Das Versagen der Araber
Ein mehrfacher Skandal: Die steinreichen arabischen Golfstaaten halten mit viel Geld und Waffenlieferungen den Bürgerkrieg in Syrien in Gang. Aber syrische Flüchtlinge wollen sie um keinen Preis aufnehmen. Saudi-Arabien hätte 100.000 Zelte für drei Millionen Flüchtlinge – fürchtet aber um seine Stabilität und Sicherheit. Dafür wollte Riad in Deutschland für syrische Flüchtlinge 200 Moscheen bauen.
Golfstaaten und Syrien

Das Versagen der Araber

Ein mehrfacher Skandal: Die steinreichen arabischen Golfstaaten halten mit viel Geld und Waffenlieferungen den Bürgerkrieg in Syrien in Gang. Aber syrische Flüchtlinge wollen sie um keinen Preis aufnehmen. Saudi-Arabien hätte 100.000 Zelte für drei Millionen Flüchtlinge – fürchtet aber um seine Stabilität und Sicherheit. Dafür wollte Riad in Deutschland für syrische Flüchtlinge 200 Moscheen bauen.

„Das Wort von der ‚Arabischen Nation‘ ist eine Lüge. “ Der harte Satz stand Anfang September in einem Kommentar der englischsprachigen Beiruter Tageszeitung The Daily Star (Auflage 15.000) unter der Überschrift: „Arabische Nation nur dem Namen nach“. Mit spürbarer Erbitterung wies das Blatt auf einen befremdlichen Aspekt der großen syrischen Flüchtlingsnot hin: Während die Europäer täglich Tausende syrische Flüchtlinge aufnehmen, „ist eine arabische Antwort größtenteils ausgeblieben“. The Daily Star weiter: „Das Versagen der Region bei der Bewältigung dieser Krise markiert einen schwarzen Fleck in der Geschichte des Mittleren Ostens. Jene syrischen Babys, die jetzt im Westen aufwachsen, werden sich daran erinnern, und sie wissen dann, dass ihre Region sie im Stich gelassen hat.“

Die reichsten Länder der arabischen Welt tun fast nichts für Syriens Flüchtlinge.

Washington Post

Alle syrischen Flüchtlingszahlen sprechen eine deutliche Sprache und bestätigen die bittere Einschätzung des Beiruter Blattes. Tatsächlich haben allein fünf Länder der Region die inzwischen knapp vier Millionen syrische Flüchtlinge aufgenommen: Libanon 1,1 Millionen, Jordanien etwa 620.000, die Türkei 1,6 Millionen. In den Irak, der selber Bürgerkriegsgebiet ist, sind etwa 225.000 Syrer geflüchtet. In Ägypten wurden laut Amnesty International bis Ende des vergangenen Jahres 142.543 syrische Flüchtlinge registriert. Die Zahl der syrischen Flüchtlinge, die etwa von den fünf arabischen Ländern am Persischen Golf – Katar, Vereinigte Arabische Emirate (VAE), Saudi-Arabien, Kuwait und Bahrein – aufgenommen wurden, so wieder Amnesty International, bleibt dagegen einstellig: Null. „Die reichsten Länder der arabischen Welt tun fast nichts für Syriens Flüchtlinge“, titelte denn auch Anfang September die US-Tageszeitung The Washington Post.

Die Golf-Staaten könnten helfen, wollen es aber nicht

Das Verhalten der Golfstaaten ist in mehrfacher Hinsicht ein Skandal: Jordanien und Ägypten sind bettelarme Länder. Dem Libanon und der Türkei geht es besser. Aber die genannten Golfstaaten sind steinreich. Und alle hätten leicht die Möglichkeit zu helfen: Riesige Hoch- und Tiefbau-Konzerne wetteifern in Dubai, Abu Dhabi und Riad beim Bau von glanzvollen, gigantischen Wolkenkratzern. Aber niemand baut Flüchtlingsunterkünfte. Saudi-Arabien, das jedes Jahr Millionen Mekka-Pilger empfängt, hat große Erfahrung bei der Unterbringung und Versorgung von riesigen Menschenmassen, zitiert die Washington Post einen Kenner der Region. Das große und dünn besiedelte Königreich verfügt über „100.000 Zelte mit Klimaanlagen, die drei Millionen Flüchtlinge beherbergen könnten“, berichtet die dänische Tageszeitung Politiken. Die Zelte werden nur während der Zeit der Pilgerreise nach Mekka gebraucht und stehen sonst leer.

Für die Mekka-Pilger hat Saudi-Arabien 100.000 Zelte mit Klimaanlagen, die drei Millionen Flüchtlinge beherbergen könnten.

Politiken

Die Golfstaaten sind Teil der Region, gehören zu Syriens arabischer Nachbarschaft. Von Aleppo nach Kuweit ist es nur halb soweit wie etwa nach München. Der Irak, aus dem immer mehr Flüchtlinge nach Europa strömen, grenzt an Kuwait und Saudi-Arabien. Eigentlich müssten die meisten syrischen und irakischen Flüchtlinge den Golf-Arabern nahe stehen: Sie sprechen arabisch und sind zu allermeist arabische Sunniten wie sie.

Die Golf-Staaten sind in Syrien Kriegspartei

Die Golf-Araber – wie allerdings auch die Türkei –  tragen außerdem eine besondere Verantwortung für den eskalierenden Bürgerkrieg in Syrien: Es ist auch ihr Krieg. Denn die Golf-Araber sind in Syrien im Grunde Kriegspartei. Saudi-Arabien lässt dort sozusagen einen Stellvertreterkrieg führen – gegen Teheran.

Die Golf-Araber helfen den Rebellen, nicht den Flüchtlingen.

New York Times

Mit endlosem Geld- und Waffennachschub haben die Golf-Araber die islamistischen Rebellen in Syrien erst groß gemacht – auch den Islamischen Staat. Und sie machen so weiter: „Saudi-Arabien, Katar und die Vereinigten Arabischen Emirate halten den Krieg in Syrien am Laufen, indem sie die Opposition ausrüsten und finanzieren“, beobachte zutreffend die Neue Zürcher Zeitung. „Die Golf-Araber helfen den Rebellen, nicht den Flüchtlingen“. So sagte es kürzlich ein syrischer Flüchtling der New York Times.

Hunderttausende syrische Gastarbeiter

Jetzt wehren sich die Golf-Staaten gegen lauter werdende Vorwürfe, sie würden ihren arabischen Brüdern und Schwestern in Syrien Hilfe verweigern. Seit Beginn des syrischen Bürgerkrieges seien 100.000 Syrer in die Vereinigten Arabischen Emirate gekommen, hieß es kürzlich aus Abu Dhabi. Saudi-Arabien nannte die Kritik an seiner Haltung gegenüber syrischen Flüchtlingen „falsch und irreführend“ (The Guardian). Riad habe 100.000 Syrern Aufenthaltsgenehmigungen erteilt, aber nicht mit seiner Hilfe prahlen wollen, hieß es in einer saudischen Pressemitteilung: „Das Königreich Saudi-Arabien hat nicht die Absicht, darüber zu sprechen, was es unternimmt, um den syrischen Brüdern und Schwestern in ihrer Not beizustehen.“ Überprüfen lässt sich das schwerlich.

Die Golfstaaten haben allesamt nicht die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 unterzeichnet.

Tatsächlich befinden sich Hunderttausende Syrer in den Golfstaaten – als Gastarbeiter, die, so die New York Times, zumeist einfache Arbeiten verrichten und leicht deportiert werden können. Die Golfstaaten haben allesamt nicht die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 unterzeichnet. Sie sind darum theoretisch nicht zur Hilfe für Flüchtlinge verpflichtet und erkennen den Flüchtlingsstatus grundsätzlich nicht an. Syrer, die nach Saudi-Arabien wollen, müssen teure und zeitraubende Visa-Anträge stellen. Wer ein Visum erhält, hat keinen Anspruch auf Schutz, finanzielle Unterstützung oder Asyl-Status und erst recht keine Aussicht auf saudische Staatsbürgerschaft.

Vergleichsweise wenig finanzielle Hilfe für Flüchtlingslager

Anders als die Golf-Staaten behaupten, kompensieren sie ihre fehlende Bereitschaft, syrische Flüchtlinge aufzunehmen, auch nicht mit entsprechend größerer finanzieller Hilfe für Flüchtlingslager etwa in Jordanien und Libanon. Nur Kuwait trug dieses Jahr mit 100 Millionen Dollar wirklich substantiell zur Hilfe für syrische Flüchtlinge bei, berichtet die NZZ. Aus Saudi-Arabien kamen dieses Jahr bislang 2,8 Millionen, aus den Vereinigten Arabischen Emiraten 2,2 und aus Katar 2,5 Millionen Dollar. Zum Vergleich: Norwegen half mit 19,4 und die Schweiz mit 2,6 Millionen Dollar. Die USA trugen dieses Jahr fast 220 Millionen Dollar bei.

Deutschland hat seit 2011 mit etwa einer Milliarde Dollar fast doppelt so viel Hilfe geleistet wie Saudi-Arabien mit 600 Millionen Dollar.

Einer britischen Übersicht zufolge hat Deutschland seit 2011 mit etwa einer Milliarde Dollar fast doppelt so viel Hilfe geleistet wie Saudi-Arabien mit 600 Millionen Dollar. Großbritannien hat mit bislang etwa 1,4 Milliarden Dollar syrischen Flüchtlingen mehr geholfen als Saudi-Arabien, die VAE und Katar zusammen.

Angst vor demographischer, wirtschaftlicher und politischer Überflutung

Die Zurückhaltung der Golf-Araber bei der Aufnahme von syrischen Flüchtlingen hat Gründe. In den kleinen Golfstaaten leben schon sehr viel mehr Gastarbeiter als Staatsbürger. In den VAE etwa beträgt das Verhältnis fünf zu eins. Katar und die VAE seien reich, gerade weil sie so klein seien, schreibt die in Washington ansässige und den Mittleren Osten beobachtende Internetzeitung al-Monitor: „Und jetzt haben sie Angst, dass sie demographisch, wirtschaftlich und politisch überflutet werden.“ In Saudi-Arabien sind gut 30 Prozent der Einwohner Gastarbeiter. Das Königreich bemüht sich derzeit, Platz zu schaffen für Tausende Saudis, die jedes Jahr auf den Arbeitsmarkt drängen.

Die Saudis lehnen es ab, syrische Kriegsflüchtlinge – sunnitische Muslime wie sie selber – aufzunehmen, weil sie glauben, dass das Risiko für ihre Sicherheit und Stabilität zu hoch ist.

Fadi Assaf (Le Figaro)

Bislang machen Araber nur einen kleinen Teil der Gastarbeiter in den Golfstaaten aus. Was kein Zufall ist. Die Regime am Golf halten sich arabische Zuwanderer vom Leibe, gerade weil diese ihnen kulturell nahe sind und ihre Sprache sprechen, erläutert die NZZ: Sie könnten unerwünschte politische Ideen im Land verbreiten. Noch deutlicher beschreibt es in der Pariser Tageszeitung Le Figaro der libanesische Politikberater Fadi Assaf: „Die Saudis fürchten, dass die syrischen Migranten mit einer Geburtenrate, die der ihren gleichkommt, und mit einem religiösen Radikalismus, der sich mit dem anti-aufklärerischen Obskurantismus der saudischen Wahabiten messen kann, ein zu hohes Risiko für ihre Sicherheit und Stabilität bedeuten.“ Die Saudis begründen ihre Ablehnung syrischer Zuwanderung allen Ernstes mit „kulturellen Unterschieden“, so der libanesische Berater.

Asyl für Diktatoren und 200 Moscheen für Deutschland

Trotz alledem ist Riad doch bereit, ausgewählten Freunden in der Not zu helfen, erinnert sich die NZZ: Ugandas mörderischer Diktator Idi Amin und der im sogenannten arabischen Frühling gestürzte tunesische Diktator Ben Ali fanden in Saudi-Arabien Asyl und freundliche Aufnahme. Und für den richtigen ideologischen Zweck ist das Königreich auch bereit, tief in die Tasche zu greifen: Presseberichten zufolge hat Riad der Bundesregierung angeboten, für die syrischen Migranten in Deutschland 200 Moscheen zu bauen. Sicher wären die Saudis auch bereit, dann für diese Moscheen wahabitische Imame zu stellen und ihre Gehälter zu bezahlen. Riad bleibt Riad.