Italiens Ex-Regierungschef Matteo Renzi will nicht mehr alle Migranten aufnehmen. (Foto: Imago/Insidefoto)
Italien

Hilfe in der Heimat

Italiens Ex-Premier Matteo Renzi will nicht mehr alle im Mittelmeer Geretteten aufnehmen und schlägt eine Art Obergrenze vor. Zudem fordert er mehr europäische Unterstützung bei der Bewältigung des Migrantenstroms aus Afrika.

In Italien bahnt sich eine Wende im Umgang mit Migranten an. Angesichts der stetig steigenden Zahl von Menschen, die vor allem über das Mittelmeer ins Land kommen, schlägt Matteo Renzi, ehemaliger Ministerpräsident und Ende April wiedergewählter Vorsitzender der regierenden Demokratischen Partei (PD), neue, scharfe Töne an. Während Italiens Ministerpräsident Paolo Gentiloni (PD) auf dem Hamburger G20-Gipfel betonte, dass Italien nicht alle Migranten aufnehmen könne, forderte Renzi in Rom die Einführung eines „Numerus clausus“ für Migranten. Unter dem Begriff ist wohl eine Art Obergrenze zu verstehen. Renzi führte nicht näher aus, wie dieser „Numerus clausus“ für Migranten umzusetzen sei.

Wir müssen uns nicht schuldig fühlen, wenn wir nicht alle aufnehmen können.

Matteo Renzi

„Wir brauchen einen Numerus clausus für Ankünfte“, zitiert die Presseagentur AFP den ehemaligen Premier. „Wir müssen uns nicht schuldig fühlen, wenn wir nicht alle aufnehmen können“, betonte Renzi. Der PD-Chef weiter: „Wir müssen alle retten [aus Seenot, A.d.V.], aber wir können nicht alle in Italien aufnehmen.“ Auf der Facebook-Seite seiner Partei postete Renzi, Italien habe zwar die moralische Pflicht, den Migranten zu helfen, aber eben nicht in Italien, sondern in ihrer Heimat.

Zu wenig Hilfe aus Europa

Der Post, der sofort große Aufmerksamkeit fand, wurde allerdings nach kurzer Zeit wieder gelöscht, berichtet die Internetzeitung Heise online: Der Satz sei ein Zitat aus Renzis neuem Buch „Avanti: Perché l’Italia non si ferma“ („Vorwärts: Weil Italien nicht stehen bleibt“). Das Buch kam am 12. Juli in den Buchhandel und erklomm beim Internet-Buchhändler Amazon sofort Rang Eins der Verkaufsliste.

In seinem Buch fordert Renzi ebenfalls den „Numerus clausus“ für Migranten und betont, dass Italien nicht moralisch verpflichtet sein könne, alle Menschen, denen es schlecht gehe, aufzunehmen. Renzi warnt vor politischen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen willkürlicher Einwanderung. Grenzkontrollen seien kein Rassismus, so der Ex-Premier.

Wir müssen alle retten, aber wir können nicht alle in Italien aufnehmen.

Matteo Renzi

Seit Monaten fordert die italienische Regierung mehr europäische Unterstützung bei der Bewältigung des Migrantenstroms. Bislang vergeblich. Bei ihrem jüngsten Treffen in Tallinn lehnten die EU-Innenminister es etwa ab, auch die Häfen anderer EU-Mittelmeeranrainer für Schiffe mit geretteten Migranten zu öffnen. Presseberichten zufolge fürchtet auch die Bundesregierung, die Öffnung französischer oder spanischer Häfen würde nur noch mehr Menschen zur Überfahrt ermutigen.

Kommen 300.000 Migranten?

Angaben der Internationalen Agentur für Migration (IOM) zufolge haben in diesem Jahr bis zum 9. Juli bereits mehr als 85.000 zumeist schwarzafrikanische Migranten von Libyen aus über die zentrale Mittelmeerroute Italien erreicht, etwa 8000 mehr als im Vergleichszeitraum des Vorjahres. 14.118 kamen allein aus Nigeria, etwa 30.000 aus den westafrikanischen Staaten Guinea, Elfenbeinküste, Gambia, Senegal und Mali. Etwa 8.500 kamen aus Eritrea und Sudan, 2.300 aus Marokko und 8.241 aus Bangladesch. Beobachter rechnen für dieses Jahr mit bis zu 300.000 Migranten-Ankünften in Italien, nach 181.000 im vergangenen Jahr.

Renzis 20-Milliarden-Drohung

Renzi verbindet nun seine neue Haltung in der Migrantenfrage mit der Drohung, Italien könne erwägen, seinen Beitrag zum EU-Haushalt nicht mehr zu zahlen. „2018 werden wir in Brüssel über das Budget diskutieren. Wenn andere Länder keine Flüchtlinge aufnehmen, ist es richtig, dass Italien seinen EU-Beitrag von 20 Milliarden nicht zahlt“, zitiert die Tiroler Tageszeitung den Ex-Premier.

Die Drohung gilt osteuropäischen Ländern, die als sogenannte Netto-Empfängerländer Milliardensummen aus Brüssel erhalten, sich aber weigern, den Beschluss der EU-Innenminister zur Umverteilung von 160.000 Migranten aus griechischen und italienischen Aufnahmezentren umzusetzen. Renzi: „Diese Länder, die Italiens Geld nehmen und dann Mauern bauen, werden die Folgen zu spüren bekommen, wenn wir in den nächsten Monaten bei den Verhandlungen über den EU-Haushalt 2020 bis 2026 härter und entschlossener auftreten.“

Rechtsruck im Wahlkampf

Italien befindet sich im Vorwahlkampf. Anfang 2018, wahrscheinlich im Februar, stehen die nächsten Parlamentswahlen an. Für Renzis PD sieht es nicht gut aus: Bei Kommunalwahlen im vergangenen Juni erlitt der PD eine historische Niederlage gegen die Forza Italia von Ex-Premier Silvio Berlusconi und die Rechtsaußen-Partei Lega Nord. 16 von 22 Provinzhauptstädten fielen an die Berlusconi-Partei und die Lega, die fast überall gemeinsam antraten. Sogar in Genua, das seit 1945 von linken Regierungen regiert wurde, gewann ein Mitte-Rechtskandidat.

Berlusconis Forza Italia vertritt in der Migrantenfrage sehr viel härtere Positionen als die Noch-Regierungspartei PD, von der Lega Nord ganz zu schweigen. Jetzt ziehen Renzi, der im Frühjahr als Spitzenkandidat antreten will, und seine Demokratische Partei nach. Der EU drohen in der Migrantenfrage Konflikte zwischen den Mitgliedsländern – je näher der italienische Wahltermin rückt, desto mehr.