Drei Prozent für Sicherheit und Stabilität
Die Nato-Mitgliedstaaten wollen bis 2024 ihre Verteidigungshaushalte auf zwei Prozent ihrer Wirtschaftsleistung erhöhen. Auf der Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) haben amerikanische Redner mit Nachdruck auf diese Selbstverpflichtung gepocht. MSC-Chef Botschafter Wolfgang Ischinger machte einen anderen Vorschlag, den auch Bundespräsident Joachim Gauck aufgriff.
Verteidigung

Drei Prozent für Sicherheit und Stabilität

Die Nato-Mitgliedstaaten wollen bis 2024 ihre Verteidigungshaushalte auf zwei Prozent ihrer Wirtschaftsleistung erhöhen. Auf der Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) haben amerikanische Redner mit Nachdruck auf diese Selbstverpflichtung gepocht. MSC-Chef Botschafter Wolfgang Ischinger machte einen anderen Vorschlag, den auch Bundespräsident Joachim Gauck aufgriff.

Das muss man US-Präsident Donald Trump lassen: Der CEO im Weißen Haus bekommt, was er will. Und zwar schnell. Schon vor bald zwanzig Jahren forderte der damalige Nato-Generalsekretär George Robertson wieder und wieder „more capabilities“ für die Nato − mehr militärische Fähigkeiten, mehr Soldaten, mehr Material. Eine US-Regierung nach der anderen drängten die Nato-Partner zu höheren Verteidigungsausgaben. Das Ziel von zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) für den Verteidigungshaushalt, auf das sich alle 28 Nato-Verbündeten vor zwei Jahren endlich verpflichtet haben und das sie bis zum Jahr 2024 erreichen wollen, ist schon viel älter. Aber alles Drängen blieb vergeblich. Neben den USA erfüllen heute nur vier Nato-Länder die Zwei-Prozent-Vorgabe: Griechenland, Estland, Großbritannien und Polen. Etwa die Hälfte der Nato-Mitgliedsländer gibt für Verteidigung weniger aus, als die New Yorker Polizei kostet (4,8 Milliarden Dollar), errechnete vor einem halben Jahr die konservative US-Stiftung Heritage Foundation.

Es ist eine faire Forderung, dass alle, die vom besten Bündnis der Welt profitieren, auch ihren angemessenen Teil an den Kosten für die Verteidigung unserer Freiheiten tragen.

US-Verteidigungsminister James Mattis

Was zwanzig Jahre lang niemand schaffte, scheint Trump schon im ersten Monat seiner Präsidentschaft zu gelingen: Die Bündnispartner zeigen Einsicht, geloben Besserung und bemühen sich, Ausgabeneifer vorzuführen. Kein Wunder. Washington hat wochenlang kein Blatt vor den Mund genommen: Als Kandidat und als gewählter Präsident hat Trump immer wieder das Bündnis in Frage gestellt. Sein Verteidigungsminister James Mattis hat kürzlich in Brüssel den Nato-Kollegen sozusagen die Pistole auf die Brust gesetzt: Bis zum Herbst will Washington einen Plan sehen, wie das Zwei-Prozent-Ziel bis 2024 realisiert werden soll.

„Unser Investment in ihren Frieden und Wohlstand“

Auf der 53. Münchner Sicherheitskonferenz war die Frage der fairen Lastenteilung denn auch eines der beherrschenden Themen. Bündnistreue versprechen und sie von den Partnern einfordern – das war die doppelte Taktik praktisch aller amerikanischen Redner auf dem Münchner Podium. Der Beistands-Artikel 5 des Nato-Vertrags sei felsenfeste Verpflichtung, versprach etwa Verteidigungsminister Mattis. Trump unterstütze das Bündnis rückhaltlos. Dann kam Mattis auf die Gegenleistung zu sprechen, die Washington erwartet: „Es ist eine faire Forderung, dass alle, die vom besten Bündnis der Welt profitieren, auch ihren angemessenen Teil an den Kosten für die Verteidigung unserer Freiheiten tragen.“ Der US-Verteidigungsminister war in München zuversichtlich, „dass das Bündnis dieses Jahr einen Plan vorlegen wird mit klaren Terminvorgaben, um stetigen Fortschritt bei der Erfüllung der Verpflichtungen zu machen und um unseren fairen Anteil an der Sicherheitslast zu tragen“.

Friede und Wohlstand in Europa müssen immer wieder neu erworben werden, durch geteiltes Opfer und geteilte Verpflichtung.

US-Vizepräsident Mike Pence

Noch deutlicher wurde Vize-Präsident Mike Pence. Auch er überbrachte Trumps Zusicherung, „dass die Vereinigten Staaten von Amerika die Nato stark unterstützen und in ihren Verpflichtungen gegenüber dem Transatlantischen Bündnis niemals schwankend werden.“ Pence: „Wir werden zu Europa halten, heute und jeden Tag.“ Ziemlich ausführlich erinnerte der Vizepräsident seine Münchner Zuhörer an Amerikas jahrzehntelanges „Investment in Ihren Frieden und Ihren Wohlstand, in Ihre Sicherheit, gestern und heute“. Friede und Wohlstand in Europa dürften aber nicht als garantiert betrachtet werden, warnte Pence: „Sie müssen kontinuierlich erhalten werden, durch geteiltes Opfer und geteilte Verpflichtung“. Genau das werde Amerika leisten und noch mehr, versprach Pence. Die USA wollen ihr Militär ausbauen und „das Waffenlager der Demokratie wieder herstellen“. Pence: „Wir werden unsere Verpflichtungen für die gemeinsame Verteidigung erfüllen und unseren Teil tun, um unsere Bündnispartner zu unterstützen.“

Artikel 3 gegen Artikel 5 des Nato-Vertrages

Dann kam die Forderung: „Europas Verteidigung braucht ihre Verpflichtung genauso wie unsere.“ Das Transatlantische Bündnis baue auf zwei Grundsätzen, erinnerte Pence: auf dem vielzitierten Artikel 5 des Nato-Vertrages − mit seiner übrigens eher vagen Beistandsverpflichtung − und auf dem weniger bekannten Artikel 3, „in dem wir geloben, unseren fairen Teil zu unserer gemeinsamen Verteidigung beizutragen“. Eine gleichwertige Gegenüberstellung von Artikel 5 und Artikel 3 des Bündnisvertrages – das ist ein neuer Ton, den in der Nato so wohl noch niemand je gehört hat. Und nicht jedem Zuhörer in München dürfte sofort klar geworden sein, was er bedeutet: Der Beistand nach Artikel 5 könnte abhängen von der fairen Lastenteilung nach Artikel 3.

Der Präsident der Vereinigten Staaten erwartet, dass unsere Verbündeten ihr Wort halten und ihre Verpflichtungen erfüllen. Und das bedeutet, jetzt ist die Zeit gekommen, mehr zu tun.

Mike Pence

Das Versprechen, die Last unserer Verteidigung zu teilen, warnte Pence, sei zu lange unerfüllt geblieben. „Wenn Bündnispartner ihren Teil nicht tun, dann untergräbt das unsere Fähigkeit, einander zu Hilfe zu kommen.“ Washington erkenne an, dass einige Nationen auf dem Weg seien, dass selbstgesetzte Zwei-Prozent-Ziel zu erfüllen. Viele andere aber, „einschließlich einiger unserer größten Verbündeten“, seien davon noch weit entfernt. Pence: „Lassen Sie mich hier ganz klar sein: Der Präsident der Vereinigten Staaten erwartet, dass unsere Verbündeten ihr Wort halten und ihre Verpflichtungen erfüllen.“ Und das bedeute, so Pence weiter, jedes Wort extra betonend: „Jetzt ist die Zeit gekommen, mehr zu tun.“ Am Schluss seiner Münchner Rede hatte Pence noch eine letzte Warnung parat: „Sicherheit durch geteiltes Opfer − oder eine ungewisse Zukunft.“

Ischinger: Drei Prozent für Krisenprävention

Was bedeutet das alles für Deutschland? Für das Jahr 2017 hat Berlin den Verteidigungshaushalt um 2,7 Milliarden Euro oder acht Prozent auf 37 Milliarden Euro erhöht. Was aber nur etwa 1,2 Prozent des BIP ausmacht. Um bis zum Jahr 2024 der Zwei-Prozent-Verpflichtung nahe zu kommen, müsste Deutschland dann weit über 60 Milliarden Euro für Verteidigung ausgeben. Nach bisherigen Plänen soll sich der Verteidigungsetat bis zum Jahr 2020 aber nur auf etwa 39 Milliarden Euro erhöhen. Wenn das Wirtschaftswachstum anhält, wird das Land damit kaum über die aktuellen 1,2 Prozent des BIP hinauskommen.

Mindestens drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Krisenprävention, Entwicklungszusammenarbeit, Diplomatie und Verteidigung – das schiene mir eine gute Richtschnur zu sein.

Botschafter Wolfgang Ischinger, Vorsitzender der Sicherheitskonferenz

Dass die europäischen Nato-Partner mehr für ihre gemeinsame Verteidigung tun müssen, erkennt in Berlin fast jeder an. Eine Verdoppelung des Verteidigungshaushaltes in nur sieben Jahren kommt aber kaum in Frage. Um dennoch den amerikanischen Wünschen gerecht zu werden, besinnt man sich nun auf eine Idee, die im vergangenen Herbst der Vorsitzende der Münchner Sicherheitskonferenz, Botschafter Wolfgang Ischinger, einmal äußerte: „Warum zum Beispiel führen wir nicht eine Art Drei-Prozent-Kriterium für mehr internationales Engagement ein?“ Das Zwei-Prozent-Ziel der Nato hält Ischinger weiterhin für wichtig. „Aber wir könnten es einbetten und erweitern um unser Engagement für Krisenprävention, Diplomatie und Entwicklungspolitik.“ Das wäre dann zugleich Ausdruck des umfassenden Sicherheitsbegriffs, der Teil des deutschen außenpolitischen Konsenses geworden ist. Ischinger: „Mindestens drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts also für Krisenprävention, Entwicklungszusammenarbeit, Diplomatie und Verteidigung – das schiene mir eine gute Richtschnur zu sein.“

Drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts nicht allein für die Aufstockung der Verteidigungsausgaben, sondern auch für Krisenprävention, Diplomatie und Entwicklungszusammenarbeit. Das ist, denke ich, gut investiertes Geld.

Bundespräsident Joachim Gauck

In seinem Dankwort zur Verleihung des Ewald-von-Kleist-Preises beim Empfang des Bayerischen Ministerpräsidenten – stets der feierliche Höhepunkt der Sicherheitskonferenz – hat nun Bundespräsident Joachim Gauck an Ischingers Vorschlag erinnert: „Drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts nicht allein für die Aufstockung der Verteidigungsausgaben, sondern auch für Krisenprävention, Diplomatie und Entwicklungszusammenarbeit.“ Das, so Gauck, sei gut investiertes Geld: „Es würde unsere Verteidigungsfähigkeit und gleichzeitig unsere Glaubwürdigkeit stärken.“ Gauck weiter: „Über die Frage der fairen Lastenverteilung dürfte mit unserem amerikanischen Partner eine Übereinkunft möglich werden – egal, bei welcher Prozentzahl wir landen.“ Gauck hat damit Ischingers Drei-Prozent-Vorschlag offiziell gemacht. Über amerikanische Reaktionen darauf ist noch nichts bekannt.

Kaum weiterführend sind dagegen Überlegungen von SPD-Außenminister Sigmar Gabriel. Der hatte auf dem Münchner Podium allen Ernstes vorgeschlagen, einfach die 30 bis 40 Milliarden Euro, die Deutschland für die Aufnahme von Flüchtlingen aufwende, auf die Zwei-Prozent-Verpflichtung der Nato anzurechnen. Die Partner müssten akzeptieren, so Gabriel, „dass auch dies ein Beitrag zur Stabilisierung ist“. Sozialdemokratische Zahlenspielerei. Nur wie das der Nato helfen soll, etwa in Estland glaubwürdig Stärke und Entschlossenheit gegen Wladimir Putins Russland zu demonstrieren, das konnte und wollte der transatlantische Neuling Gabriel nicht erklären.