Tsipras oder Meimarakis
Ob Alexis Tsipras geht oder bleibt, die Aufgabe für Griechenlands nächste Regierung ist die gleiche: Umsetzung des mit Brüssel ausgehandelten Reform- und Sparprogramms ab Oktober. Wirtschaftliche Besserung ist nicht in Sicht. Kapitalkontrollen sind weiter in Kraft. Migrantenkrise: Auch Herausforderer Evangelos Meimarakis wird Griechenlands Schengen-Außengrenze nicht schützen.
Griechenland

Tsipras oder Meimarakis

Ob Alexis Tsipras geht oder bleibt, die Aufgabe für Griechenlands nächste Regierung ist die gleiche: Umsetzung des mit Brüssel ausgehandelten Reform- und Sparprogramms ab Oktober. Wirtschaftliche Besserung ist nicht in Sicht. Kapitalkontrollen sind weiter in Kraft. Migrantenkrise: Auch Herausforderer Evangelos Meimarakis wird Griechenlands Schengen-Außengrenze nicht schützen.

Das könnte knapp werden. Kurz vor dem Wahltermin am 20. September sehen manche Umfragen Griechenlands konservative Partei Nea Dimokratia (ND) um 0,5 bis 1,2 Prozentpunkte vor der linksradikalen Syriza-Formation des zurückgetretenen Premiers Alexis Tsipras. Andere Umfragen sehen Syriza genauso knapp vorne − bei einer hohen Zahl unentschlossener Wähler. Beobachter gehen davon aus, dass junge Wähler, die sich am Wahltag entschließen, doch zur Wahl zu gehen, überwiegend Tsipras zuneigen werden.

Wohl keine absolute Mehrheit

Den Prognosen zufolge werden beide Parteien um die 30 Prozent erreichen oder knapp darunter liegen. Keine von beiden könnte damit eine absolute Mehrheit erzielen, auch nicht mit Hilfe der 50 Extramandate, die das griechische Wahlgesetz dem Wahlsieger dazuschenkt. Der Wahlsieger wird auf eine Regierungskoalition bauen müssen. Das könnte problematisch werden: Den ganzen kurzen Wahlkampf lang hat Tsipras eine Koalition mit den Konservativen ausgeschlossen. Der neue ND-Chef Evangelos Meimarakis hat zwar Syriza zur Koalition eingeladen, aber zugleich keine Gelegenheit ausgelassen, Ex-Premier Tsipras mit großer Schärfe anzugreifen und ihn der Lüge und des Betrugs am Wähler zu zeihen. Ob Bündnisse mit kleineren Parteien zur Regierungsmehrheit führen können muss sich zeigen: Die sozialistische Pasok und die Kommunistische Partei KKE können wohl nur mit etwa fünf Prozent rechnen. Die von Syriza abgespaltene noch linksradikalere Volkseinheit von Panagiotis Lafazanis – der Ex-Kommunist war bis vor kurzem Tsipras‘ Energieminister – muss um die Überwindung der Drei-Prozent-Hürde bangen. Ausgerechnet die rechtsradikale Partei Goldene Morgenröte kann darauf rechnen, mit knapp sechs Prozent drittstärkste Fraktion zu werden.

Den ganzen kurzen Wahlkampf lang hat Tsipras eine Koalition mit den Konservativen ausgeschlossen.

Weil Lafazanis im Streit um das dritte Rettungspaket Syriza verlassen und etwa 30 Links-Abgeordnete mitgenommen hatte, war Tsipras am 20. August zurückgetreten und hat damit vorgezogene schnelle Wahlen erzwungen. Griechenlands Wahlrecht gibt ihm nun ein Instrument zur Disziplinierung seiner zerrissenen Partei an die Hand: Wenn vor Ablauf von zwölf Monaten Neuwahlen stattfinden, bestimmt der Parteichef die Kandidatenliste.

Kommt es auf die Wahl überhaupt an?

Kommt es auf die Wahl – die fünfte in sechs Jahren oder die sechste, wenn man das Juni-Referendum dazurechnet – überhaupt an? Nicht wirklich. Wer immer gewinnt, wird nur geringen politischen Spielraum vorfinden und nur eine Aufgabe – die Umsetzung der Brüsseler Reformauflagen, die ab Oktober greifen: neue Steuern sowie Renten- und Ausgabenkürzungen. Denn nur wenn die Brüsseler Kreditgeber zufrieden sind, fließen tranchenweise die Gelder aus dem 86 Milliarden Euro schweren dritten Rettungspaket.

Die neue Regierung − egal welche − hat vor allem eine Aufgabe: die Umsetzung der Brüsseler Reformauflagen.

Athens neuer Regierung, egal wer sie stellt, steht ein heißer Oktober bevor. Denn wachsende wirtschaftliche Misere wird die bitteren Reformschritte noch schmerzhafter machen: Griechenlands Wirtschaftsleistung wird dieses Jahr um zwei oder drei Prozent sinken. Die Arbeitslosigkeit, die Anfang des Jahres leicht auf 25 Prozent gefallen war, steigt wieder. Besserung ist nicht in Sicht. Kapitalkontrollen, die den Sturm auf die Banken verhindern sollen, sind noch in Kraft und belasten die Wirtschaft: Noch immer dürfen Kontoinhaber pro Woche höchstens 420 Euro abheben. Kredite gibt es nur für große Firmen. Kleinere Unternehmen leiden unter Kapitalknappheit. Einen Trost gibt es immerhin: Die Tourismus-Saison war gut. In den ländlichen Regionen ist auch darum die Krise weniger sichtbar als etwa in Athen.

Tsipras‘ Wahlkampf mit gespaltener Zunge

Großen Reformeifer wird keine Regierung zeigen. Im Gegenteil. „Athen verhindert Privatisierungen, wo immer es kann“, titelte Anfang August die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Im Wahlkampf hat Tsipras regelmäßig Stimmung gegen das aufgezwungene Reformpaket gemacht und den Wählern versprochen, in Brüssel neue Bedingungen auszuhandeln. Außerdem hat er neue Ausgabenprogramme in Aussicht gestellt, Geld für die Inseln und die Landwirte. Vor der Anhebung des Rentenalters sollen 150.000 Griechen noch schnell von Frührenten profitieren. Tsipras‘ Wahlkampftöne haben in Brüssel für hochgezogene Augenbrauen gesorgt. „Wir werden uns an das Abkommen halten“, beruhigte der Syriza-Chef sogleich.

Die extrem großzügigen Kreditbedingungen für Athen entsprechen einem Schuldenschnit von fast 100 Milliarden Euro

Auch die alte Forderung nach einem Schuldenschnitt wird in Athen immer wieder laut. Dabei hat Griechenland ihn längst erhalten, wenn auch indirekt. Das haben jetzt Experten des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW) errechnet: Wegen der guten Kreditbedingungen − extrem niedrige Verzinsung, jahrzehntelange Laufzeit − seien 184 Milliarden Euro Kredite an Griechenland aus heutiger Sicht nur 87 Milliarden Euro wert. Das entspricht einer Entlastung für Athen um fast 100 Milliarden Euro.

Tsipras ohne politische Rolle: weder als Anti-Brüssel-Rebell noch als Reformer glaubwürdig

Tsipras führt Wahlkampf mit gespaltener Zunge: Den Wählern sagt er das eine, nach Brüssel hin das Gegenteil. Ob ihm das am Wahltag hilft, ist fraglich. Denn, das zeigen die Umfragen, Tsipras Stern sinkt. Kein Wunder. Nach seiner Kapitulation gegenüber den Kreditgebern und nach seiner Unterschrift unter das Brüsseler Reformregime ist ihm die politische Rolle abhanden gekommen: Als Rebell gegen Brüssel überzeugt er nicht mehr. Als entschlossener Reformer und Modernisier ist er noch weniger glaubwürdig.

Der konservative Herausforderer Evangelos Meimarakis

Immerhin hat Tsipras‘ chaotischer Krisenkurs während des ersten Halbjahres einen entscheidenden Punkt für alle Wähler sichtbar geklärt, beobachtet die Londoner Wochenzeitung The Economist: Griechenlands Verbleib in der Eurozone und wilde Parolen gegen Reform- und Sparpolitik sind nicht miteinander vereinbar. Das könnte ND-Chef Evangelos Meimarakis helfen. Der 62-jährige Politikveteran – er sitzt seit 1989 für die ND im Athener Parlament wie zuvor sein Vater und war schon Verteidigungsminister und Parlamentspräsident – hat seiner Partei zu überraschend schneller Wiedererstarkung verholfen. Er warnt die Wähler vor dem Grexit – Griechenlands Ausstieg aus dem Euro – der immer noch drohe.

Das ist immerhin geklärt: Griechenlands Verbleib in der Eurozone und wilde Parolen gegen Reform- und Sparpolitik sind nicht miteinander vereinbar.

The Economist

Aber die im Oktober bevorstehenden Reformschnitte werden Meimarakis darum nicht leichter fallen. Zumal die griechische Verwaltung heute eher noch desorganisierter ist als zuvor und darum noch weniger in der Lage, Reformen umzusetzen, wie The Economist schreibt.

Migrantenkrise: Athen wird das Schengener Abkommen weiter ignorieren

Und die Migranten-Krise? Auch von Meimarakis kommt zu dem Thema, das die Europäische Union derzeit so dramatisch erschüttert, nicht viel, berichtet die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Das Dublin-Abkommen, nach dem die Erstaufnahmeländer die Migranten registrieren und deren Asylanträge bearbeiten müssen, sei am Ende, sagt Meimarakis dem Frankfurter Blatt, und dass man die Fluchtursachen bekämpfen müssen. Die Botschaft ist klar: Auch unter einer Regierung Meimarakis wird Athen die Migrantenmassen nicht registrieren, sondern so schnell wie möglich durch das Land hindurchschleusen. Maßnahmen zur Sicherung der griechischen Schengen-Außengrenzen hat auch Meimarakis offenbar nicht im Sinn.