Macron setzt auf Deutschland
Kanzlerin Angela Merkel und ihre EU-Kollegen wollen bei ihrem Gipfel in Brüssel eine gemeinsame Verteidigungspolitik der Europäischen Union vorantreiben. Weitere Themen: Der Kampf gegen den Terror, Welthandel − und nur ein bisschen Brexit.
EU-Gipfel

Macron setzt auf Deutschland

Kanzlerin Angela Merkel und ihre EU-Kollegen wollen bei ihrem Gipfel in Brüssel eine gemeinsame Verteidigungspolitik der Europäischen Union vorantreiben. Weitere Themen: Der Kampf gegen den Terror, Welthandel − und nur ein bisschen Brexit.

Vor seinem ersten EU-Gipfel hat der französische Präsident Emmanuel Macron Deutschland dazu aufgerufen, gemeinsam eine „Allianz des Vertrauens” zu schmieden und eine Wiedergeburt der europäischen Idee anzustoßen. „Ich wünschte mir, wir würden zum Geist der Kooperation zurückkehren, wie er einst zwischen François Mitterrand und Helmut Kohl herrschte”, sagte der 39-Jährige der Süddeutschen Zeitung und anderen Zeitungen vor dem Gipfel am Donnerstag und am Freitag. Sonst drohe der EU der Zerfall, warnte er. Macron rügte Polen und Ungarn, ohne sie ausdrücklich zu nennen. „Manche politische Führer aus Osteuropa” offenbarten eine zynische Herangehensweise gegenüber der EU. „Die dient ihnen dazu, Geld zu verteilen – ohne ihre Werte zu respektieren. Europa ist kein Supermarkt, Europa ist eine Schicksalsgemeinschaft!”, sagte er.

Ich wünschte mir, wir würden zum Geist der Kooperation zurückkehren, wie er einst zwischen François Mitterrand und Helmut Kohl herrschte.

Emmanuel Macron, Frankreichs Staatspräsident

Es ist der erste EU-Gipfel, an dem Macron teilnimmt. Sicherheit und Verteidigung stehen im Mittelpunkt. Kanzlerin Angela Merkel und die übrigen Staats- und Regierungschefs wollen nach den jüngsten Anschlägen in London, Paris und Brüssel den Kampf gegen Gewaltaufrufe im Internet verstärken. Topthemen auf dem zweitägigen Treffen sind zudem der Ausbau der militärischen Zusammenarbeit, Regeln für Freihandel und die Rettung des Pariser Klimaabkommens nach dem Ausstieg der USA. Frankreich und Deutschland hätten sich bei der Vorbereitung eng abgestimmt, hieß es vorab. Macron und Merkel sollen eine gemeinsame Linie zur Ukraine-Krise vortragen. Es wird damit gerechnet, dass die EU-Sanktionen gegen Russland verlängert werden.

Die Gipfel-Themen

Die Europäische Union soll nicht länger als Problem wahrgenommen werden − sondern als Lösung. Das Motto hat EU-Ratspräsident Donald Tusk vor dem zweitägigen EU-Gipfel ausgegeben, der heute in Brüssel beginnt. Und genau das wollen auch Deutschland und andere EU-Staaten. Allerdings herrscht nicht bei allen Gipfelthemen eitel Sonnenschein. Ein Überblick:

  • ANTI-TERROR-KAMPF: Dass die EU angesichts der jüngsten Anschläge in London, Paris und Brüssel weiter möglichst gemeinsam den Terror bekämpfen sollte, ist unumstritten. Dafür will sie aber auch die Wirtschaft in die Pflicht nehmen. Im Entwurf der Gipfel-Erklärung, die der Deutschen Presse-Agentur vorliegt, wird die Entwicklung neuer Technik gefordert, die Gewaltaufrufe im Internet automatisch aufspürt und löscht.
  • VERTEIDIGUNG: Die EU will in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik unabhängiger von den USA werden. Um dieses Ziel möglichst schnell zu erreichen, soll eine Plattform für eine engere und flexiblere Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten geschaffen werden (Pesco). Zudem wird angestrebt, bis Ende des Jahres den Startschuss für einen europäischen Fonds zur Finanzierung gemeinsamer Rüstungsprojekte zu geben. Ob die beiden Projekte wirklich schnell umgesetzt werden können, ist fraglich. Einigkeit gibt es nur bei den groben Linien. Über zahlreiche Details wird hinter den Kulissen weiter kontrovers diskutiert.
  • HANDEL UND INVESTITIONEN: Die EU positioniert sich auch hier gegen Ansagen aus Washington und erteilt Protektionismus im Welthandel eine klare Absage. Ganz ohne Schutz will sie sich aber auch nicht auf den globalen Marktplatz begeben: Sie fordert „handelspolitische Schutzinstrumente”, die mit der Welthandelsorganisation WTO in Einklang zu bringen sind. Im Visier ist China, dem staatlich subventioniert Dumpingexporte vorgehalten werden. Den ungehemmten Aufkauf europäischer Firmen durch chinesische Staatskonzerne sieht man ebenfalls kritisch. Gefordert wird deshalb eine Prüfung, wie „Investitionen von Drittstaaten in strategische Sektoren ermittelt und einer genauen Untersuchung unterzogen werden können”.

Wir erleben die Rückkehr zu einer EU, die eine Lösung bietet − und nicht ein Problem.

Ratspräsident Donald Tusk

  • BREXIT: Nach Brüssel kommt wenige Tage nach dem Auftakt der Verhandlungen über den EU-Austritt auch die britische Premierministerin Theresa May. Sie will nach britischen Angaben ein Angebot zur Sicherung der Rechte der EU-Bürger in Großbritannien unterbreiten. Die übrigen 27 EU-Länder wollen aber auf dem Gipfel keine Brexit-Verhandlungen führen.
  • ZWIST UM EU-AGENTUREN: Ohne Großbritannien befassen sie sich am späten Donnerstagabend aber indirekt mit dem Thema. Gesucht werden neue Standorte für die bisher in London ansässigen EU-Agenturen EMA (Arzneimittel) und EBA (Bankenaufsicht). Wohin ziehen die beiden in London ansässigen Agenturen nach dem Brexit? In dieser Frage bahnt sich ein knallharter Wettbewerb unter den verbleibenden 27 EU-Staaten ab. Beim EU-Gipfel sollen die Staats- und Regierungschefs nun erst einmal das Vergabeverfahren klären. Ein Vorschlag sieht vor, einen Wettbewerb nach Art des „Eurovision Song Contest“ zu organisieren. Demnach müssten die an den beiden EU-Agenturen interessierten Länder bis Ende Juli Bewerbungen erstellen, über die dann im Herbst in geheimer Wahl abgestimmt werden könnte. Konkret geht es um die EU-Arzneimittelagentur EMA und die Bankenaufsicht EBA.
  • MIGRATION: In der EU umstritten bleibt jedoch die Flüchtlingspolitik. So sperren sich unter anderem Ungarn und Polen weiter gegen die Umverteilung von Menschen, die in Italien und Griechenland auf Aufnahme in anderen EU-Ländern warten. Tusk forderte mehr Anstrengungen gegen die Migration über das Mittelmeer und mehr Geld zur Stärkung der Küstenwache Libyens, von wo die meisten Menschen aufbrechen. Die Zahl der Ankünfte in Italien sei im Vergleich zum vorigen Jahr um 26 Prozent gestiegen und 1900 Menschen hätten bereits auf See ihr Leben verloren, erklärte Tusk. Erste Erfolge gegen Schlepperbanden seien „ganz klar zu wenig”, meinte Tusk. Laut Entwurf der Abschlusserklärung wollen die Teilnehmer weiter an der Stärkung der europäischen Grenz- und Küstenwache arbeiten und die libysche Küstenwache ausbilden. Sie soll der EU beim Kampf gegen Schleuser helfen, die Migranten bei der Überfahrt vom Drehkreuz Libyen nach Europa helfen. Außerdem sollen Länder, die sich weigern Migranten aus der EU zurückzunehmen, mit einer restriktiveren Visa-Vergabe unter Druck gesetzt werden. Die Diskussion über die Reform des europäischen Asylsystems ist indes festgefahren.
  • NORD STREAM 2: Eine Debatte über die umstrittene Ostsee-Gaspipeline Nord Stream 2 stehe „nicht auf der Tagesordnung”, hieß es aus Berlin. Dennoch rechnen EU-Diplomaten damit, dass Merkel Protest gegen das jüngste Vorgehen der EU-Kommission anmelden könnte. Die Brüsseler Behörde sieht das von Deutschland gewünschte Projekt sehr skeptisch und will zunächst mit Russland einen Rechtsrahmen verhandeln. Dazu bräuchte sie ein Mandat der EU-Länder.

Europa ist kein Supermarkt, Europa ist eine Schicksalsgemeinschaft!

Emmanuel Macron

Macron bringt Optimismus

Nach Macrons Wahlsieg ist die Stimmung in der EU besser als noch vor einigen Monaten. Auch bessere Wachstumszahlen stiften Zuversicht. Die 27 bleibenden Länder sind zudem stolz darauf, in den Brexit-Verhandlungen an einem Strang zu ziehen. „Wir erleben die Rückkehr zu einer EU, die eine Lösung bietet − und nicht ein Problem”, erklärte Gipfelchef Donald Tusk am Mittwoch. (dpa)