Athens letzte Vorschläge
Nicht Griechenland hat die Reform-Forderungen seiner Geldgeber zu akzeptieren, sondern die Geldgeber die Vorschläge Athens. Das meint die Regierung Tsipras und präsentiert eigene Vorschläge. Darin steht vor allem eines: Athen will weniger sparen und wieder mehr Geld ausgeben.
Griechenland

Athens letzte Vorschläge

Nicht Griechenland hat die Reform-Forderungen seiner Geldgeber zu akzeptieren, sondern die Geldgeber die Vorschläge Athens. Das meint die Regierung Tsipras und präsentiert eigene Vorschläge. Darin steht vor allem eines: Athen will weniger sparen und wieder mehr Geld ausgeben.

Nicht Griechenland hat die Reform-Forderungen seiner Geldgeber zu akzeptieren, sondern die Geldgeber die Vorschläge Athens. Das ist die Botschaft des Reformplanes, den Griechenlands Premier Alexis Tsipras jetzt präsentiert hat. In Athen sprach er von einem „umfassenden“ Programm, das er „den Institutionen“ – der sogenannten Troika aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfonds (IWF) – vorgelegt habe. „Es sei jetzt an den Gläubigern dieses Programm zu akzeptieren“, gibt die Frankfurter Allgemeine Zeitung Tsipras wieder.

Vorausgegangen war ein „letztes Angebot“ mit Reformvorgaben an Griechenland, auf das sich Bundeskanzlerin Angela Merkel, Frankreichs Staatspräsident Francois Hollande, EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, EZB-Präsident Mario Draghi und IWF-Chefin Christine Lagarde in einer Berliner Nachtsitzung verständigen konnten. Es sollte Athen wohl am heutigen Mittwoch vorgelegt werden. Die Zeitverzögerung war nötig, weil die Regierungen der übrigen Euro-Gruppe informiert werden mussten. Auch wenn niemand es so nennen wollte, der Sache nach war das Berliner Papier ein Ultimatum an Athen. Denn die Zeit läuft ab: Ende Juni läuft die Verlängerung des zweiten Griechenland-Rettungspaketes aus. Wenn Athen nicht rechtzeitig schon mit der Troika vereinbarte – oder gleichwertige neue – Reformen umsetzt, verfällt die letzte Rettungstranche von 7,2 Milliarden Euro, ebenso wie elf Milliarden Euro, die für Bankenhilfe schon bereit stehen.

Athens Forderung: Weniger sparen, mehr ausgeben

Aber von „letztem Angebot“, gar Ultimatum will Athen nichts wissen und hat nun seine eigenen letzten Vorschläge präsentiert. In der griechischen Presse sind Details des noch unveröffentlichten Planes durchgesickert, und die haben es in sich:

• Geringere Sparmaßnahmen: Athen will 2015 nur einen sogenannten Primär-Haushaltsüberschuss – das ist der theoretische Haushaltsüberschuss von 0,8 Prozent vor Zinszahlungen – erwirtschaften, der bis 2016 auf 1,5 Prozent steigen soll. Vereinbart waren mit der Troika 3 Prozent für 2015 und 4,5 Prozent für 2016 und 2017, Zahlen die angesichts des griechischen Rückfalls in die Rezession längst irreal sind.  Anderen Berichten zufolge pocht Athen sogar auf einen negativen Primärhaushalt (Frankfurter Allgemeine Zeitung). Die Regierung Tsipras will weniger sparen müssen und mehr ausgeben dürfen – nur darum geht es bei der Diskussion über den Primärüberschuss: um Athens finanziellen Spielraum. Die niedrigen neuen Zahlen haben eine Folge: Griechenland baut praktisch keine Schulden ab. Die Schuldenlast von derzeit 180 Prozent der Wirtschaftsleistung ist dann, wie Finanzexperten sagen, „nicht mehr tragfähig“. Bei nicht tragfähiger Schuldenlast aber darf der IWF keine weiteren Kredite mehr vergeben. In Berlin hat IWF-Chefin Lagarde denn auch schon angekündigt, dass dann die Europäer für die Folgen aufkommen – also: zahlen – müssten. Ein zweiter Schuldenschnitt für Griechenland wäre unausweichlich. Genau das will die Regierung Tsipras. Die Londoner Wochenzeitung The Economist erwartet überdies für September oder Oktober ein drittes Griechenland-Rettungspaket über 30 bis 50 Milliarden Euro.

• Mehrwertsteuern: Athen bietet an, sein Mehrwertsteuer-System zu reformieren: Die heute gültigen unterschiedlichen Sätze von sechseinhalb,  13 und 23 Prozent sollen durch Sätze zu 6, 11, und 23 Prozent ersetzt werden. Um im Tourismusbereich höhere Staatseinnahmen zu erzielen, soll dort die Mehrwertsteuer von 6,5 auf elf fast verdoppelt werden. Bemerkenswert: Nach fünf Jahren Schuldenkrise kreisen griechische Reformpläne noch immer um Mehrwertsteuer-Pläne.

• Immobiliensteuern: Offenbar ist die Regierung Tsipras bereit, sich von einem wichtigen Wahlversprechen zu entfernen und die neue Immobiliensteuer doch nicht abzuschaffen. Athen hofft auf zusätzliche Steuereinnahmen von 2,5 Milliarden Euro – die dann allerdings auch eingetrieben werden müssen. Beim Thema Steuereintreibung macht Athen aber keine Fortschritte. Vielmehr erlaubt es säumigen Steuerzahlern, Steuerschulden über lange Zeiträume abzustottern.

• Renten: Rentenkürzungen soll es doch nicht geben, heißt es jetzt. Zuvor war für möglich gehalten worden, dass die Regierung Tsipras bereit sei, steuerfinanzierte Zusatzrenten einzuschränken und das Renteneintrittsalter zu erhöhen.

• Privatisierungen: Athen ist möglicherweise doch bereit, Staatseigentum zu veräußern. Allerdings waren die hier bislang erzielten Erfolge gering: Bis Dezember 2014 wurden statt der erhofften 50 Milliarden Euro nur 3,5 Milliarden erzielt.

Athen soll möglichst schnell etwa 3,5 Milliarden mehr an Einnahmen erzielen. Darum geht es in allen Überlegungen und Forderungen der Gläubiger. Übersehen wird in der Berichterstattung oft, dass die Regierung Tsipras inzwischen schon unbezahlte Lieferanten-Rechnungen über 4,4 Milliarden Euro hat auflaufen lassen. Das verfälscht alle Berechnungen von theoretischen Primärüberschüsse.

Unmut bei den kleinen Euro-Ländern

Selbst wenn die Gläubiger – etwa jene Berliner Runde – sich jetzt mit Athen einigen, ist das Problem damit noch nicht gelöst: In der Euro-Gruppe gilt das Einstimmigkeitsprinzip. Alle Euro-Zonen-Mitglieder müssen zustimmen. In einigen von ihnen müssen auch die Parlamente beteiligt werden – etwa in Deutschland. In manchen kleineren Euro-Ländern wie Slowenien oder der Slowakei, die ärmer sind als Griechenland, steigt der Zorn über die Kapriolen der Tsipras-Regierung. Andere Länder, die sich selber bitteren Sparauflagen unterzogen haben, sehen das ähnlich. Nicht nur in Slowenien, das seinen Verdruss schon deutlich geäußert hat, wächst der Unmut über Veranstaltungen wie den Berliner Minigipfel. Manche Eurozonen-Mitglieder fühlen sich bei den Bemühungen um die Rettung Griechenlands ignoriert, warnt die Neue Zürcher Zeitung. Von Berlin und Paris hängt die Entscheidung über eine Griechenland-Lösung zwar maßgeblich ab. Aber sie können sich nicht erlauben, den Rest der Eurozone vor vollendete Tatsachen zu stellen. Merkel, Hollande und Juncker steht in der Eurozone noch einiges an Überzeugungsarbeit bevor.