Das Ergebnis der weißrussischen Wahlfarce flimmert über die Bildschirme: Sieger ist erwartungsgemäß der Autokrat Lukaschenko (2.v.r.) mit DDR-ähnlichen Ergebnissen. Bild: Imago/Viktor Drachev/Itar-Tass
Weißrussland

Die „letzte Diktatur Europas“ hat gewählt

Der Autokrat Alexander Lukaschenko bleibt in Weißrussland an der Macht – völlig "überraschend". Der 61-Jährige erhielt bei der "Präsidentenwahl" nach vorläufigen Ergebnissen 83,5 Prozent der Stimmen. Beobachter sprechen von massiven Wahlfälschungen und halten die Abstimmung wie auch die vorherigen für eine Farce.

Die Wahlbeteiligung lag bei 86,8 Prozent, wie die staatliche Agentur Belta meldete. Zur Abstimmung berechtigt waren etwa sieben Millionen Menschen. Schon bei der letzten Wahl 2010 hatte Lukaschenko knapp 80 Prozent der Stimmen für sich reklamiert. Er regiert das Land autoritär und gilt als enger Verbündeter Russlands seit 1994. „Europas letzter Diktator“ wird Lukaschenko genannt, auch wenn die Staatschefs der geographisch zum Teil europäischen Länder Russland und Türkei ihm diesen Titel streitig machen.

Alles muss ruhig bleiben – und ohne Revolutionen.

Alexander Lukaschenko

In Minsk demonstrierten am Abend mehrere Dutzend Oppositionelle gegen die Wahl. Die Sicherheitskräfte waren zwar präsent, griffen aber nicht ein. Dabei ließen jüngste Äußerungen des Diktators das Schlimmste befürchten: „Ich werde mein oberstes Prinzip auf keinen Fall aufgeben. Das ist ein wichtiges Prinzip der Staatsführung: Alles muss ruhig bleiben – und ohne Revolutionen. Das ist das Wichtigste.“ Beobachter sprachen von massiven Wahlfälschungen. Wähler sollen mit „Nachdruck“ zu den Wahlurnen gebracht worden sein. Rund 40 Prozent der Wähler gaben auch jetzt wieder ihre Stimme in den Tagen vor der Wahl ab, was als manipulationsanfälliges Verfahren gilt. Presse- oder Meinungsfreiheit gibt es nicht in dem EU-Nachbarland und eine faire Darstellung aller Kandidaten in den staatlich gelenkten Medien blieb erneut aus. Die weißrussischen Bürgerrechtler und Wahlbeobachter präsentieren am Montag in Minsk ihre eigene Bilanz der Präsidentenwahl. Die neue Literaturnobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch rechnet ohnehin nicht mit einem baldigen Ende der Diktatur in ihrer Heimat:

Für die Freiheit braucht es freie Menschen, und die gibt es noch nicht.

Die Bücher von Alexijewitsch, die beschreiben, wie das sowjetische Erbe in den Nachfolgestaaten und den Menschen dort weiterlebt, werden in ihrer Heimat nicht aufgelegt.

Ergebnis so sicher wie das Amen in der Kirche

Mit Hochrechnungen, Expertenrunden und Liveschaltungen inszenierte das Staatsfernsehen stundenlang das Ergebnis der Präsidentenwahl. Im diktatorisch regierten Weißrussland war das Endresultat aber so sicher wie das Amen in der Kirche. „Auf Platz eins mit überwältigender Mehrheit von mehr als 80 Prozent landete Alexander Lukaschenko, der Präsident, der seit mehr als zwei Jahrzehnten an der Macht ist“, verkündete das Staatsfernsehen inbrünstig nach der „Wahl“. Die drei zugelassenen Oppositionskandidaten, darunter Tatjana Korotkewitsch (4,42 Prozent), blieben alle im einstelligen Bereich, um zu demonstrieren, wie chancenlos sie waren. Die zwei weiteren Bewerber Sergej Gajdukewitsch (3,32 Prozent) und Nikolai Ulachowitsch (1,67 Prozent) galten ohnehin als regimetreu – und auch bei Korotkewitsch gab es Zweifel an ihrer Unabhängigkeit. Mehr als sechs Prozent der Wähler stimmten gegen alle Bewerber.

Lukaschenkos Täuschungsmanöver verpuffen

Staatschef Lukaschenko versuchte vergeblich, die Abstimmung als rechtmäßig zu präsentieren: „Alles, was der Westen vor den Präsidentschaftswahlen in Weißrussland sehen wollte, haben wir umgesetzt. Wenn der Westen gute Beziehungen zu uns herstellen möchte, dann wird das nichts und niemand verhindern können.“ Die EU hatte verlangt, es dürfe nicht wieder zu brutalen Polizei-Übergriffen gegen Demonstranten kommen wie 2010. Außerdem ließ Lukaschenko kurz nach der letzten Wahl einige seiner Konkurrenten und hunderte andere Oppositionelle unter fadenscheinigen Vorwürfen verhaften.

Sie haben gesehen, dass Weißrussland ein normaler Staat ist.

Alexander Lukaschenko

Er begnadigte nun im August sechs führende Oppositionelle, darunter seinen sozialdemokratischen Ex-Konkurrenten Nikolaj Statkewitsch. Dies geschah jedoch erst einen Tag nach Ablauf der Registrierungsfrist für die Wahl. Sicher ist sicher. Der Autokrat hofft für seine fünfte Amtszeit, dass der Westen seine Sanktionen gegen ihn und seine Gefolgsleute lockert und dass der Internationale Währungsfonds IWF einen neuen Milliardenkredit gibt, um die von Lukaschenko verursachte Wirtschaftskrise überbrücken zu können. 70 Prozent der Menschen sind bei Staatsbetrieben angestellt, von denen mindestens 40 Prozent als defizitär gelten. „Sie haben verstanden, dass Sanktionen nur schaden. Sie haben gesehen, dass Weißrussland ein normaler Staat ist“, freute sich der weißrussische Präsident vor der Wahl über die Debatten über die Sanktionen in der schon wieder aufgeweichten EU. Dabei ist ein echter Kurswechsel des Diktators nicht in Sicht. Er spielt lediglich wie schon bisher Russland gegen die EU aus – und umgekehrt.