihrer Regionalmandate verdreifacht haben. Le Monde: „Das kann keine andere Partei von sich sagen.” Immerhin, noch hält die gläserne Decke, die die Rechtspopulisten von der Machtperspektive trennt. Das besagt zumindest die jüngste Umfrage: Wäre jetzt Präsidentschaftswahl, käme Le Pen mit 27 Prozent zwar sicher in die zweite Wahlrunde. Aber dann würde sie im direkten Duell sowohl von Alain Juppé, Nicolas Sarkozy als auch sogar von Franςois Hollande geschlagen werden.