Wahrscheinlich war es eine Bombe
London geht davon aus, dass jener russische Urlauber-Airbus mit 224 Personen an Bord am vergangenen Samstag Opfer eines Anschlages von Terroristen des Islamischen Staates wurde. Wenn das richtig ist, bedeutet das eine neue gefährliche Wendung im Krieg gegen den Islamischen Staat – und wahrscheinlich massive Eskalation im syrischen Bürgerkrieg und in Irak. Der IS-Terror wird global.
Absturz über dem Sinai

Wahrscheinlich war es eine Bombe

London geht davon aus, dass jener russische Urlauber-Airbus mit 224 Personen an Bord am vergangenen Samstag Opfer eines Anschlages von Terroristen des Islamischen Staates wurde. Wenn das richtig ist, bedeutet das eine neue gefährliche Wendung im Krieg gegen den Islamischen Staat – und wahrscheinlich massive Eskalation im syrischen Bürgerkrieg und in Irak. Der IS-Terror wird global.

Hat eine Bombe des Sinai-Ablegers des Islamischen Staats (IS) den Absturz des russischen Airbus A-321 mit 224 Personen an Bord über der Sinai-Halbinsel verursacht? Davon gehen jedenfalls immer sicherer die britische Regierung und Premierminister David Cameron aus: „Solange die Untersuchung noch andauert können wir nicht mit Bestimmtheit sagen, warum der russische Jet abgestürzt ist. Aber nachdem mehr Informationen zutage gekommen sind, machen wir uns Sorgen, dass das Flugzeug durchaus mit einem Sprengkörper zum Absturz gebracht worden sein kann.“

Ein Anschlag ist wahrscheinlicher, als dass es keiner war.

Premierminister David Cameron

Einen Tag vor dem Staatsbesuch von Ägyptens Staatschef Abd al-Fattah as-Sisi wird Cameron kaum leichtfertig so gesprochen haben: Für die Ägypter, deren Wirtschaft zu 13 Prozent vom Tourismus-Geschäft abhängt, wäre es der schlimmste Fall, wenn der Absturz des russischen Sharm al-Sheikh-Fliegers über der Sinai-Halbinsel auf einen Terroranschlag zurückginge. Aber am heutigen Donnerstag, am Tag des Staatsbesuchs, wurde Premierminister Cameron sogar noch deutlicher: Es sehe „mit zunehmender Wahrscheinlichkeit“ so aus, als habe eine Bombe das Flugzeug abstürzen lassen. Ein Anschlag sei wahrscheinlicher, als dass es keiner war, so Cameron. Sein Außenminister Philip Hammond sprach von Geheimdiensterkenntnissen und von „hoher Wahrscheinlichkeit“, die auf einen Terroranschlag deute.

Briten fühlen sich besonders bedroht

Seit dem Terroranschlag in Tunesien vom vergangenen Juni, der über 30 Todesopfer kostete und ganz gezielt britischen Touristen galt, fühlen sich die Briten von islamistischem Terror besonders bedroht. London hat inzwischen eine Reisewarnung für Sharm al-Sheikh ausgesprochen. Von Großbritannien aus werden vorläufig keine Flüge in die Region mehr starten. Rückflüge von Sharm al-Sheikh nach Großbritannien werden verzögert, bis britische Experten am Flughafen des Urlaubsortes die Sicherheitskontrollen überprüft und kurzfristig verschärft haben. Mindestens 9000 britische Touristen werden bis Freitag am Roten Meer festsitzen.

Aber auch das niederländische Außenministerium rät bis auf weiteres von Flugreisen nach Sharm al-Sheikh ab. Niederländische Fluggesellschaften fliegen den Urlaubsort zunächst bis Sonntag nicht mehr an. Lufthansa, Emirates und Air France haben alle Flüge gestoppt, bis die Absturzursache geklärt ist. Nur die Russen fliegen unverändert weiter: Allein für Donnerstag waren 23 russische Flüge nach Sharm al-Sheikh geplant.

Amerikanische Experten gehen von einer Bombe aus

War es eine IS-Bombe? Noch hat die Regierung in Washington zu den Londoner Aussagen nicht Stellung genommen. Aber auch für US-Stellen verdichten sich die Hinweise. Ein hochrangiger amerikanischer Sicherheitsbeamter wies darauf hin, dass Trümmer des Flugzeugs über eine große Fläche von 20 Quadratkilometern verstreut lägen, was auf eine Explosion an Bord hinweise. Explosionen aufgrund von Triebwerkproblemen oder Treibstoff-Lecks führten dagegen dazu, dass ein Flugzeug auseinander breche.

Das 20 Quadratkilometer große Trümmerfeld weist auf eine Bombe hin.

Das Flugzeug ist zudem nicht langsam gesunken, wie nach einem technischen Defekt zu erwarten, sondern plötzlich fast senkrecht abgestürzt. Der US-Tageszeitung New York Times zufolge haben amerikanische Überwachungssatelliten exakt zu dem Zeitpunkt, zu dem das Flugzeug vom Radar verschwand einen „großen hellen Blitz“ verzeichnet. Eine Bombe an Bord, das sei „von Anfang an“, der Verdacht gewesen, zitiert das US-Politikmagazin Foreign Policy einen US-Experte. Andere US-Sprecher weisen auf die Auswertung von Kommunikationen der Sinai-IS-Terroristen hin, die auch auf einen Terroranschlag hindeuteten.

Sharm al-Sheikh ist bekannt für lasche Sicherheitsvorkehrungen

Wäre es möglich gewesen, in Sharm al-Sheikh eine Bombe an Bord des Fliegers zu schmuggeln? „Der Flughafen ist bekannt für seine laschen Sicherheitsvorkehrungen“, erinnert ein weiterer ungenannter US-Sprecher gegenüber dem TV-Sender CNN. Der IS wäre in der Lage eine Bombe auf einem Sharm el-Sheikh-Flieger zu platzieren, gibt Foreign Policy den ehemaligen CIA-Angehörigen und Mittelost-Antiterror-Experten Bruce Riedel wieder. Die Terroristen müssten nur einen Flughafenangestellten finden, der Zugang zu den Flugzeugen habe. Riedel: „Ich bezweifle stark, dass die Sicherheit in Sharm das ausschließen kann. Der Sinai ist voller Leute, die sehr unzufrieden mit der (ägyptischen) Regierung sind.“

Der IS auf dem Sinai gilt als besonders aktiver Ableger des Islamischen Staates und verfügt US-Angaben zufolge auch über Know how für Bombenbau.

Die IS-Terroristen auf dem Sinai haben sich denn auch kurz nach der Katastrophe zu dem Terroranschlag bekannt. Motiv: Vergeltung für den russischen Luftkrieg gegen den Islamischen Staat in Syrien. Weil das Bekenntnis untypisch unpräzise war, zweifelten Experten zunächst an der Urheberschaft der IS-Terroristen. Allerdings gilt der IS auf dem Sinai als besonders aktiver Ableger des Islamischen Staates und verfügt US-Angaben zufolge auch über Know how für Bombenbau. Klarheit muss nun die Auswertung der Black Box des abgestürzten Airbus bringen: Weil der Stimmenrekorder, der die Gespräche und Geräusche im Cockpit aufzeichnet, beschädigt ist, kann das dauern. Die Daten des Flugdatenschreibers sind schon gesichert worden.

Neue Phase im Krieg gegen den Islamischen Staat

Wenn es eine Bombe war, dann bedeutet das eine dramatische Eskalation des IS-Terrors und den Beginn einer neuen Phase im Krieg gegen den Islamischen Staat. Bei aller Brutalität, sei der Terror des Islamischen Staates bislang zumindest geographisch begrenzt gewesen, beobachtet das zur Washington Post gehörende Online-Magazin Slate. Während Al-Kaida einen Terrorkrieg gegen den Westen und vor allem die USA geführte hätte, habe sich der IS zunächst auf seine Feinde vor Ort konzentriert – die schiitische Regierung in Bagdad, das alawitische Assad-Regime in Damaskus und Nachbarn wie Jordanien, Saudi-Arabien, Türkei und Libanon. Auch die IS-Gründungen in Libyen, Afghanistan, Nigeria und eben Sinai waren vor allem lokale Probleme.

Dann werden die verstreuten IS-Ableger plötzlich wichtig, weil sie das Gebiet, von dem aus der Islamische Staat Angriffe starten kann, gefährlich ausweiten.

Slate

Das könnte sich nun ändern. Wenn tatsächlich IS-Terroristen den russischen Airbus zum Absturz gebracht haben, wäre das ein Hinweis darauf, dass der Islamische Staat in die Terror-Fußstapfen von Al-Kaida treten wolle, beobachtet Foreign Policy.  Der Angriff auf ein Linienflugzeug wäre eine dramatische Ausweitung des Kriegsschauplatzes, warnt Slate: Dann würden die verstreuten IS-Ableger plötzlich wichtig, weil sie das Gebiet von dem aus der  Islamische Staat Angriffe starten könnte, gefährlich ausweiten.

Eskalation in Syrien und Irak

Neben Russland kämen dann auch die USA und der Westen schnell ins Visier der Terroristen. Mit über 100 amerikanischen und mehreren Tausend europäischen Dschihadisten sei der IS für Terrorangriffe auf amerikanische und europäische Ziele personell bestens gerüstet. Slate: „Gut möglich, dass im Rückblick der Absturz von Metrojet Flug 9268 einmal als jener Moment erscheinen wird, in dem der Islamische Staat von der regionalen Bedrohung zur globalen Gefahr wurde.“

Washington müsste womöglich wieder massiver mit Bodentruppen auftreten. Von Moskau wäre sehr harte Vergeltung zu erwarten.

Das hätte sofort Folgen für den gesamten mittelöstlichen Bürgerkriegsschauplatz. Washington, das sich bislang auf den Luftkrieg und Militärberatung und kleine gezielte Kommando-Operationen beschränkt hat, müsste seine Taktik gegenüber dem Islamischen Staat und der neuen Terror-Gefahr überdenken – und würde womöglich wieder massiver auftreten, mit Bodentruppen. Von Moskau müsste sich der Islamische Staat auf harte Vergeltung gefasst machen. Wenn der russische Airbus Opfer einer IS-Bombe wurde, stehen die Zeichen in Syrien und Irak auf Eskalation.