Macrons Strategie
Bei Präsident Macrons Blockade-Politik gegen Manfred Weber geht es gar nicht um den Kommissionspräsidenten oder das Prinzip der Spitzenkandidaten. Sondern um französische Parteipolitik: Macron will seine politischen Konkurrenten weiter schwächen.
Frankreich

Macrons Strategie

Kommentar Bei Präsident Macrons Blockade-Politik gegen Manfred Weber geht es gar nicht um den Kommissionspräsidenten oder das Prinzip der Spitzenkandidaten. Sondern um französische Parteipolitik: Macron will seine politischen Konkurrenten weiter schwächen.

Bei Emmanuel Macrons Blockadehaltung im Brüsseler Rat der Staats- und Regierungschefs geht es gar nicht um Manfred Weber, um das Spitzenkandidatenprinzip oder um die Person des EU-Kommissionspräsidenten. Es geht um französische Parteipolitik, um Frankreichs Parteienlandschaft. 2017 hat Macron sie vollständig umgepflügt. Jetzt will er sein Werk vollenden. Der Ausgang der Europawahl in Frankreich und das Ringen um die Juncker-Nachfolge bieten ihm dazu die Gelegenheit.

Niedergang der Sozialisten …

Dramatischste Folge des ersten Wahlgangs der Präsidentschaftswahl im April 2017 und der Parlamentswahl zwei Monate später war das Verschwinden der Sozialistischen Partei. Die Sozialisten stürzten erst mit 6,4 und dann mit 5,7 Prozent ins Bodenlose. Scharenweise liefen sozialistische Abgeordnete und einstige Minister aus der Regierung Hollande zu Macrons neuer Bewegung La république en marche (LRM) über. Alle waren plötzlich liberal. Folge: Frankreichs einstige große Linkspartei, die Sozialisten, gibt es praktisch nicht mehr.

Das bürgerliche Lager, die gaullistischen Les républicains (LR), konnte sich 2017 behaupten. So gerade noch. In der Präsidentschaftswahl verloren sie von 27 auf 20 und in der Parlamentswahl von 27 auf 22 Prozent.

… Auszehrung der Republikaner

Zwischen den Wahlgängen kam Macrons Schlag: Er berief Republikaner auf Spitzenpositionen seiner Regierung. Premierminister Edouard Philippe, Wirtschaftsminister Bruno Le Maire, Finanzminister Gerald Darmanin – allesamt Republikaner aus dem moderaten und mittelinken Flügel der Partei. Jetzt sind sie überzeugte Macronisten.

Von da an ging es bergab mit den Republikanern. Denn den moderaten republikanischen Parteigranden folgten die Wähler. Erst einige, dann immer mehr. Das zeigte sich schon bei den Parlamentswahlen 2017 und dann in jeder Umfrage seither. Zuletzt bei der jüngsten Europawahl: Die Republikaner verloren von ohnehin mäßigen 20,8 auf desaströse 8,48 Prozent. Frankreichs Bürgerlichen droht das Schicksal der Sozialisten.

Kommunalwahlen im März 2020

Den Republikanern laufen also die Wähler davon: die moderaten zu Macron und seiner LRM, die weniger moderaten zu Marine Le Pen und ihrer Rechtsaußenpartei Rassemblement national (RN). Mit seiner Personalpolitik im Brüsseler Rat der Regierungschefs will Macron genau diesen Trend verschärfen.

Muss er auch: Im März 2020 stehen die wichtigen landesweiten Kommunalwahlen bevor. Vielerorts gehen republikanische Bürgermeister ihrer Acht-Prozent-Partei schon von der Flagge oder spielen mit dem Gedanken. Ob sie gehen, und wohin sie sich wenden, das entscheidet dann darüber, ob es Macron gelingt, seine LRM-Bewegung an der Basis zu verankern. Denn bislang hören in Frankreichs 35.416 Gemeinden noch nicht viele Bürgermeister auf ihn.

Macron setzt auf Barnier …

Darum setzt er in Brüssel auf EU-Brexit-Unterhändler Michel Barnier. Weil der eben auch Republikaner ist. Wenn es Macron gelänge, Barnier auf den Stuhl des Kommissionspräsidenten abzuschieben – etwa nachdem die derzeitige Kandidatin Ursula von der Leyen vom EU-Parlament abgelehnt worden ist – und vielleicht sogar wie Philippe, Le Maire und Darmanin in sein LRM-Lager zu ziehen, dann würde sich zuhause die Auszehrung der Republikaner beschleunigen. Und Paris obendrein einen französischen Kommissionspräsidenten erhalten.

… um die Republikaner weiter zu schwächen

Wenn der Rat dem Parlament doch noch Barnier präsentierte, dürfte es der 182 Sitze starken EVP-Fraktion schwerfallen, nicht einheitlich für ihn zu stimmen. Die EVP besteht darauf, dass der neue Kommissionspräsident aus ihrer, der stärksten Parlamentsfraktion kommt. Barnier und dessen Republikaner gehören der EVP-Parteienfamilie an.

Macron und dem niederländischen Premier Mark Rutte könnte es außerdem gelingen, ihre 108 Mandate starke liberale Fraktion im Europaparlament ebenfalls auf Barnier als neuen Kommissionspräsidenten einzuschwören. Dann fehlten noch 86 Mandate zur absoluten Parlamentsmehrheit, die der neue Kommissionspräsident braucht. Unter 156 sozialdemokratischen und 75 grünen Abgeordneten sollten die sich finden lassen.

Mit einem Kommissionspräsidenten Barnier ginge dann in Frankreich die Schwindsucht der Republikaner weiter. Zur Kommunalwahl im März 2020 wäre womöglich nicht mehr viel von ihnen übrig. Vielerorts jedenfalls nicht mehr genug, um in Bürgermeisterwahlen über zwei Wahlgänge zu bestehen. Für die Republikaner das vorhersehbare Ende. Für Macron und seine LRM-Bewegung das schönste Win-Win-Resultat – zunächst in Brüssel und in acht Monaten zuhause im ganzen Land.