Sozialistisches Debakel
Frankreichs politische Landschaft verändert sich dramatisch: In den Regionalwahlen konnte der rechtspopulistische Front National sein Ergebnis fast verdreifachen. Der FN stellt nun Frankreichs stärkste politische Kraft. Nicht nur Terror und europäische Migrantenkrise haben dem FN Wähler zugetrieben, sondern vor allem eine desaströs gescheiterte sozialistische Regierungspolitik.
Frankreich

Sozialistisches Debakel

Frankreichs politische Landschaft verändert sich dramatisch: In den Regionalwahlen konnte der rechtspopulistische Front National sein Ergebnis fast verdreifachen. Der FN stellt nun Frankreichs stärkste politische Kraft. Nicht nur Terror und europäische Migrantenkrise haben dem FN Wähler zugetrieben, sondern vor allem eine desaströs gescheiterte sozialistische Regierungspolitik.

Eine angekündigte Katastrophe bleibt immer noch eine Katastrophe. Erst recht, wenn sie am Schluss sogar die Ankündigung übertrifft: In sechs von dreizehn Regionen sah die Pariser Tageszeitung Le Monde am Freitag vor der Wahl den Front National (FN) vorne. Dabei ist es am Wahlsonntag der ersten Runde der Regionalwahlen geblieben. Aber mit knapp 41 Prozent in der Nordregion Nord-Pas-de-Calais-Picardie für die FN-Chefin Marine Le Pen und mit knapp 42 Prozent in der Südregion Provence-Alpes-Côte-D’Azur für ihre 25-jährige Nichte Marion Marechal-Le Pen wurde die düstere Vorahnung von Le Monde noch übertroffen. Ebenso im Nordosten, wo in der Region Alsace-Champagne-Ardenne-Lorraine Marine Le Pens Stellvertreter Florian Philippot über 36 Prozent gewann.

FN verdreifacht sein Ergebnis von vor fünf Jahren

Landesweit wurde der rechtspopulistische FN mit knapp 28 Prozent stärkste Partei vor der Sarkozy-Partei Les Republicains (LS) mit etwa 27 Prozent und konnte sein Ergebnis von vor fünf Jahren (11,4 Prozent) fast verdreifachen − für Frankreich eine noch nie dagewesene Wahlsensation. Die Sozialisten erlitten mit etwa 23 Prozent ein regelrechtes Debakel.

Vor fünf Jahren regierten die Sozialisten 21 von 22 Regionen.

Das ganze Ausmaß der Katastrophe der Sozialisten ermisst man beim Blick auf die Wahlkarten von vor elf und vor fünf Jahren: Von damals 22 Metropol-Regionen – ohne Übersee-Departements – hatten  die Sozialisten 2004 tatsächlich 20 und 2010 gar 21 Regionen gewonnen. Bis auf das Elsass, das an Sarkozys Partei ging, die damals noch UMP hieß, war 2010 ganz Frankreich sozialistisch rot. Nach der diesjährigen Regionalreform, die aus 22 kleinen 13 Großregionen machte, haben die Sozialisten nun in der ersten Wahlrunde nur in zwei West-Regionen – Bretagne und Aquitaine-Limousin-Poitou-Charentes – mühsam Spitzenplätze behaupten können. Und das auch nur dank der Teilung des rechten Lagers.

Für Frankreichs Sozialisten ein Debakel und Vertrauensverlust sondergleichen.

Frankreichs politische Landschaft verändert sich dramatisch: In einer einzigen Wahl haben die Sozialisten Frankreich fast völlig verloren − ein Debakel und ein Vertrauensverlust sondergleichen. Für Sarkozys Republikaner, die überall mit der Mitte-Rechts-Partei UDI und fast überall auch mit dem liberalzentristischem Mouvement Démocrate (MoDem) antrat, ist es immerhin eine Rückkehr in vier der neuen Großregionen, aber keine grandiose: Das beste Ergebnis erzielte das bürgerliche Bündnis in der Westregion Pays de la Loire mit gerademal gut 33 Prozent.

Zweite Wahlrunde am 13. Dezember

Wie geht es jetzt weiter? In der zweiten Wahlrunde am 13. Dezember dürfen alle Kandidaten antreten, die mehr als zehn Prozent erzielt haben. Wer dann vorne liegt, gewinnt sein Mandat. Wenn sich Sozialisten und Bürgerliche auf gemeinsame Listen einigten oder wenn sie ihre jeweilig unterlegenen Kandiaten zurückzögen, könnten sie den Front National schlagen – also theoretisch fast überall.

Es wäre unbegreiflich und nicht zu rechtfertigen, wenn man nun ein Bündnis mit den Sozialisten schlösse, jetzt wo sie so gescheitert sind.

Bruno Le Maire

Premierminister Manuel Valls und PS-Parteichef Jean-Christophe Cambadélis haben schon vor der Wahl für solche Taktik in der zweiten Wahlrunde geworben. Sarkozys Republikaner wollen davon jedoch nichts wissen. „Ni-ni“ – „weder-noch“ – lautet die Maßgabe von Nicolas Sarkozy: Weder Sozialisten noch FN. Das bürgerliche Lager will überall mit eigenen Listen antreten und nirgendwo verzichten. „Es wäre unbegreiflich und nicht zu rechtfertigen, wenn man nun ein Bündnis mit den Sozialisten schlösse, jetzt wo sie so gescheitert sind“, erklärt etwa Bruno Le Maire, wahrscheinlicher Bewerber um die nächste Präsidentschaftskandidatur der Republikaner. Tatsächlich würde ein bürgerlich-sozialistisches Bündnis Marine Le Pen in die Hände spielen: Schon viele Wahlkämpfe hat sie mit dem Slogan von der angeblichen „UMPS”-Koalition bestritten – was heißen soll, die alte bürgerliche UMP (jetzt Republikaner) und die sozialistische PS seien im Grunde ununterscheidbar und der FN die einzige wirkliche Opposition.

Die Sozialisten wollen nicht sterben? Das kann man natürlich verstehen, aber die Aufgabe der französischen Rechten ist es nicht, einer Partei die rettende Hand zu reichen, die seit 2012 auf allen Gebieten gescheitert ist.

Le Figaro

In diese Falle dürfe die Sarkozy-Partei auf keinen Fall tappen, warnte ebenfalls schon vor der Wahl das bürgerliche Pariser Blatt Le Figaro: „Die Sozialisten wollen nicht sterben? Das kann man natürlich verstehen, aber die Aufgabe der französischen Rechten ist es nicht, einer Partei die rettende Hand zu reichen, die seit 2012 auf allen Gebieten gescheitert ist.“

FN erfolgreich mit linksradikalem Wirtschaftsprogramm

Die Abfuhr vom bürgerlichen Lager hat PS-Chef Cambadélis nicht daran gehindert, in genau den drei schon verlorenen Regionen, in denen der FN am stärksten ist, die sozialistischen Kandidaten zurückzuziehen, um dort die Rechtspopulisten doch noch auszubremsen. Ob die Rechnung aufgeht, ist ungewiss: Denn etwa Marine Le Pens Nordregion Nord-Pas-de-Calais-Picardie, ein heruntergekommenes ehemaliges Industrierevier, war früher eine alte, knallrote sozialistische Bastion. Dass deren einstmals sozialistische oder gar kommunistische Wähler nun en bloc die Bürgerlichen wählen, ist nicht ausgemacht.

Le Pens Strategie, in Regionen hoher Arbeitslosigkeit und industriellen Verfalls auf der Linken desillusionierte ehemalige sozialistische und kommunistische Wähler an sich zu ziehen, geht auf.

The Economist

Umso weniger als der FN mit seinem Wirtschaftsprogramm – Euro-Ausstieg, Protektionismus und Quasi-Autarkie, Rente ab 60, höhere Niedriglöhne, niedrigere Gas-, Strom-, Benzin- und Eisenbahnpreise – nicht etwa rechts-, sondern regelrecht linkspopulistisch auftritt. Diese Regionalwahlen „sind eine Demütigung für Präsident Hollandes Regierungspartei“,  warnt aus der Londoner Distanz auch das Wochenblatt The Economist, und eben „ein Hinweis darauf, wie weit die Strategie von Frau Le Pen schon aufgegangen ist, in Regionen hoher Arbeitslosigkeit und industriellen Verfalls auf der Linken desillusionierte ehemalige sozialistische und kommunistische Wähler an sich zu ziehen.“

Hausgemachte Katastrophe der Sozialisten

Die Regionalwahlen 2015 sind für die Frankreichs Sozialisten eine Katastrophe – vor allem ihre eigene, hausgemachte Katastrophe. Gewiss, die Terroranschläge vom 13. November in Paris, Europas große Migrantenkrise und wachsendes Unbehagen an den Folgen jahrzehntelang ungenügend kontrollierter Zuwanderung haben dem FN Wähler zugetrieben. Aber das erklärt nicht alles. Im Gegenteil: Mit seiner staatsmännisch entschlossenen Reaktion auf den Terror hatte Präsident Franςois Hollande zuletzt sogar an Popularität gewinnen können. Geholfen hat es seinen Sozialisten nicht. Kein Wunder: Drei Jahre lang haben Hollande und seine Partei sonst fast alles falsch gemacht, was falsch zu machen war.

Hiobsbotschaften kurz vor der Wahl: neuer Rekord bei der Arbeitslosigkeit, neuer Höchststand bei der Steuerlast.

Nur Tage vor der Wahl hatten neue Hiobsbotschaften dem ganzen Land die sozialistische  Misere wieder vor Augen geführt: neuer Rekord bei der Arbeitslosigkeit, neuer Höchststand bei der Steuerlast. Im dritten Quartal 2015 sind Frankreich wieder 75.000 Arbeitsplätze verloren gegangen. Mit 10,6 Prozent hat die Arbeitslosigkeit jetzt den höchsten Stand seit 1997 erreicht. Die Jugendarbeitslosigkeit wuchs auf 25,3 Prozent – der dritthöchste Stand, der in Frankreich je gemessen wurde – und nähert sich dem traurigen Höchststand des Jahres 2012 (26,1 Prozent). Der Blick auf die wichtigsten Nachbarländer lässt die Verzweiflung der Franzosen noch steigen. Le Figaro: „Gleichzeitig sinkt die Zahl der Arbeitslosen in Deutschland auf ihr niedrigstes Niveau … seit 24 Jahren.  In nur einem Jahr sind dort 84.000 Arbeitsplätze hinzu gekommen. Ebenso in Großbritannien, wo die Arbeitslosigkeit fünf Prozent berührt – Vollbeschäftigung.“

Seit vier Jahren geht die Linke Haushalten und Unternehmen ununterbrochen ans Portemonnaie und greift jenseits jeder Vernunft den Reichtum des Landes an, statt ihn Wachstum und Arbeit fördern zu lassen.

Le Figaro

Mit eine Ursache für die Misere ist auch die hohe Steuerlast: Seit 2013 ist sie von 45 auf 45,2 Prozent noch gestiegen. Unter den OECD-Ländern belegt Frankreich damit nach Dänemark einen düsteren zweiten Platz. Die hohe Steuerquote muss die untragbare Staatsquote von 57 Prozent der Wirtschaftskraft finanzieren – „noch ein Rekord“, stöhnt Le Figaro:  „Seit vier Jahren geht die Linke Haushalten und Unternehmen ununterbrochen ans Portemonnaie und greift jenseits jeder Vernunft den Reichtum des Landes an, statt ihn Wachstum und Arbeit fördern zu lassen.“ Es gebe nur eine Lösung, um diesen Teufelskreis zu durchbrechen, so das Blatt: „Wirklich und massiv zu sparen, und aus den monströsen öffentlichen Ausgaben die Luft herauszulassen.“ Genau das aber kann Hollande nicht, und anderthalb Jahre vor den nächsten Präsidentschaftswahlen weniger denn je.

Die Geschichte wird festhalten, dass unter einem Links-Präsidenten Franςois Hollande der FN ein so hohes Ergebnis erzielen konnte – das Ergebnis des Scheiterns der Regierungspolitik bei der Arbeitslosigkeit, bei den Arbeitsplätzen und bei der Sicherheit.

Bruno Le Maire

Frankreichs politische Landschaft verändert sich dramatisch. Ein neues Dreiparteien-System etabliert sich – mit dem rechtspopulistischen FN als stärkster politischer Kraft im Lande. Wohin das Frankreich – und Europa – führen wird, muss sich noch zeigen. In jedem Fall ist es die Schuld der Sozialisten. So sieht es auf der bürgerlichen Seite jedenfalls Bruno Le Maire: „Die Geschichte wird festhalten, dass unter einem Links-Präsidenten Franςois Hollande der FN ein so hohes Ergebnis erzielen konnte – das Ergebnis des Scheiterns der Regierungspolitik bei der Arbeitslosigkeit, bei den Arbeitsplätzen und bei der Sicherheit.“