Zahltag in Griechenland - wie immer geht es dabei um mehr als nur Kleingeld. Bild: Fotolia/PhotoSG.
Griechenland-Krise

Wolfgang Schäubles Verhandlungstriumph

Griechenland erhält ein drittes Rettungspaket, aber muss dafür bitter und hart reformieren – endlich, nach fünf Jahren. Mit einem klug formulierten Ultimatum hat Finanzminister Wolfgang Schäuble verhindert, dass in Brüssel wieder ein Schein-Kompromiss vereinbart wurde. Denn darauf hatten sich Paris und Athen schon geeinigt.

Griechenland darf im Euro bleiben – und muss unter strenger Aufsicht hart reformieren. Das ist das Ergebnis eines 17-stündigen Euro-Gipfels in Brüssel. Was vereinbart wurde:

• Schon bis Mittwoch muss das Athener Parlament in einem ersten Gesetzespaket die Mehrwertsteuer vereinheitlichen und erhöhen, die Reform des  Rentensystems einleiten und die Unabhängigkeit der nationalen Statistikbehörde Elsat garantieren.
• Athen muss außerdem seine Wirtschaft liberalisieren und den Zugang zu manchen Berufen erleichtern. Bürokratische Hürden für Existenzgründer sollen fallen. Das Streikrecht wird eingeschränkt.
• Griechenlands gesamte Verwaltung soll unter Aufsicht der EU-Kommission reformiert werden.
• Die Troika ist wieder da: Athen muss bestimmte Gesetzentwürfe mit den Kreditgeber-Organisationen EU-Kommission, Europäischer Zentralbank (EZB) und mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) abstimmen, bevor das Parlament darüber entscheidet.
• Athen muss staatliche Vermögenswerte im Wert von 50 Milliarden Euro in einen Treuhandfonds übertragen, die dann verkauft werden. Der größte Teil der Erlöse soll in Schuldentilgung fließen, 12,5 Milliarden in direkte Investitionen in Griechenland.
• Ein Schuldenschnitt kommt nicht in Frage, hat Bundeskanzlerin Angela Merkel wieder betont – allenfalls eine weitere Verlängerung der Laufzeiten der griechischen Staatsverschuldung.
• Im Gegenzug beginnen Verhandlungen über ein drittes auf drei Jahre angelegtes Hilfspaket für Griechenland über mindestens 85 Milliarden Euro – von denen allein 25 Milliarden der Rekapitalisierung der Banken dienen sollen.
• Das bedeutet schließlich, dass die EZB den griechischen Banken weiterhin ELA-Notkredite zur Verfügung stellen kann.

Wolfgang Schäubles Verdienst

Griechenlands Ministerpräsident Alexis Tsipras muss also für Griechenland sehr klare Reform- und Sparauflagen unterschreiben – und zuhause umsetzen. Das ist das Verdienst vor allem eines Mannes: Finanzminister Wolfgang Schäuble. Mit seinem ultimativen Forderungspapier vom vergangenen Freitag – Athen bessert seine Reformvorschläge massiv nach und richtet jenen Treuhandfonds ein oder es verlässt für etwa fünf Jahre die Eurozone – hat er eine diplomatisch gefährliche Situation im Sinne Berlins gewendet und die Weichen in Richtung des am Schluss erzielten Kompromisses gestellt. Vorausgegangen war ein regelrechtes deutsch französisches Duell. Nur Dank Schäubles Ultimatum konnte Paris es nicht für sich entscheiden.

Dabei hatte es zunächst ganz danach ausgesehen. Tsipras war wie immer mit breitem Lachen im Gesicht in Brüssel angereist. Kein Wunder, er konnte sich seiner Sache sicher sein. Denn die griechischen Reformvorschläge, die er am Mittwoch hatte übermitteln lassen, stammten weitgehend nicht aus Athen – sondern aus Paris.

Frankreich schaltet auf U-Boot-Betrieb

Der Elysée-Palast, so beschreibt es etwa die Pariser Tageszeitung Le Monde anschaulich, hatte schon am Dienstag die „Dinge in die Hand genommen“. Zuerst schlug Präsident Franςois Hollande heraus, dass Athen mehr Zeit erhalten sollte, um seinen neuerlichen Hilfsantrag vorzulegen. Dann, so Le Monde, „schalteten die Franzosen auf U-Boot-Betrieb“. Frankreich, so das Blatt, „überschüttete Griechenland mit technischer Hilfe“. Hohe Pariser Finanzverwaltungsbeamte und Mitglieder der französischen Delegation in Brüssel sowie ein hochrangiger Mitarbeiter von Premierminister Manuel Valls standen in ständigem Kontakt mit Athen. Angeblich haben die Griechen ihr Vorschlagspapier selbst geschrieben, versichert ein französischer Diplomat: „Frankreich hat politische und technische Ratschläge beigetragen. Das von den Griechen vorgelegte Dokument musste auf Anhieb gut sein.“

Frankreich ist entschieden dagegen, dass Griechenland den Euro verlässt

Manuel Valls, Frankreichs Premierminister

Gleichzeitig ging Paris politisch in die Offensive: Finanzminister Michel Sapin bearbeitete seine Euro-Finanzminister-Kollegen und überwachte gleichzeitig die Arbeiten an den griechischen Reformvorschlägen. „Frankreich ist entschieden dagegen, dass Griechenland den Euro verlässt“, erklärte Premierminister Manuel Valls fast schon drohend im Parlament. „Seriös und glaubwürdig“ nannte Präsident Hollande die griechischen Vorschläge, als sie vorlagen. Kein Wunder, sie kamen ja im Grunde aus Paris.

Wie glaubwürdig konnte die griechische Kehrtwende sein?

Frankreich hatte die Initiative an sich gerissen. Damit hätte die Griechenland-Einigung eigentlich in trocknen französischen Tüchern sein müssen. Paris würde in Brüssel sozusagen über sein eigenes Papier verhandeln. Und die übrigen Euro-Regierungschefs konnten schlecht griechische Vorschläge zurückweisen, die ziemlich genau dem entsprachen, was die Kreditgeber zuletzt von Athen gefordert hatten. Das wusste Hollande, das wusste Tsipras. Nur: Wie glaubwürdig konnte die griechische Kehrtwende sein? Immerhin hatte Tsipras genau diese Vorschläge mit seinem Referendum vom Tisch gefegt,  und die griechischen Wähler hatten sie krachend abgelehnt. Die vermeintliche griechische Kehrtwende ließe nur zwei Interpretationen zu, mutmaßte die Neue Zürcher Zeitung:

Entweder negiert die Regierung den Wählerwillen. Oder die Mannschaft rund um Alexis Tsipras kreuzt hinter dem Rücken (gut sichtbar für die heimische Bevölkerung) die Finger und speist die Kreditgeber mit Versprechen ab, deren Einhaltung sie von Anfang an nicht wirklich anstrebt.

Neue Zürcher Zeitung

Aber gegen Hollande und das Pariser Vorgehen waren alle – und eben keineswegs nur deutsche – Skeptiker machtlos.

Schäubles Ultimatum wendet das Blatt

Bis Schäuble am Freitag mit seinem Ultimatum kam. Im ersten Teil seines Papiers verlangte er im Grunde nur Garantien für Griechenlands Reformwillen. Im zweiten Teil drohte er andernfalls mit dem Rausschmiss aus dem Euro. Entweder oder. Der zweite Teil war für Hollande und etwa für Italiens Premier Matteo Renzi tabu. Renzi: „Italien will keinen Austritt Griechenlands aus dem Euro, und zu Deutschland sage ich: genug ist genug.“ Blieb der erste Teil, auf den Hollande und Renzi dann wohl oder übel eingehen mussten. Die Alternative war Dissens, offener Konflikt mit Berlin und eben keine Einigung über Griechenland – dem bei geschlossenen Banken die Zeit davon lief. Das ist Verhandlungsgeschick: Die Zeit arbeitete für Schäuble.

Wir werden heute harte Gespräche haben, und es wird auch keine Einigung um jeden Preis geben.

Angela Merkel

Hinter Schäubles Ultimatum standen – natürlich – Kanzlerin Angela Merkel und Wirtschaftsminister Siegmar Gabriel (SPD). Merkel  brachte es Sonntag Abend, vor Beginn des entscheidenden Euro-Gipfels, auf ihre Weise zum Ausdruck: „Die wichtigste Währung ist verloren gegangen, das sind Vertrauen und Verlässlichkeit.“ Merkel weiter: „Wir werden heute harte Gespräche haben, und es wird auch keine Einigung um jeden Preis geben.“ Eine Kampfansage an Paris. Der niederländische Regierungschef Mark Rutte sah es ähnlich: „Wir bewerten heute, ob wir die Griechen überzeugen können, im Gegenzug für finanzielle Unterstützung alle nötigen Schritte zu ergreifen.“ Plötzlich ging es nicht mehr um die französisch-griechischen Reformvorschläge, sondern um das Vertrauen in die Athener Versprechen, das eben fast niemand mehr hatte. Anders als Merkel wollte Hollande die Einigung um jeden Preis – und musste darum Schäubles Forderung nach Garantien schlucken.

Kann man Griechenland noch einmal 85 Milliarden Euro leihen?

Jetzt ist Athen am Zug. Spätestens bis Mittwoch muss Tsipras seinem Parlament die Zustimmung zu dem in Brüssel ausgehandelten Paket abringen – und die ersten Reformgesetze. Eine Woche später müssen weitere Athener Maßnahmen gefolgt sein. Und dann müssen auch die Parlamente in mindestens sechs Euro-Länder dem Kompromiss und den Verhandlungen zur dritten Griechenlandrettung zustimmen: in Deutschland, Estland, Finnland, die Niederlanden, Österreich und die Slowakei. Dass sie das tun, ist keineswegs sicher. Unmut und Misstrauen gegenüber Griechenland sind überall groß, nicht nur in Deutschland.

Aus deutscher Sicht ist zentral, dass wir Geld nur für Konditionalität geben, nur gegen entsprechende Eigenanstrengungen

Manfred Weber, EVP-Fraktionschef

„Würden Sie Griechenland 60 Milliarden Dollar leihen?“, fragte noch vor dem Brüsseler Gipfel die US-Nachrichtenagentur Bloomberg. Inzwischen hat sich die Summe um 20 Milliarden erhöht, und das „Ja“ auf die so provokative wie naheliegende Frage fällt den meisten Europäern eher schwer. Trotzdem wirbt in München EVP-Fraktionschef Manfred Weber für die Zustimmung des Bundestags: „Aus deutscher Sicht ist zentral, dass wir Geld nur für Konditionalität geben, nur gegen entsprechende Eigenanstrengungen.“

Die Eigenanstrengungen muss nun Griechenland liefern. Was das bedeutet, hat kürzlich die eigentlich den französischen Sozialisten und Präsident Hollande nahestehende Tageszeitung Le Monde beschrieben:

Die griechischen Proteste gegen Haushaltssparmaßnahmen würden besser klingen, wenn das Land wirkliche Strukturreformen unternommen hätte. Aber noch immer gibt es dort keine Steuererhebung, die einem europäischen Land würdig ist, aber umso mehr Steuererleichterungen für die Reichen, vor allem für die Reeder; noch immer ist der Verteidigungsetat absurd hoch; noch immer weigert man sich, von der Orthodoxen Kirche, deren Vermögen der Gesamtverschuldung des Landes entspräche, auch nur den geringsten Beitrag einzufordern.

Le Monde