Hartes Reformpaket mit engmaschiger Kontrolle
Athens Parlament hat das erste Reformpaket angenommen. Zur Zustimmung einer großen Bevölkerungsmehrheit, die vor zehn Tagen noch alle Reformen massiv ablehnte. Kein Wunder: Die Griechen wollen ihre Euros behalten und hoffen, dass ihre Banken nun wieder öffnen. Der Bundestag hat Verhandlungen über ein drittes Rettungspaket zugestimmt. Aber das Misstrauen gegenüber Griechenland bleibt.
Griechenland-Krise

Hartes Reformpaket mit engmaschiger Kontrolle

Athens Parlament hat das erste Reformpaket angenommen. Zur Zustimmung einer großen Bevölkerungsmehrheit, die vor zehn Tagen noch alle Reformen massiv ablehnte. Kein Wunder: Die Griechen wollen ihre Euros behalten und hoffen, dass ihre Banken nun wieder öffnen. Der Bundestag hat Verhandlungen über ein drittes Rettungspaket zugestimmt. Aber das Misstrauen gegenüber Griechenland bleibt.

Vor dem Parlament in Athen flogen Molotow-Cocktails und Steine. 12.000 Links-Demonstranten ließen ihrer Wut freien Lauf. Die Polizei setzte Tränengas ein, 40 Krawallos wurden abgeführt. Aber die erste schwere Hürde auf dem Weg zur dritten Griechenlandrettung ist geschafft. Trotz des Krawalls vor seiner Tür, hat das Athener Parlament die ersten Spar- und Reformmaßnahmen, die die Kreditgeber dem Land auferlegt hatten, angenommen und verabschiedet: höhere Mehrwertsteuern und erste Renteneinschnitte; Zusatzabgaben für Freiberufler und Besitzer von Luxusautos, Häusern und Yachten;  Reform der griechischen Statistik-Behörde Elstat, die unabhängig werden soll. Insgesamt vier Milliarden Euro soll das Sparpaket bringen.

Minderheitsregierung in Athen – Bevölkerungsmehrheit für Reformen

Aber als Folge der nach-mitternächtlichen Abstimmung hat Griechenland jetzt sozusagen eine Minderheitsregierung. Zwar haben 229 von 300 Abgeordneten dem Maßnahmenkatalog zugestimmt, doch die Regierungsmehrheit von Premierminister Alexis Tsipras ist dahin: Mindestens 38 von 149 Syriza-Abgeordneten haben sich verweigert. Tsipras brauchte die Hilfe der europafreundlichen Oppositionsparteien und wird sie weiter brauchen. Und wie es sich für eine Oppositionspartei gehört, die eine Minderheitsregierung unterstützt, will die größte Oppositionskraft Nea Dimokratia, vorläufig auf ein Misstrauensvotum gegen Tsipras verzichten. Das erspart dem Land Neuwahlen und monatelange noch größere Instabilität. Änderungen in Tsipras‘ Kabinett muss es trotzdem geben: Zwei stellvertretende Minister sind zurückgetreten.

Jetzt musste sich das Parlament – und die Griechen – entscheiden: Reformen oder Euro-Ausstieg. Der Euro und die Aussicht darauf, dass dann vielleicht die Banken bald wieder öffnen, war ihnen wichtiger

Trotz der Gewaltszenen vor dem Parlament haben sich die Griechen offenbar mit dem abgefunden, was da auf sie zukommt. Aktuellen Umfragen zufolge halten es etwa 70 Prozent der Griechen für richtig, dass ihr Parlament die Brüsseler Auflagen akzeptiert. Ähnliche viele Befragte wollen, dass Tsipras Regierungschef bleibt. Das ist kein Widerspruch zum Ausgang des Referendums über die Reformen von vor zehn Tagen: Denn auch die meisten der 61 Prozent Nein-Sager wollten ja den Euro unbedingt behalten. Und jetzt musste sich das Parlament – und die Griechen – entscheiden: Reformen oder Euro-Ausstieg. Der Euro und die Aussicht darauf, dass dann vielleicht die Banken bald wieder öffnen, war ihnen wichtiger.

Dabei ist das alles erst der Anfang. Schon am nächsten Mittwoch muss das Athener Parlament weitere Reformgesetze beschließen und im Grunde die Wirtschaft des Landes wieder der Vormundschaft der Troika aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfonds (IWF) unterstellen. Großer Protest ist aber unwahrscheinlich. Denn eine wichtige Belohnung für die Griechen hat es gleich gegeben: Die EZB hat das Volumen der Notkredite für Griechenlands Banken um 900 Millionen Euro erhöht. Die Banken werden wieder öffnen können. Bei Kapitalkontrollen – Limits für Auszahlungsbeträge – wird es trotzdem wohl noch eine Weile bleiben.

Griechenland braucht bis Mitte August 12 Milliarden Euro

Und überhaupt hält die finanzielle Zitterpartei an. Montag den 20. Juli muss Athen 4,2 Milliarden Euro an die EZB zurückzahlen – Geld, das es nicht hat. Und wieder geht es um alles: Denn wenn die EZB ihr Geld nicht erhält, kann sie unmöglich weitere Notkredite an das griechische Bankensystem bewilligen. Athen bekäme keine Euros mehr und müsste eigenes Geld drucken – der Grexit. Wenn Athen am 20. Juli zahlen könnte, müsste es auch zwei überfällige Milliarden an den IWF überweisen, die es erst recht nicht hat.

Insgesamt braucht Athen bis Mitte August wohl 12 Milliarden Euro. Problem: Bis zum Start der Verhandlungen über das dritte auf drei Jahre angelegte Rettungspaket über 85 Milliarden Euro werden aber Wochen vergehen. Denn die Verhandlungen können erst beginnen, wenn Athen alle Reformgesetze verabschiedet hat und wenn die Parlamente der Euro-Länder dazu Mandat erteilt haben.

Höheres Haftungsrisiko für die Euro-Länder

Athen braucht also einen Brückenkredit. Weil Verhandlungen über ein Kreditabkommen für Hilfen aus dem Euro-Rettungsschirm ESM auch mindestens vier Wochen dauern, will Brüssel jetzt ganz schnell sieben Milliarden Euro aus dem Europäischen Finanzstabilisierungsmechanismus EFSM fließen lassen. Aber der ist eine Institution der ganzen EU. Es müssen also nicht nur 19, sondern 28 EU-Hauptstädte zustimmen. London hat schon scharfen Widerstand angemeldet. Brüssel und die Eurozone suchen nun einen Weg, um die Nicht-Euroländer von der Haftung für ein Ausfallrisiko auszunehmen. Das kann nur eines heißen: höheres Haftungsrisiko für alle anderen.

Die Zweifel an Athens Reformfähigkeit bleiben

Immerhin hält Brüssel schon mal einen Trost für die Euro-Länder bereit: Der ESM wird womöglich nicht 86, sondern nur 50 Milliarden Euro für die dritte Griechenlandrettung locker machen müssen. Den Rest will Kommissionpräsident Jean-Claude Juncker aus EU-Struktur- und Agrarfonds bereitstellen, die Griechenland ohne hin zustünden. Stellt sich eine Frage: Seit wann können Brüsseler Strukturfonds-Gelder für die Bedienung von Krediten oder zum Ausgleich für Haushaltsschieflagen verwendet werden? Aber auch in Brüssel gilt: Not kennt kein Gebot.

Wenn Athen die Nerven behält und nichts Unvorhergesehenes passiert, wird das dritte Rettungspaket wohl kommen. Die französische Nationalversammlung und das finnische Parlament haben schon ihre Zustimmung zur Aufnahme der Verhandlung gegeben. An diesem Freitag hat auch der Bundestag zugestimmt – nach harter Debatte und bei 119 Nein-Stimmen und 40 Enthaltungen. In Berlin hat auch die Vorsitzende der CSU-Landesgruppe, Gerda Hasselfeldt, zur Zustimmung geraten – dringend, aber mit deutlichen Vorbehalten gegenüber der Regierung in Athen:

Die Verärgerung über das Verhalten der griechischen Regierung ist natürlich groß. Es ist unglaublich viel Vertrauen zerstört worden, das muss jetzt mühsam wieder aufgebaut werden. Die Entscheidung über den weiteren Umgang mit Griechenland fällt niemandem leicht. Umso wichtiger ist, dass ein hartes Reformpaket mit engmaschiger Kontrolle geschnürt wird. Die Bundeskanzlerin und der Finanzminister haben hervorragende Arbeit geleistet. Es geht nicht nur um ökonomische und finanzielle Fragen, sondern es geht um die Einheit Europas. Wir dürfen bei allem verständlichen Ärger über Griechenland keinen Riss in Europa riskieren. Das wäre der größte Schaden.

Gerda Hasselfeldt

Denn die Zweifel am Reformwillen und an der Reformfähigkeit Athens sind längst nicht ausgeräumt. Im griechischen Fernsehen hat Premier Tsipras die aufgezwungenen Reformmaßnahmen als „irrational“ bezeichnet. Vor der Abstimmung im Parlament erklärte er, von den Kreditgebern  erpresst worden zu sein. Brüssel wird sich wohl auf weiteren griechischen Reform-Widerstand einstellen müssen.

Gefährliche Spaltung der Eurozone

„Der Glaube fällt schwer, dass die griechische Regierung ihre abenteuerliche Kehrtwende wirklich ernst meint“, kommentiert denn auch die Neue Zürcher Zeitung. Die Reformauflagen, „so gerechtfertigt sie auch seien, erscheinen unrealistisch und unrealisierbar“, befürchtet in Paris die Tageszeitung Le Monde: „Selbst wenn das griechische Parlament sie akzeptiert, gibt es kaum eine Chance, dass Athen sie umsetzt, aber umgekehrt sind dafür die Risiken groß, dass man sich nach dem nächsten Fehlschlag in sechs Monaten einer neuen Griechenland-Krise gegenüber sieht.“

Frankreich sieht in der Euro-Krise offenkundig das Mittel, um den gewachsenen Einfluss Deutschlands in der EU zu schmälern.

Neue Zürcher Zeitung

Einstweilen aber geht die „unendliche Geschichte der Euro-Rettung“ (Neue Zürcher Zeitung) weiter.  Mit wachsenden Risiken für Eurozone und EU. Denn der Griechenland-Kompromiss in letzter Minute hat die auseinanderstrebenden Interessen in der Eurozone eben nicht wieder zusammengeführt. Im Gegenteil, die Eurozonen-Länder bleiben sichtbar gespalten. In Paris hat Premierminister Manuel Valls die Idee von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, Athen auf Zeit aus dem Euro zu nehmen, noch einmal als „absurd und gefährlich“ scharf kritisiert. Valls: „Das ist nicht unsere Vision von Europa.“ Frankreich, kommentiert in der Neuen Zürcher Zeitung Chefredakteur Eric Gujer, „sieht in der Euro-Krise offenkundig das Mittel, um den gewachsenen Einfluss Deutschlands in der EU zu schmälern.“ Es wird spannend bleiben zwischen Berlin und Paris.