Blutige Eskalation
In Venezuelas haben Massenproteste gegen das diktatorische Regime von Präsident Nicolás Maduro über 20 Tote gefordert. Maduro droht mit Eskalation und will 500.000 Milizen gegen die Opposition bewaffnen. Doch die Protestwelle hält an. In dem Land mit den größten Ölreserven der Welt breiten sich Hunger und Elend aus.
Venezuela

Blutige Eskalation

In Venezuelas haben Massenproteste gegen das diktatorische Regime von Präsident Nicolás Maduro über 20 Tote gefordert. Maduro droht mit Eskalation und will 500.000 Milizen gegen die Opposition bewaffnen. Doch die Protestwelle hält an. In dem Land mit den größten Ölreserven der Welt breiten sich Hunger und Elend aus.

Venezuelas Präsident Nicolás Maduro will trotz Massenprotesten und vielen Toten die sozialistische Revolution um jeden Preis verteidigen. „Sie wissen nicht, was wir in der Lage sind zu tun“, drohte der 54-Jährige in seinem TV- und Radioprogramm „Domingos con Maduro”: „Nach fast 20 Jahren der Revolution bin ich bereit, einen neuen historischen Schritt zu unternehmen.” Angesichts der zunehmend blutigen Proteste und Unruhen mit bereits 21 Toten versicherte er: „Wir werden nicht in einen Bürgerkrieg geraten.”

Maduro wurde scharf kritisiert dafür, dass 500.000 Milizen mit Gewehren ausgerüstet werden sollen. Der Oppositionsführer und Vizepräsident des Parlaments, Freddy Guevara, rief das Militär und den Verteidigungsminister Vladimir Padrino dazu auf, „nicht mit der Titanic Maduros unterzugehen”. Mit erneut Hunderttausenden Demonstranten will die Opposition am heutigen Montag für ein Ende der Präsidentschaft des Sozialisten auf die Straße gehen. Guevara kündigte Proteste in allen 24 Bundesstaaten des Landes mit den größten Ölreserven der Welt an.

Unruhen in der Maduro-Hochburg

Bei Unruhen und Protesten starben seit Anfang April 21 Menschen – davon neun im Zusammenhang mit Demonstrationen, mehrere Menschen wurden mit Kopfschüssen getötet. In der Nacht zu Freitag spielten sich dann im Viertel La Valle im Südosten von Caracas drastische Szenen ab. Demonstranten und Polizisten lieferten sich Straßenschlachten, es kam zu massiven Plünderungen. Insgesamt starben in der Nacht zwölf Menschen − elf in La Valle und ein Mann im Armenviertel Petare. La Valle gilt als Hochburg der linken Szene − Präsident Maduro wurde hier geboren und ging hier zur Schule. Daher ist das Aufkommen von Unruhen bemerkenswert − lange war in dieser Gegend die Zustimmung zu den Sozialisten besonders hoch.

Sie wissen nicht, was wir in der Lage sind zu tun.

Venezuelas Präsident Nicolás Maduro

Auslöser waren die zeitweise vollständige Entmachtung des von der Opposition dominierten Parlaments und Sorgen vor dem Abdriften in eine Diktatur. In der Vergangenheit gab es mehrere – vom Vatikan unterstützte − Dialogversuche zwischen Sozialisten und Opposition, die aber im Sande verliefen. Die Opposition, die Ende 2015 die Parlamentswahl klar gewonnen hatte, fordert freie Wahlen und ein Ende der Präsidentschaft von Nicolás Maduro, dem sie die Vorbereitung einer Diktatur vorwerfen. Weitere Forderungen sind: die Freilassung von politischen Gefangenen wie des einflussreichen Oppositionspolitikers Leopoldo López, die Rehabilitierung von Oppositionellen mit „Politikverboten“ wie Maria Machado und Henrique Capriles, Achtung der Entscheidungen des Parlaments sowie ein humanitärer Korridor, um die Menschen mit Lebensmitteln und Medikamenten zu versorgen.

Das Parlament ist seit Monaten de facto machtlos, da Maduro mit Hilfe der Justiz und Notstandsdekreten an der Legislative vorbeiregiert. Maduro wirft seinerseits der Opposition vor, einen Putsch zu wollen. Zuletzt kündigte er an, 500.000 Milizen mit Gewehren auszurüsten. Laut Angaben von Anwälten gab es seit Ausbruch der Proteste am 4. April rund 1300 Festnahmen.

Elend trotz größter Ölreserven der Welt

Es sind die heftigsten Proteste seit 2014 – damals starben 43 Menschen. Der Staat mit den größten Ölreserven der Welt (fast 300 Milliarden Barrel – ein Barrel entspricht 159 Liter) ist seit dem Fall des Ölpreises in die tiefste Krise seiner Geschichte gerutscht. Es wird kaum noch etwas produziert; die Ölförderung ist eingebrochen. Nach aktuellen Marktangaben förderte Venezuela im März 1,97 Millionen Barrel (je 159 Liter) am Tag. Das waren 25.000 Barrel weniger als noch im Februar. Im Jahr 2015 brachte das Land demnach noch durchschnittlich 2,37 Millionen Barrel täglich an die Erde. Wegen der Bedienung der milliardenschweren Auslandsschulden und der höchsten Inflation der Welt können kaum noch Lebensmittel und Medikamente importiert werden, die in Euro und Dollar zu zahlen sind. Antibiotika, Diabetes- oder Epilepsie-Medikamente sind kaum noch zu bekommen. Die Kindersterblichkeit stieg deutlich an.

Auf Müllkippen suchen Menschen, gestört von Geiern, nach Essensresten.

Schlangen vor leeren Supermärkten sind Alltag. Auf Müllkippen suchen Menschen, gestört von Geiern, nach Essensresten. Zudem hat die Gewalt zugenommen: 2016 wurden fast 28.500 Menschen ermordet. 2016 brach die Wirtschaftsleistung um 18 Prozent ein, die Inflation könnte in diesem Jahr bei über 700 Prozent liegen. Rund 95 Prozent der Staatseinnahmen macht der Ölexport aus − in Zeiten niedriger Preise erweist sich diese Abhängigkeit für Venezuela als fatal.

Schrumpfende Goldreserven

Da Devisen für den Import von Lebensmitteln und Medikamenten fehlen, wird auch versucht, Goldvorräte zu Geld zu machen. Es gab schon 2016 sogenannte Swap-Geschäfte, bei denen die Zentralbank einer anderen Bank Goldreserven für eine bestimmte Zeit leiht und dafür Devisen erhält. In einem der Deutschen Presse-Agentur vorliegenden Brief warnte jetzt Venezuelas Parlamentspräsident Julio Borges Deutsche-Bank-Chef John Cryan davor, ein mögliches Goldgeschäft mit Präsident Maduro einzugehen. Die Deutsche Bank unterstütze sonst eine diktatorische Regierung mit „Verbindungen zum Drogenhandel und internationalen Terrorismus”. Die Bank wollte dies nicht kommentieren. Von 361 Tonnen (2014) fielen die Reserven der Venezuelanischen Zentralbank bis Ende 2016 bereits auf 170 Tonnen Gold. (dpa)