Und täglich grüßt das Murmeltier
Griechenland braucht neue Milliarden. Wieder einmal. Sonst droht im August Zahlungsausfall. Damit die Rettungsgelder fließen können, müssen die Gläubiger in Athen den Reformfortschritt zertifizieren. Doch EU und IWF sind sich beim Kurs nicht einig: Sparen oder Schuldenschnitt?
Griechenland

Und täglich grüßt das Murmeltier

Griechenland braucht neue Milliarden. Wieder einmal. Sonst droht im August Zahlungsausfall. Damit die Rettungsgelder fließen können, müssen die Gläubiger in Athen den Reformfortschritt zertifizieren. Doch EU und IWF sind sich beim Kurs nicht einig: Sparen oder Schuldenschnitt?

Das griechische Jammerspiel geht ins achte Krisenjahr – und hält an. Das Fass des Diogenes hat immer noch keinen Boden. Wer in Griechenland wirtschaftlichen Fortschritt, gar Erholung sehen will, braucht eine optimistische Gemütsverfassung: Immerhin, die Arbeitslosigkeit ist gesunken – von 28 auf jetzt immer noch katastrophale 23 Prozent. Sie erreicht damit 80 Prozent des Vorkrisenniveaus. Weil die Banken auf fast 50 Prozent faulen Krediten sitzen, geben sie keine Kredite mehr raus. Die Folgen sind ausbleibende Investitionen und eine anhaltende wirtschaftliche Flaute.

Griechenlands Staatsverschuldung ist auf 180 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) gestiegen.

Seit 2008 ist Griechenlands Wirtschaft um ein Viertel geschrumpft. Das Wachstum seither bleibt dürftig. 2016 lag es bei 0,5 Prozent (0,4 Prozent, schreibt The Economist), nach einer Schrumpfung um 0,2 Prozent im Jahr 2015. Griechenlands Staatsverschuldung ist auf 180 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) gestiegen (Financial Times). Das Haushaltsdefizit steht bei 7,5 Prozent (The Economist) oder bei schöngerechneten 1 Prozent, wenn man die Mittel für eine (hoffentlich) einmalige Bankenrekapitalisierung ausklammert. Das Vertrauen in offizielle griechische Zahlen ist ohnehin gering, seit ihre falschen Staatsbilanzen offenbar wurden. Auch Zusagen und Versprechen aus Athen gelten nur noch wenig in Europa.

Dürftige Reformfortschritte

Die linksradikale Regierung von Alexis Tsipras wehrt sich gegen Reformen, nicht anders als ihre konservativen oder sozialistischen Vorgänger. Sogar griechische Stimmen sagen, bislang sei nur ein Drittel der geforderten Reformen umgesetzt worden. „Der Zustand der öffentlichen Verwaltung, des Gesundheits- Bildungs- und Justizwesens ist schlimmer denn je“, zitiert die Financial Times den sozialistischen Vorkrisen-Finanzminister Yiannos Papantoniu. Kommentar von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble Ende Januar: „Ich weiß nicht, was die griechische Regierung sich dabei denkt, dass sie bis jetzt nicht das getan hat, wozu sie sich oft verpflichtet hat.”

Unglaublich: Griechische Rentner erhalten 81 Prozent ihres letzten Lohns – deutsche Rentner 43 Prozent. Und die Hälfte der Griechen zahlt keine Einkommenssteuer.

Derzeit geht es um dringende liberalisierende Reformen beim Arbeitsrecht, um eine Rentenreform und eine Absenkung des Steuerfreibetrags. Die Erfordernisse liegen auf der Hand. Noch immer erhalten griechische Rentner 81 Prozent ihres letzten Lohns, gegenüber 43 Prozent für einen deutschen Rentner. Folge: Athen muss etwa zehn Prozent des BIP aufwenden, um die Rentenkasse über Wasser zu halten (Frankfurter Allgemeine Zeitung). Weil der Steuerfreibetrag mit 8636 Euro ungefähr so hoch liegt wie in Deutschland, muss die Hälfte der Griechen keine Einkommenssteuer zahlen. Im vergangenen Jahr sind auch darum die Steuereinnahmen wieder zurückgegangen (The Economist).

Das hochverschuldete Land kann sich solche Verschwendung nicht länger erlauben, auch wenn das Volk das offenbar nicht wahrhaben will. Zumal der Staat jetzt wieder Geld braucht. Im Juli muss Athen 6,3 Milliarden Euro für fällige Kredite aufbringen. Das geht nur, wenn es bis dahin eine nächste Tranche aus dem dritten Rettungspaket (insgesamt 86 Milliarden Euro) erhält, das 2015 geschnürt wurde.

Rosarote Kalkulationen der Europäer

Das Problem: Die Gläubiger – EU-Kommission, Europäische Zentralbank (EZB), Euro-Krisenfonds (ESM) und Internationale Währungsfonds (IWF) – sind sich nicht einig darüber, was sie von Athen als Gegenleistung für die Finanzspritze fordern sollen.

EU:  Wachstum von 2,7 Prozent

Die Europäer wollen Athen ab 2018 bis zunächst zum Jahr 2020 auf einen Primärhaushaltsüberschuss – also Haushalt vor Schuldendienst – von 3,5 Prozent verpflichten, damit es beginnen kann, seine Schuldenlast abzubauen. Scheitert Athen an der Vorgabe, sollen harte Reformgesetze automatisch die Staatsausgaben zurückfahren. Die EU-Kommission rechnet mit optimistischen Zahlen: Für 2017 erwartet sie für Griechenland ein Wachstum von 2,7 und für 2018 gar von 3,1 Prozent. Was gegenüber den 0,5 Prozent von 2016 eine sagenhafte Steigerung wäre.

IWF: höchstens 1 Prozent

Der IWF dagegen will von solchen rosaroten Kalkulationen nichts wissen. Griechenlands Wachstum schätzt er für 2017 auf allenfalls ein Prozent, bei anhaltend niedriger Produktivität. Der avisierte Primärüberschuss von 3,5 Prozent sei unrealistisch: Weitere Sparanstrengungen würden das Wachstum torpedieren. Der Währungsfond will darum Griechenland nur einen Primärüberschuss von 1,5 Prozent auferlegen. Von den Europäern verlangt er eine Verpflichtung, Griechenland substantiell Schulden zu erlassen, damit das Krisenland die Schuldenlast überhaupt tragen könne.

IWF soll unbedingt mit ins Boot

Dem IWF sind die Hände gebunden: Seinem eigenen Regelwerk zufolge darf er nur Darlehen an Länder vergeben, wenn deren Schuldenlast nach IWF-Rechnung tragbar ist. Was für Griechenland eben nicht der Fall ist: In seinem letzten Bericht erklärt der IWF die griechischen Schulden schlicht für „untragbar“ und errechnet bei gleichbleibenden Trends eine Schuldenexplosion auf 260 Prozent bis zum Jahr 2060.

Ein Dilemma: Der IWF will bei der weiteren Griechenlandrettung zu europäischen Bedingungen nicht mitmachen. Die Europäer wollen von Schuldennachlass nichts hören, schon gar nicht im Wahljahr. Aber einige Euro-Länder – Deutschland, die Niederlande und andere – wollen trotzdem den IWF unbedingt im Boot haben. Damit er EZB und ESM auf die rosaroten Rechnungen schaut, die Europäer zur Disziplin zwingt und den Griechen die Reformpistole auf die Brust setzt. Diese Länder machen die IWF-Teilnahme sogar zur Bedingung für ihre Zustimmung zu weiteren Verhandlungen mit Athen.

Das griechische Dilemma

Wie sich das Dilemma auflösen soll, ist noch offen. Immerhin gibt es schon eine kleine Verständigung. Europäer und IWF schicken ein gemeinsames Team nach Athen, das dort die fällige Überprüfung des laufenden dritten Hilfsprogramms abschließen soll – die Voraussetzung dafür, dass Griechenland die nächste Rettungstranche erhalten kann. Eine Einigung ist das noch lange nicht. Die nächsten Wochen und Monate der Griechenlandkrise werden wieder spannend.

Die Europäer diskutieren eigentlich nur darüber, wie sie europäische Gelder von einer europäischen Tasche in die andere verschieben.

The Economist

Als reine Farce betrachtet dagegen The Economist das Griechenland-Schauspiel. Denn die meisten griechischen Schuldtitel, die im August fällig werden, hält die EZB. Das meiste Geld, um sie auszulösen, kommt vom Euro-Stabilitätsfonds ESM. Die Europäer diskutieren eigentlich nur darüber, so das britische Magazin, wie sie europäische Gelder von einer europäischen Tasche in die andere verschieben. Umso wichtiger ist eben die Beteiligung des IWF: So redet wenigstens einer am Tisch aufrichtig, rechnet scharf und pocht auf griechischen Reformfortschritt.