Will Moskau die Eskalation in Syrien?
Russland verstärkt seine Präsenz in Syrien massiv und schickt wohl auch Truppen. Moskau will das Überleben des Assad-Regimes sichern. Das kompliziert Amerikas Koalitionskrieg gegen den Islamischen Staat: Denn Riad und Ankara sind entschlossen, Assads Abtritt zu erzwingen. Hoffnungen auf einen Kompromiss der am syrischen Bürgerkrieg beteiligten Parteien schwinden.
Syrien

Will Moskau die Eskalation in Syrien?

Russland verstärkt seine Präsenz in Syrien massiv und schickt wohl auch Truppen. Moskau will das Überleben des Assad-Regimes sichern. Das kompliziert Amerikas Koalitionskrieg gegen den Islamischen Staat: Denn Riad und Ankara sind entschlossen, Assads Abtritt zu erzwingen. Hoffnungen auf einen Kompromiss der am syrischen Bürgerkrieg beteiligten Parteien schwinden.

Was hat Wladimir Putin in Syrien vor? Die Frage stellt man sich in Washington wie in europäischen Hauptstädten nach jüngsten Berichten über zunehmende russische Präsenz und Aktivitäten in dem Bürgerkriegsland. Einem Bericht der Presseagentur Reuters zufolge sollen – zahlenmäßig kleine – russische Kräfte schon an Operationen der syrischen Armee teilgenommen haben. Ähnliche Berichte gibt es von Quellen aus dem Libanon und Israel.

Moskaus Nachschub für Assad

Sicher ist lediglich, dass es um weit mehr geht als bloße Unterstützung des Assad-Regimes durch Waffenlieferungen. Der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung zufolge sind alleine in diesem September mindestens 25 Großtransportflugzeuge vom Typ Antonow AN-124 auf dem Flughafen der Hafenstadt Dschabla gelandet. Auch Frachtschiffe aus Russland steuern Dschabla an oder den Hafen Tartus, wo Moskau über eine eigen Marinebasis verfügt. Den Berichten zufolge wurden aus den Flugzeugen und Schiffen schwere Waffen entladen sowie 250 Wohncontainer − wohl für ein größeres Kontingent russischer Soldaten. Reuters zitiert einen US-Sprecher, der für möglich hält, dass die Russen nahe der Provinzhauptstadt Latakia sehr schnell einen Flugbasis bauen wollten. Libanesische Quellen sprechen sogar von zwei im Bau befindlich Luftstützpunkten. US-Beobachter halten für möglich, dass Moskau die Verlegung russischer Kampfflugzeuge und Helikopter nach Latakia vorbereitet. Dazu passt die Nachricht, dass das Assad-Regime kürzlich seine letzte Flugbasis in der Provinz Idlib – nahe Aleppo – an die Terrorarmee des Islamischem Staates (IS) verloren hat.

300 russische Marineinfanteristen von der Krim nach Syrien verlegt.

Es gehe nur um die Einhaltung alter Lieferverträge mit Damaskus, wiegelt unterdessen Moskau ab. Bei russischem Personal in Syrien handele es sich lediglich um Waffenausbilder und Berater. Ein russischer Blogger, der die Nachrichten russischer Soldaten in sozialen Netzwerken auswertet, wusste allerdings, dass Moskau die Truppen für drei bis acht Monate nach Syrien entsandt hat, schreibt die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Auch der Neuen Zürcher Zeitung und der mit dem US Magazin Newsweek verbundenen Internetzeitung The Daily Beast zufolge sind russische Truppen nach Syrien unterwegs oder dort schon gelandet. Nicht irgendwelche Truppen, sondern 300 Marine-Infanteristen der 810. Brigade der Schwarzmeerflotte, die vor anderthalb Jahren bei der Besetzung der Halbinsel Krim eine Rolle spielte.

Moskaus einzige Basis im Mittleren Osten

Moskau hat alte Interessen in Damaskus. Während des Kalten Krieges zählte das Assad-Regime zu Moskaus Schützlingen und Verbündeten. Assad-Vater war in Russland zum MiG-Piloten ausgebildet worden. Nach seinem Putsch 1971 nahm er sich für Syriens Baath-Partei die sowjetische Einparteien-Diktatur zum Vorbild, erinnert die Washington Post. Teile der syrischen Elite wurde in Moskauer Schulen ausgebildet. 2011 hatte Moskau syrische Waffenbestellungen für umgerechnet vier Milliarden Dollar in den Büchern stehen. Dem US-Blatt zufolge lebten 2011 etwa 100.000 Russen in Syrien. Russische Firmen sollen zwischen 2009 und 2013 etwa umgerechnet 20 Milliarden Dollar in Syrien investiert haben. Heute ist Tartus Russlands letzter Marine-Stützpunkt im Mittelmeer.

Moskaus Entscheidung zur nachdrücklicheren Intervention in Syrien ist offenbar während eines kürzlichen Moskau-Besuchs des iranischen Kommandeurs der in Syrien kämpfenden Teheraner Quds-Truppen  gefallen.

Syrien ist sozusagen Russlands einzige Basis und einziger Posten im Mittleren Osten. Und den will Moskau nicht aufgeben. Aber für das Assad-Regime geht es nach viereinhalb Jahren Krieg genau jetzt offenbar ums Überleben. Damaskus hat im Westen des Landes nur noch etwa ein Viertel des syrischen Territoriums unter Kontrolle: die beiden Mittelmeerprovinzen Latakia und Tartus, einen Korridor, der Damaskus im Süden mit der jordanischen Grenze verbindet und im Norden mit Latakia, dazu das Gebiet entlang der Grenze zum Libanon. Die Terrorkrieger des Islamischen Staats nähern sich Damaskus. Aleppo ist in unmittelbarer Gefahr. Moskaus Entscheidung zur nachdrücklicheren Intervention in Syrien ist offenbar während eines kürzlichen Moskau-Besuchs des iranischen Generals Qasem Soleimani gefallen, berichtet die New Yorker Tageszeitung The Wall Street Journal. Soleimani ist Kommandeurs der iranischen Quds-Truppen (Jerusalem-Truppen), die in Syrien schon länger auf der Seite des Assad-Regimes kämpfen. Er weiß aus erster Hand, wie schlecht es um Assad steht und hat jetzt Moskau mobilisiert.

Das Assad-Regime am Leben erhalten und die USA abschrecken

Bereitet sich Russland nun darauf vor, mit Bodentruppen offen in Syriens Bürgerkrieg einzugreifen? Präsident Wladimir Putin hat das zumindest nicht ausgeschlossen. Auf eine entsprechende Frage entgegnete er am vergangenen Freitag: „Wir überlegen verschiedene Optionen.“ Eine klare Drohung, so die Deutung der FAZ. Sicher ist, dass Moskau entschlossen ist, das Assad-Regime unbedingt am Leben zu erhalten. Es sei entscheidend, das syrische Regime zu unterstützen, wenn man den Islamischen Staat besiegen wollte, betonte kürzlich Außenminister Lawrow: „Man kann den Islamischen Staat nicht allein mit Luftschlägen besiegen. Man muss auch mit Bodentruppen vorgehen, und die syrische Armee ist die effektivste und stärkste Bodentruppe gegen den IS.“

Wir überlegen verschiedene Optionen.

Wladimir Putin

Moskau wolle außerdem die von den USA geführte Koalition gegen den IS davon abschrecken, direkt gegen das Assad-Regime vorzugehen, schreibt das amerikanische Politikmagazin Foreign Policy. Tatsächlich hat Washington kürzlich laut über mögliche Luftangriffen gegen Regimetruppen nachgedacht und sich sofort scharfe Kritik aus Moskau zugezogen. Es gehe in Syrien darum ein „libysches Szenario“ – westliche Luftschläge gegen das Regime und den Sturz des Diktators – zu verhindern, warnte prompt Außenminister Lawrow.

Die diplomatischen Fronten verhärten sich: Der Krieg in Syrien könnte eskalieren

In jedem Fall verkompliziert Moskaus massives Auftreten in Syrien jetzt Washingtons Koalitionskrieg gegen den Islamischen Staat. Washington und die Westeuropäer wollen das Assad-Regime oder zumindest den Diktatoren-Clan beseitigt sehen. Für die sunnitisch-arabischen Koalitionäre und die neu hinzugekommene Türkei ist gar nicht der IS, sondern das mit Teheran verbündete Assad-Regime der Hauptfeind. Ihnen geht es in Syrien vor allem darum, Teheran zu schwächen. Schon dass die Iraner beim Kampf gegen den Islamischen Staat im Irak eine Hauptrolle spielen und dabei von der US-Luftwaffe unterstützt werden, ertragen sie kaum. Wenn jetzt Washington mit erzwungener Rücksicht auf Moskau das Assad-Regime schonte, würden die USA auch in Syrien sozusagen auf die iranische Linie umschwenken. So würde das etwa Riad jedenfalls sehen. Das wäre das Ende der ohnehin wackligen Koalition gegen den IS.

Die Forderung nach Assads Rücktritt als Voraussetzung für den Kampf gegen den Terrorismus ist völlig unrealistisch und kontraproduktiv.

Sergej Lawrow, Russlands Außenminister

Nach dem Atomabkommen mit dem Iran waren zuletzt Hoffnungen auf eine Verhandlungslösung aller in Syrien involvierten Parteien gestiegen – ohne Assad natürlich. Moskaus Haltung macht jetzt solche Hoffnungen zunichte, beobachtet zutreffend die Londoner Wochenzeitung The Economist. Im Gegenteil, die diplomatischen Fronten haben sich verhärtet: Moskau und Teheran sind entschlossen, das Überleben des Assad-Regimes zu sichern. „Die Forderung nach Assads Rücktritt als Voraussetzung für den Kampf gegen den Terrorismus ist völlig unrealistisch und kontraproduktiv“, erklärte am 1. September Russlands Außenminister Lawrow. Gleichzeitig beharren Saudi-Arabien und die Türkei ebenso entschlossen darauf, dass Assad abtreten muss. Beide Seiten erhöhen jetzt ihre Einsätze in Syrien. Der Krieg in dem zerstörten Land wird weiter gehen, könnte sogar eskalieren. Den Gewinn davon wird nur einer haben: der Islamische Staat.