Terrorist mit Waffenschein
Zwei Mal Glück gehabt: Bei Terroranschlägen in Brüssel und Paris kamen nur die islamistischen Täter ums Leben. Der Pariser Fall lässt nachdenken über den Umgang mit zigtausenden registrierten Gefährdern. Der Brüsseler Täter kam aus Molenbeek.
Paris

Terrorist mit Waffenschein

Zwei Mal Glück gehabt: Bei Terroranschlägen in Brüssel und Paris kamen nur die islamistischen Täter ums Leben. Der Pariser Fall lässt nachdenken über den Umgang mit zigtausenden registrierten Gefährdern. Der Brüsseler Täter kam aus Molenbeek.

Kein Scherz: Der islamistische Terrorist, der am Montag auf dem Pariser Pracht-Boulevard Champs Elysées ein Massaker unter Polizisten anrichten wollte, hatte einen Waffenschein. Und gleich für neun Schusswaffen. Für die beiden Sturmgewehre Kaliber 7,62 Millimeter samt großer Mengen Munition in seinem Auto wohl nicht. Aber womöglich für die halbautomatische Pistole Glock an seinem Gürtel und für eine weitere Faustfeuerwaffe, die ebenfalls in seinem Auto gefunden wurde. Le Monde schreibt von einem regelrechten „Kriegs-Arsenal“, das der Täter mit sich führte.

Was jetzt französische Zeitungsleser irritiert: An seinem Wohnort Plessis-Paté, 28 Kilometer südlich von Paris im Département Essonne, war die radikale religiöse Überzeugung des tunesischstämmigen Täters und seiner Familie bekannt. Und seit 2015 führte ihn der französische Inlandsgeheimdienst DGSI in seiner inzwischen über 12.000 Karteikarten starken „Kartei Sicherheit“ als „fiché S“, also als islamistischen Terror-Gefährder.

Die registrierten Gefährder in Frankreich sind viel zahlreicher als die Polizisten, die mit ihrer Überwachung betraut sind.

Le Monde

2012 erhielt der Täter zum ersten Mal einen Waffenschein. Da lag noch nichts gegen ihn vor. Anders in diesem Februar, als der Waffenschein erneuert wurde. Obwohl im vergangenen Jahr darüber gestritten wurde, erhalten Bürgermeister und Bürgermeisterämter noch immer keine Informationen über registrierte Gefährder in ihren Gemeinden. Wie alle Waffenschein-Antragsteller wurde aber auch der Islamist aus Plessis-Paté polizeilich überprüft. Und der Polizei muss sein sogar hoher Gefährder-Status bekannt gewesen sein.

„12.000 Personen sind in Frankreich wegen ihrer Verbindung zur islamischen Bewegung erfasst.

Le Figaro

Polizeiquellen zufolge habe er trotzdem seinen Waffenschein verlängert bekommen, um nicht seinen Verdacht zu erwecken und seine Überwachung nicht zu gefährden. Problem: „Die ‚fiché-S‘-Gefährder in Frankreich sind viel zahlreicher als die Polizisten, die mit ihrer Überwachung betraut sind“, so die Pariser Tageszeitung Le Monde. Das Thema der „fiché-S“-Gefährder müsse ein für alle Mal geklärt werden, fordert die Tageszeitung Le Figaro im Kommentar auf der Titelseite: „12.000 Personen sind in Frankreich wegen ihrer Verbindung zur islamischen Bewegung erfasst. Gut zu wissen. Aber dann?“ Frankreichs Debatte, wie mit den „fiché-S“ umzugehen ist, wird weiter gehen.

Polizisten als Ziele

Zum Glück ist der Anschlag auf den kleinen Polizei-Bus in Paris gescheitert. Nur der Terrorist kam dabei ums Leben. Die Gasflaschen in seinem Wagen, mit dem er das Polizeifahrzeug gerammt hatte, explodierten nicht.

Polizisten und Soldaten sind bevorzugt Ziele für Sympathisanten der dschihadistischen Organisation des Islamischen Staats.

Le Monde

Französische Polizisten und Sicherheitskräfte sind besonders gefährdet. Der Anschlag auf den Chasmps Elysées ist schon der fünfte Angriff auf Polizisten oder patrouillierende Militärs in diesem Jahr: Am 3. Februar griff ein Ägypter am Louvre eine Militärpatrouille mit Macheten an; am 18. März wurde auf dem Flughafen Orly ein Täter erschossen, der Soldaten angreifen wollte; am 20 April wurde ebenfalls auf den Champs Elysées ein Polizist von einem Vorbestraften erschossen; am 6. Juni griff ein algerischer Student vor der Kathedrale Notre-Dame in Paris einen Polizist mit Hammerschlägen an.

Ihr habt uns angegriffen, und wir greifen Euch an, überall.

Islamistischer Polizistenmörder in Magnanville

Dieser Tage gedachte Frankreichs Polizei intensiv jenes unbewaffneten Polizistenpaares, das vor genau einem Jahr in Magnanville, 40 Kilometer nordwestlich von Paris, von einem Anhänger der Terrorarmee des Islamischen Staats blutig erstochen wurden – vor den Augen ihres dreijährigen Kindes. „Ihr habt uns angegriffen, und wir greifen Euch an, überall,“ schrie der Dschihadist der alarmierten Polizeieinheit entgegen, die ihn nach mehreren Stunden Belagerung schließlich erschießen konnte.

Wieder einmal: Dschihadist aus Molenbeek

Zumindest nicht als islamistischer Gefährder bekannt war der belgischen Polizei jener 36-jährige Marokkaner, der am gestrigen Dienstag auf dem Brüsseler Hauptbahnhof eine Kofferbombe mit Nägeln und Gasflaschen zur Explosion brachte. Obwohl sich zur Tatzeit etwa 100 Personen auf dem Bahnhof aufgehalten haben sollen, wurde niemand verletzt. Ein Soldat, den der Täter offenbar angreifen wollte, konnte auf ihn schießen. Der Marokkaner ist noch im Bahnhof an der Schusswunde gestorben. Einem Bahnhofsangestellten zufolge, der Zeuge des Geschehens wurde, soll der Täter vor der Tat „Allah-u-Akbar“ – Allah ist groß – nicht gerufen, sondern gemurmelt haben.

Keine Überraschung: Inzwischen weiß man, dass der Terrorist aus dem als Islamisten-Hochburg bekannten Stadtteil Molenbeek kommt. Er soll dort der Polizei mit Drogenhandel aufgefallen sein. In Molenbeek gehen Terror- und Drogennetzwerke ineinander über. Vor einem Jahr haben belgische Sicherheitskräfte dort eine islamistische Terrorzelle ausgehoben, die für Anschläge in Paris (130 Tote) und Brüssel (35 Tote) verantwortlich war.

Trotz des nun durch Glück abgewendeten neuerlichen Anschlags in Brüssel, der leicht hätte verheerend ausfallen können, wurde die Terrorwarnstufe in Belgien nicht auf das höchste Niveau gehoben. Dies solle nur dann geschehen, wenn es Hinweise geben sollte, dass ein weiterer Terroranschlag unmittelbar bevorsteht, hieß es. Nach bisherigen Erkenntnissen sei dies nicht der Fall.