Warum eine europaweite Quotenverteilung so schwierig ist
Brüssel und Berlin wollen die Flüchtlinge gerne per Quote über die EU verteilen. Daraus wird wahrscheinlich wenig werden. Franzosen und Briten haben millionenfache Einwanderung aus ihren Ex-Kolonien erlebt - und halten sich genau darum bedeckt. Frankreich erinnert sich an wochenlange Migrantenkrawalle vor genau zehn Jahren und weiß genau: Neue Flüchtlingswellen verträgt das Land nicht.
Asylpolitik

Warum eine europaweite Quotenverteilung so schwierig ist

Kommentar Brüssel und Berlin wollen die Flüchtlinge gerne per Quote über die EU verteilen. Daraus wird wahrscheinlich wenig werden. Franzosen und Briten haben millionenfache Einwanderung aus ihren Ex-Kolonien erlebt - und halten sich genau darum bedeckt. Frankreich erinnert sich an wochenlange Migrantenkrawalle vor genau zehn Jahren und weiß genau: Neue Flüchtlingswellen verträgt das Land nicht.

In der großen Flüchtlingskrise spricht man in Berlin gerne von der europäischen Lösung und von europäischer Solidarität. Doch wer darauf hofft, die Partnerländer würden sich per Brüsseler Quote zehn- oder gar hunderttausende Migranten zuteilen lassen, der zeigt nur, dass er über unsere Nachbarländer wenig weiß. Denn es sind eben nicht nur die angeblich unsolidarischen östlichen EU-Mitgliedsländer, die sich weigern, Asylbewerber aus Syrien, Afghanistan oder Afrika aufzunehmen. Unser großes Nachbarland Frankreich wird dieses Jahr „nur” etwa 60.000 Migranten aufnehmen, ungefähr so viele wie im vergangenen Jahr. Großbritannien will in vier Jahren insgesamt 20.000 syrischen Flüchtlingen Asyl gewähren. Deutschland, Österreich und einige wenige andere Anhänger der Flüchtlingsquote stehen ziemlich alleine in Europa.

Frankreichs Erinnerung an den Herbst 2005

Das hat seinen Grund. Wer ihn verstehen will, der sollte genau jetzt einmal französische Zeitungen lesen. Die Franzosen erinnern sich genau dieser Tage an die wochenlangen bürgerkriegsähnlichen Krawalle in französischen Vorstädten (Banlieues) vor zehn Jahren, im Herbst 2005. Seither hat Paris viel Geld ausgegeben, um seine Banlieues zu sanieren, zu verschönern, lebenswerter zu machen.

Paris weiß: Die Banlieues vertragen keinen neuen Zustrom von hunderttausenden arabischen und afrikanischen Migranten

Viel geholfen hat es nicht: Armut, Kriminalität und massenhaftes Schulversagen prägen nach wie vor die vor allem von arabischen und afrikanischen Migranten bewohnten Vorstädte von Paris, Lyon, Toulouse oder Marseille. Dazu kommt dramatische religiöse Radikalisierung und Islamisierung: Das Wort von den „für die Republik verlorenen Territorien” macht in unserem Nachbarland die Runde. Zehn Jahre nach den Krawallen haben die Franzosen Angst vor einem neuen Herbst 2005. Und eines wissen sie ganz genau: Neuen Zustrom von Hunderttausenden arabischen und afrikanischen Migranten werden ihre Banlieues nicht vertragen.

Angst vor dem Front National

Dazu kommt aktuelle Politik: Anfang Dezember wird in Frankreichs Regionen gewählt. Sozialisten und Republikaner treibt die Angst um, dass dann Marine Le Pen und ihr rechtsextremer Front National im Norden und im Süden zwei Regionen gewinnen könnte. Das ist tatsächlich möglich. Schon in anderthalb Jahren steht in Frankreich die nächste Präsidentschaftswahl bevor: Sowohl Präsident Franςois Hollande als auch seine bürgerlichen Widersacher sind heute in denkbar schlechter Verfassung. Viele Beobachter halten schon jetzt eine zweite Wahlrunde mit einer Präsidentschaftskandidatin Marine Le Pen für so gut wie sicher. Le Pens wichtigstes Thema ist der Widerstand gegen weitere muslimische Einwanderung. Niemand in Berlin sollte erwarten, dass Hollande ausgerechnet jetzt Hunderttausende arabische und afrikanische Asylbewerber aufnimmt – und Marine Le Pen ihr Lieblings-Wahlkampfthema sozusagen auf dem Silbertablett serviert.

Londons August 2011

Auch die Briten erinnern sich an Dinge, die so lange noch gar nicht her sind: etwa an die tagelangen Londoner Migrantenkrawalle vom August 2011 mit Plünderungen und Brandstiftungen. Sogar Ausgangssperren wurden damals verhängt. Auch die Briten wissen, dass Zig- oder Hunderttausende Neuankömmlinge aus Syrien oder Afrika das Problem der Parallelgesellschaften in ihren Städten gewiss nicht mildern werden.

 Es ist immer billiger, aus fremden Fehlern und Erfahrungen zu lernen, als sie selber zu machen.

Briten und Franzosen haben mit der Integration von Millionen von Einwanderern aus ihren ehemaligen Kolonien in Nordafrika, Afrika oder Südasien sehr gemischte Erfahrungen gemacht. Genau darum halten sie sich jetzt in Europas großer Asylkrise so bedeckt. Appelle und gute Worte aus Brüssel oder Berlin werden daran wenig ändern. Vielleicht täte es Berlin sogar ganz gut, über die französischen und britischen Erfahrungen einmal nachzulesen und nachzudenken: Es ist immer billiger, aus fremden Fehlern und Erfahrungen zu lernen, als sie selber zu machen. Und auf die große Flüchtlingskrise wird Berlin vor allem eine deutsche Antwort finden müssen − schon bald.