„Der Höhepunkt des Flüchtlingsstroms ist noch nicht überschritten“
Die EU-Grenzschutzagentur Frontex drängt auf eine schnelle Ausweisung abgelehnter Asylbewerber. UN-Flüchtlingskommissar Guterres fordert mehr Geld für die Versorgung von weltweit 60 Millionen Flüchtlingen. Der Migrantenstrom nach Deutschland hält an: Tausende befinden sich gerade auf der Balkanroute. Tripolis droht mit Flüchtlingsflut: "Wir mieten Schiffe und schicken sie nach Europa".
Flüchtlingskrise

„Der Höhepunkt des Flüchtlingsstroms ist noch nicht überschritten“

Die EU-Grenzschutzagentur Frontex drängt auf eine schnelle Ausweisung abgelehnter Asylbewerber. UN-Flüchtlingskommissar Guterres fordert mehr Geld für die Versorgung von weltweit 60 Millionen Flüchtlingen. Der Migrantenstrom nach Deutschland hält an: Tausende befinden sich gerade auf der Balkanroute. Tripolis droht mit Flüchtlingsflut: "Wir mieten Schiffe und schicken sie nach Europa".

Der Höhepunkt des Migrantenstroms sei „noch nicht überschritten“, warnt Fabrice Leggeri, der Chef der EU-Grenzschutzagentur Frontex. In diesem Jahr habe Frontex an den EU-Grenzen schon „mehr als 800.000 irreguläre Grenzübertritte registriert. Noch immer machten sich in den Krisenregionen viele Menschen auf den Weg nach Europa, so Leggeri.

Wer irregulär eingereist ist und kein Recht auf Asyl hat, muss schnell in seine Heimat zurückgeführt werden. Dazu sind Einrichtungen notwendig, in denen solche Migranten notfalls inhaftiert werden müssten.

Frontex-Chef Fabrice Leggeri

Der Elsässer Frontex-Chef fordert darum die EU-Mitgliedsländer auf, Migranten ohne Asylanspruch schneller in die Heimatländer abzuschieben: „Wer irregulär eingereist ist und kein Recht auf Asyl hat, muss schnell in seine Heimat zurückgeführt werden.“ Dazu seien Einrichtungen notwendig, in denen solche Migranten „notfalls inhaftiert werden müssten“, so Leggeri. Der Frontex-Chef erinnert daran, dass es nach EU-Recht möglich sei, irreguläre Zuwanderer bis zu 18 Monaten in Haft zu nehmen, um ihre Rückführung zu organisieren.

Stündlich 100 Migranten in Freilassing

Unterdessen hält der Flüchtlingsstrom an den bayerisch-österreichischen Grenzübergängen an – bei leicht sinkender Tendenz: Angaben der Bundespolizeidirektion München zufolge erreichten am Dienstag 6600 Migranten Bayern. Am Montag waren es 8750. Am Sonntag kamen rund 7750 Personen, am Samstag etwa 7300. Von den drei niederbayerischen Grenzübergängen Wegscheid, Neuhaus am Inn und Simbach wurden am heutigen Mittwochfrüh etwa 3000 wartende Migranten gemeldet. Am Dienstag hatten 4100 Personen über Niederbayern Deutschland erreicht, am Montag 5800. Am oberbayerischen Grenzübergang Freilassing kommen stündlich etwa 100 Personen an, so am Dienstag ein Sprecher der Bundespolizei.

In den vergangenen zweieinhalb Wochen sind in Slowenien 135.000 durchreisende Migranten gezählt worden.

Anhaltend hohe Zahlen werden auch von den anderen Stationen auf der Balkanroute gemeldet, auf der offenbar nach wie vor Tausende Migranten unterwegs sind. In der Nacht zum Dienstag wurden über 4300 Migranten mit Zügen durch Kroatien zur slowenischen Grenze gefahren. Auch am heutigen Mittwoch sprach die slowenische Nachrichtenagentur von 4300 ankommenden Migranten – weniger als die bisher etwa täglich 7000. In den vergangenen zweieinhalb Wochen sind in dem kleinen Westbalkanland 135.000 durchreisende Migranten gezählt worden. Deren Transit nach Österreich und Deutschland verlaufe jetzt immer reibungsloser, heißt es von slowenischen Stellen. Von Serbien aus reisten von Mitternacht bis Mittwochvormittag über 2200 Personen nach Kroatien ein, wo in der Stadt Slavonski Brod schon 2100 Migranten auf die Weiterfahrt nach Slowenien warteten.

Chaos auf den Ägäis-Inseln

Offenbar chaotisch ist die Lage auf den griechischen Inseln in der östlichen Ägäis. Weil die griechischen Seeleute streiken, fahren keine Fähren – und die nach wie vor in großen Zahlen aus der Türkei einströmenden Migranten sitzen auf den Ägäis-Inseln fest. Griechischen Medien zufolge sollen allein im Hafen von Mytilini auf der Insel Lesbos 6000 Migranten auf die Überfahrt nach Piräus warten. Auf Lesbos sollen allein am Sonntag wieder fast 5000 Migranten angekommen sein. Angaben der griechischen Polizei zufolge haben am vergangenen Wochenende etwa 28.000 Migranten die Ägäis-Grenzen nach Griechenland überquert. Insgesamt sollen allein im Monat Oktober über 218.000 Personen den Weg über die Ägäis gefunden haben – viele Tausende von ihnen werden noch immer irgendwo auf der Balkanroute unterwegs sein.

Allein im Oktober 218.000 Migranten über die Ägäis.

Hochaktiv ist auch die Flüchtlingsroute vom Libanon in die Türkei, berichtet die Pariser Tageszeitung Le Monde: 2014 verkehrten wöchentlich zwei Fähren zwischen dem nordlibanesischen Hafen Tripoli und der türkischen Flucht- und Migrationsdrehscheibe Mersin. Im vergangen Juli und August waren es täglich zwei mit Spitzen von 2000 Passagieren pro Schiff, gibt das Pariser Blatt einen Hafendirektor von Tripoli wieder.

30 Flüchtlinge aus Syrien und dem Irak nach Luxemburg umverteilt.

In Athen wurden unterdessen im Rahmen einer kleinen Feier, an der neben Premierminister Alexis Tsipras, EU-Parlamentspräsident Martin Schulz, Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos und Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn teilnahmen, 30 Flüchtlinge aus Syrien und dem Irak verabschiedet, die nach Luxemburg umverteilt werden. Die 30 Flüchtlinge zählen zu den 120.000 Migranten, die gemäß einem Quotensystem aus Griechenland und Italien auf alle EU-Länder umverteilt werden sollen. Nach Angaben der EU-Kommission wurden bislang lediglich 86 Migranten umverteilt – mit den 30 aus Athen sind es jetzt immerhin 116.

Griechenland: Nur ein Bruchteil der Migranten registriert

Noch eine Meldung aus Athen: Heute Abend sollen 70 pakistanische Migranten, deren Asylgründe nicht anerkannt werden, aus Griechenland ausgewiesen werden – die EU übernimmt die Kosten für den Rückflug von Athen nach Islamabad. Gleichzeitig wird allerdings offensichtlich, dass die „Hotspots” genannten griechischen Aufnahmezentren überfordert sind. Nach wie vor wird nur ein Bruchteil der Migranten registriert.

In Griechenland abgewiesene Asylbewerber können ungehindert die Grenze überschreiten und nach Nordeuropa weiterreisen.

Das brachten jetzt Recherchen des ZDF-Magazins Frontal 21 zu Tage. Griechenland sei nicht bereit, „Gefangenenlager“ für Flüchtlinge zu errichten, sagt dazu Innenminister Joannis Mouzalas: „Flüchtlinge sind freie Menschen. Wir können sie nicht einsperren.“ Gleiches lassen die Griechen aber offenbar auch für abgewiesene Asylbewerber gelten, die in Griechenland einen Ausweisungsbefehl erhalten – sie können problemlos und ungehindert die Grenze überschreiten und nach Nordeuropa weiterreisen. Die 70 Pakistanis haben offenbar großes Pech gehabt.

Flüchtlingswelle aus Afghanistan

Auch über die Ägäis und die Türkei hinaus wird der Migrantenstrom nach Europa anhalten: Einer Erhebung des US-Meinungsforschungsinstutes Gallup zufolge wollen ein Viertel der Afghanen ihr Land verlassen, berichtet die US-Tageszeitung The New York Times. In diesem Jahr sollen sich insgesamt 100.000 Afghanen schon auf den Weg nach Europa gemacht haben oder werden es noch tun.

Ein Viertel der Afghanen wollen ihr Land verlassen.

Gallup-Umfrage

Pressemeldungen zufolge fürchtet auch die Bundesregierung eine wachsende Flüchtlingswelle aus Afghanistan. Wieder unter Berufung auf Gallup meldet die NYT außerdem, dass 40 Prozent der Nigerianer – Bevölkerung: 180 Millionen – „in den Westen auswandern wollten, wenn sie könnten“. Das Blatt warnt: „Die Lektion des Jahres 2015 für sie und einen großen Teil der Welt ist – dass sie es können.“

Drohung aus Triplois

Unterdessen droht Libyens islamistische Teil-Regierung in Tripolis, Europa mit Flüchtlingen zu fluten, wenn die EU sie nicht anerkennt. Das berichtet die Londoner Tageszeitung The Daily Telegraph. Der außenpolitische Sprecher des libyschen Nationalkongresses in Tripolis, Jamal Zubia, erklärte dem Blatt: „Um ehrlich zu sein, ich habe meiner Regierung schon viele Male geraten, dass wir Schiffe mieten und sie nach Europa schicken sollten.“

Wir schützen die Tore Europas, aber trotzdem erkennt uns Europa nicht an und will uns auch nicht anerkennen. Also, warum sollten wir die Migranten hier aufhalten?

Jamal Zubia, außenpolitischer Sprecher des libyschen Nationalkongresses in Tripolis

Zubia zufolge gibt Libyen umgerechnet Dutzende Millionen Euro aus, um die Migranten daran zu hindern, das Mittelmeer zu überqueren. Zubia weiter: „Wir schützen die Tore Europas, aber trotzdem erkennt uns Europa nicht an und will uns auch nicht anerkennen. Also, warum sollten wir die Migranten hier aufhalten?“ Im vergangenen Jahr haben etwa 170.000 zumeist schwarzafrikanische Migranten von Libyen aus über das Mittelmeer Italien erreicht. In diesem Jahr waren es von Januar bis September etwa 130.000.

UNHCR fordert mehr Geld für die Flüchtlingslager

Ein Mangel an humanitären Mitteln habe die Flüchtlingskrise ausgelöst, erklärte jetzt UN-Flüchtlingskommissar Antonio Guterres vor dem Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen in New York. Die Mittel seines UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR sowie des Roten Kreuzes und von Hilfsorganisationen reichten nicht aus, um weltweit 60 Millionen Flüchtlinge zu versorgen. Guterres zufolge war es für das UNHCR zuletzt schwierig, in Flüchtlingslagern ausreichend Mittel und Unterkünfte zur Verfügung zu stellen. Tatsächlich sind von 4,5 Milliarden Dollar, welche die UN für die Versorgung von syrischen Flüchtlingen in der Region erbeten hatte, bis Ende vergangenen September erst 37 Prozent eingegangen.  Es sei dringend erforderlich, die Art der Finanzierung von Nothilfen zu überprüfen, so Guterres.

Europa muss damit rechnen, dass noch mehr Menschen aufgenommen und umgesiedelt werden müssten.

UN-Flüchtlingskommissar Antonio Guterres

Erst kürzlich hat Guterres die Europäer aufgerufen, Flüchtlinge direkt aus den Lagern und Ländern außerhalb des europäischen Kontinents aufzunehmen. Guterres: „Ich kann nicht verstehen, wenn ich die Küste von Lesbos sehe, dass Menschen 1000 Euro für die Überfahrt zahlen müssen.“ Die direkte Aufnahme sei der beste Weg, um Menschenleben zu schützen. Die Umsiedlung von 160.000 Migranten aus Italien und Griechenland werde nicht genug sein, so der UN-Flüchtlingskommissar: Europa müsse damit rechnen, dass noch mehr Menschen aufgenommen und umgesiedelt werden müssten.