In Tränengas-Wolken: Massenproteste in Caracas. (Bild: Imago/Agencia EFE/Miguel Gutierrez)
Proteste

Venezuela vor der Explosion

Die Proteste in Venezuela gegen Präsident Nicolás Maduro werden immer heftiger, die Zahl der Toten steigt. Doch der Autokrat geht seinen Weg in eine sozialistische Diktatur ungerührt weiter und lässt die Opposition unterdrücken und einsperren.

Die gewaltsamen Proteste in Venezuela gegen Präsident Nicolás Maduro haben zwei weitere Todesopfer gefordert. Damit stieg die Zahl der Toten bereits auf 39 seit Anfang April. Wie die Behörden mitteilten, wurde ein 26-Jähriger bei einer Oppositionskundgebung in Caracas erschossen. Junge Menschen weinten hemmungslos, als der in Caracas niedergeschossene Mann tot in eine Klinik eingeliefert wurde. „Mit großer Trauer muss ich mitteilen, dass ein weiterer junger Mann ermordet worden ist“, sagte der Bürgermeister des Stadtteils Baruta, Gerardo Blyde. Bei der Demonstration wurden zudem über 80 Menschen verletzt. Zudem starb ein am Montag verletzter 32-Jähriger in Mérida an seinen Verletzungen.

Proteste eskalieren

Die Proteste eskalieren zunehmend. Junge Gegner der Regierung werfen seit Tagen mitunter auch mit Fäkalien, Exkrementen und Urin gefüllte Beutel und Flaschen auf Soldaten und Polizisten der Nationalgarde, die mit Tränengasbomben versuchen, sie zurückzudrängen. Auf einzelnen Behältern stand der Spruch: „Con mucho cariño“ (Mit viel Liebe).

Con mucho cariño (Mit viel Liebe)!

Spruch auf Wurfgegenständen der Protestierenden

Mindestens 1600 Menschen wurden in den vergangenen vier Wochen festgenommen, das von der Opposition dominierte Parlament wehrt sich gegen ein Aburteilen von Gegnern Maduros durch Militärtribunale. Das Parlament ist seit Monaten aber de facto machtlos, da Maduro mit Hilfe der Justiz und Notstandsdekreten an der Legislative vorbeiregiert. Der Sozialist will zudem seine paramilitärischen „Milizen“ bewaffnen lassen – kein gutes Zeichen.

Der Druck auf Maduro wächst

Zuletzt hatte schon der Tod eines jungen Musikers für einen großen Aufschrei gesorgt. Der lange von den Sozialisten geförderte Stardirigent Gustavo Dudamel brach daraufhin mit Maduro. Dudamel (36), der das Philharmonieorchester von Los Angeles dirigiert und als jüngster Maestro dieses Jahr virtuos das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker geleitet hat, forderte Maduro auf, auf das Volk zu hören und die Unterdrückung zu stoppen.

Auch im Inland wächst von vielen Seiten der Druck auf Maduro, da ein Bürgerkrieg drohen könnte. Der Autokrat beantragte bei der nationalen Wahlbehörde die Wahl einer Verfassungsgebenden Versammlung mit rund 500 Mitgliedern. Die Opposition befürchtet, dass die geplante Zusammensetzung mit vielen Sympathisanten der Sozialisten hin zu einer Diktatur führen könnte. „Der Diktator Maduro (…) will die Verfassung der Bolivarianischen Republik Venezuela töten“, sagte Oppositionsführer Henrique Capriles. Er ist von der Regierung wegen angeblicher Ungereimtheiten in dem von ihm regierten Bundesstaat Miranda für 15 Jahre als Kandidat bei Wahlen ausgeschlossen worden – er will diese politisch motivierte Entscheidung jedoch anfechten.

Opposition wird unterdrückt

Die Toten sind überwiegend Anhänger der Opposition, aber auch Sicherheitskräfte und Anhänger der Sozialisten starben, einige der Opfer kamen auch bei Plünderungen ums Leben. Die Opposition fordert das Militär zum Bruch mit Maduro auf. Nach Angaben aus der venezolanischen Opposition sind wegen Kritik am Vorgehen der Regierung bereits 85 Offiziere der Streitkräfte festgenommen worden. „In den Streitkräften gibt es Unzufriedenheit“, sagte einer der Führer der Opposition, Henrique Capriles, in Caracas. Die Demonstranten sehen Venezuela unter dem Sozialisten auf dem Weg in die Diktatur – sie fordern rasche Neuwahlen und die Freilassung von Gefangenen wie des 46-jährigen Oppositionsführers Leopoldo López. Dessen Gesundheitszustand soll sich im Gefängnis zuletzt dramatisch verschlechtert haben, seine Ehefrau, die bekannte Oppositionelle Lilian Tintori, erhielt jedoch keine Besuchsgelegenheit oder Auskunft. López verbüßt wegen angeblicher Anstachelung zu Gewalt bei regierungskritischen Protesten eine fast 14-jährige Haftstrafe – das Urteil wird jedoch überall als politisch angeordnete Entscheidung angesehen.

In den Streitkräften gibt es Unzufriedenheit.

Henrique Capriles, Oppositionsführer

Maduro wirft der Opposition vor, mit Hilfe der US-Regierung von Präsident Donald Trump einen Putsch vorzubereiten – zuletzt traf sich Parlamentspräsident Julio Borges mit hochrangigen US-Vertretern. Auch mehrere Büsten von Hugo Chávez wurden in den vergangenen Tagen vom Sockel geholt und zerstört – der 2013 verstorbene Präsident hatte das Projekt eines „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ begründet, der jedoch nur durch die hohen Öleinnahmen des Landes überhaupt funktionieren konnte. Als der Ölpreis noch hoch war, konnten im Land mit den größten Ölreserven der Welt Millionen Menschen aus der Armut geholt werden. Das Bildungs- und Gesundheitssystem wurde auch mit kubanischer Hilfe modernisiert – gegen verbilligtes Öl für das sozialistische Kuba.

Vor dem Ruin

Heute steckt das Land mit den größten Ölreserven seit Monaten in einer dramatischen Krise und steht nach Jahren der sozialistischen Misswirtschaft und Korruption vor dem Ruin. Wegen des rapiden Währungsverfalls, Misswirtschaft und der Rückzahlung von Auslandsschulden in Milliardenhöhe fehlt Geld, um ausreichend Lebensmittel und Medikamente einzuführen. Die Goldreserven wurden bereits mehr als halbiert, um an Devisen zur Bedienung der Auslandsschulden und für den Import von Medikamenten und Nahrung zu kommen. Die Mordrate steigt und steigt: 2016 wurden fast 28.500 Menschen in Venezuela ermordet. Im einst reichsten Land Südamerikas hungern die Menschen. Kinder sterben in Krankenhäusern, weil es an allem fehlt. Nach neuesten Zahlen starben allein 2016 rund 11.500 Kinder jünger als ein Jahr, was einen Anstieg der Kindersterblichkeit um rund 30 Prozent bedeutet. Lebensmittel und Medikamente fehlen, sogar Klopapier wird Mangelware. In Caracas geht laut Berichten unterdessen das Brot aus, weil es vielerorts kein Mehl mehr gebe. Die größte Oppositionszeitung „El Nacional“ leidet unter Papiermangel und hat nur noch vier Seiten.