Woher kommt der Erfolg des Sebastian Kurz?
Wenn die Volksparteien bestehen wollen, dann brauchen sie in Zukunft beides: bewährte Parteienstruktur und jugendlich frische Bewegung. Eine Expertenrunde der Hanns-Seidel-Stiftung diskutierte Lehren aus dem Wahlsieg der ÖVP.
Österreich

Woher kommt der Erfolg des Sebastian Kurz?

Wenn die Volksparteien bestehen wollen, dann brauchen sie in Zukunft beides: bewährte Parteienstruktur und jugendlich frische Bewegung. Eine Expertenrunde der Hanns-Seidel-Stiftung diskutierte Lehren aus dem Wahlsieg der ÖVP.

Das politische Phänomen Sebastian Kurz fasziniert. Wie hat der das gemacht? Wie hat seine Österreichische Volkspartei (ÖVP) diesen Wahlsieg hinbekommen, mit diesem so jungen Kandidaten? Und wie können andere es ebenfalls schaffen? Das fragen sich Beobachter in den Parteizentralen vieler Nachbarländer Österreichs. Die Münchner Hanns-Seidel-Stiftung widmete diesen Fragen kürzlich einen spannenden Experten-Abend über die Zukunft der Volksparteien.

Nah-Tod-Erfahrung für die ÖVP

Die kurze Antwort: Es war vor allem Sebastian Kurz. Aber nicht er alleine. Entscheidend war das Zusammenwirken des jungen Kandidaten und seiner Bewegung – mit der tief in Österreich verankerten ÖVP-Parteistruktur. „Hätten wir die alte Parteistruktur nicht gehabt, hätten wir das nicht hingekriegt. Mit der Bewegung alleine hätten wir das nicht gespielt“, analysiert ein Kenner der Kampagne und der Volkspartei.

Für die lange Antwort muss man zurückblicken auf eine Nah-Tod-Erfahrung der ÖVP und die „Theorie der allerletzten Stimme“. 24 Prozent hatte die ÖVP bei der Nationalratswahl 2013 erhalten. „Einmal wählen wir Euch noch, aber dann …“ Die Drohung hatten die Wahlkämpfer von vielen Wählern gehört. Im April 2016 kam dann der große Knall. Bundespräsidentenwahl: 11,1 Prozent für die ÖVP, 11,3 Prozent für die SPÖ – aber 35 Prozent für den FPÖ-Kandidaten. „Game over“, haben damals in der ÖVP manche gedacht.

Wetterleuchten der Next Generation der ÖVP

In für die Partei rabenschwarzer Nacht stand ein junger Mann bereit: Sebastian Kurz. Mit kaum 30 Jahren zu jung, um von schwarz-roter Malaise belastet zu sein. Aber nach zwei Jahren als prominenter Staatssekretär und dreien als Außenminister auch kein unbeschriebenes Blatt mehr. Seit dem Eintritt in die Regierung 2011 hatte Kurz an seinem Image gearbeitet. „Fleißig, bescheiden, anders“, so beschreibt es ein ÖVP-Insider. Was Kurz nicht machen wollte, machte er einfach nicht. Und umgekehrt: Was er wollte, das setzte er um. Wie die Sperrung der Balkanroute in der großen Migrantenkrise.

Kurz ist unsere letzte Chance.

Ein ÖVP-Experte

Das kam an. Ende 2016 erreichte Kurz Top-Umfragewerte. „Sebastian Kurz“ war zur politischen Top-Marke in der Alpen-Republik geworden. Mit einem drei, vier Personen kleinen Kern-Team engster Berater setzte er nun sein Projekt zur Rettung seiner Partei ins Werk. Arbeitstitel: „Wetterleuchten der Next Generation der ÖVP.“

Der Stimmungswechsel im Lande kam Kurz und seinem Team entgegen: 2013 hatten noch 53 Prozent der Wähler das Land auf dem richtigen Weg gesehen. Anfang 2017 sagten 69 Prozent das Gegenteil: Österreich habe eine falschen Richtung eingeschlagen. Massive Wechselstimmung hatte sich aufgebaut: Wut auf das System, auf Politik und Parteien als Teil des Problems.

Sebastian Kurz übernimmt

Im Mai stellte sich die Frage nach dem Parteivorsitz. Alles lief auf die Top-Marke Sebastian Kurz zu. Der ließ sich vom Parteitag einsetzen – zu seinen Bedingungen: Aus der alten ÖVP wurde die Neue Volkspartei (NVP). Aus ÖVP-Schwarz wurde NVP-Türkis. Kurz und seine neue Parteiführung wollten und mussten einen neuen Weg einschlagen, sichtbar und glaubwürdig. Alle wussten: „Dann müssen wir bei der eigenen Partei anfangen.“

Wenn wir glaubwürdig mit Erneuerung werben wollen, dann müssen wir damit bei der eigenen Partei anfangen.

Team-Kurz

Alte Partei-Granden sollen gute Miene zum – für sie – bösen Spiel von Sebastian Kurz gemacht haben. Sie wussten: „Kurz ist unsere letzte Chance.“ Was sich prompt bestätigte: Am Tag nach Kurz‘ Übernahme schossen die Umfragewerte der ÖVP/NVP nach oben, vorbei an der FPÖ, in Richtung 30 Prozent. Die Marke Sebastian Kurz zog. Und durfte nicht beschädigt werden vom alten System. Kurz durfte nicht der neue Vorsitzende der Neuen Volkspartei sein – in der alten Koalitionsregierung. Kurz tat, was sich der neue SPÖ- Kanzler Christian Kern nicht getraut hatte – er löste Neuwahlen aus.

Mit Begeisterung begeistern

250.000 Fan-Email-Adressen sammelte Kurz auf seiner persönlichen Internetseite und startete seine Bewegung, außerhalb der Parteistruktur. Unter den Kandidaten auf seiner Bundesliste Sebastian Kurz stand kein Parteimitglied. Mit Ö3-Rundfunk-Moderator Peter L. Eppinger gewann er eine von Österreichs populärsten Stimmen als Sprecher und „first follower“ der Bewegung. Kurz‘ Bewegung begeisterte mit Begeisterung: Junge Leute lebten für große Telefonaktionen und machten Hausbesuche. Ein Novum war selbstgebastelte Landschaftswerbung: ein nächtliches Kurz-Profilbild aus Leuchtdioden, ein großes Kuh-Bild mit den Buchstaben „r“ und „z“ am Ende. Das menschelte.

Entscheidend aber war die eindimensionale, vollständig auf Sebastian Kurz ausgerichtete Wahlkampfstrategie: der Kandidat als personifizierte Hoffnung. Kurz wurde zur Projektionsfläche aller Wähler-Hoffnungen.

Wie weiter nach der Wahl?

Der Erfolg gab am 15. Oktober den ÖVP/NVP-Wahlkämpfern recht: 31,5 Prozent für die ÖVP, 26,9 für die Sozialdemokraten, 26,0 für die FPÖ. Die Grünen fielen aus dem Parlament. Aber 31 Prozent der ÖVP-Wähler hatten nach eigener Aussage „eigentlich nur Sebastian Kurz gewählt“. 27 Prozent hatten für „Erneuerung und Reform“ gestimmt. In der Parteizentrale war man ehrlich: Erneuerung und Reform sind keine ÖVP-Markenzeichen. Wo wäre die ÖVP also ohne Sebastian Kurz?

Und wie soll es nach der schönen Wahl also weiter gehen mit ÖVP und NVP? Vor allem muss es bei der Erneuerung bleiben, glauben Kurz und seine Parteiführung. Das Vertrauen der Wähler, die den Wechsel wollten, darf Kurz nicht enttäuschen. Was einer der Gründe dafür ist, dass es in der neuen schwarz-blauen Koalitionsregierung kein einziges altbekanntes ÖVP-Gesicht gibt – außer Kurz selber. Außerdem: 34 von 64 ÖVP-Abgeordneten sitzen zum ersten Mal im Nationalrat.

Partei und Bewegung

Bislang geht die Rechnung auf. Kurz und seine erneuerte ÖVP liegen in den Umfragen stabil bei 32 Prozent. Besser als am Wahlabend. Beim Zusammenspiel von Partei und Bewegung soll es bleiben, sagt man bei der ÖVP: „Wir glauben, dass die Parteien mit den althergebrachten Parteistrukturen allein nicht mehr auskommen können.“ Die Parteien brauchen den Mobilisierungsbrennstoff der offenen Bewegung. Wobei die Parteimitgliedschaft nicht mehr am  Anfang des Rekrutierungsprozesses stehen soll, sondern an seinem Ende.

Sorgen bleiben. Die Wahl am 15. Oktober war knapp. Kurz und sein Team wissen, dass sie ihren kleinen Vorsprung leicht verspielen können. Fast die größte ÖVP-Sorge gilt aber den Sozialdemokraten. Auch die SPÖ brauche „ein neues Narrativ“, sagt ein ÖVP‘ler. Sonst drohe ihr die Implosion, wie den Sozialdemokraten in anderen Ländern – und mit ihr der gesamten Parteienlandschaft der Alpenrepublik.