Pfadfinder in Warschau
Wahlsensation: Polens designierter Präsident Andrzej Duda kommt zwar aus der nationalkonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit der Kaczynski-Brüder. Aber er gehört einer neuen, moderaten Generation an. Den Euro will Polen nicht vor 2020 einführen.
Polens neuer Präsident

Pfadfinder in Warschau

Wahlsensation: Polens designierter Präsident Andrzej Duda kommt zwar aus der nationalkonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit der Kaczynski-Brüder. Aber er gehört einer neuen, moderaten Generation an. Den Euro will Polen nicht vor 2020 einführen.

Vor einem halben Jahr kannte selbst in Polen kaum ein Wähler den Europaabgeordneten und frischgekürten Präsidentschaftskandidaten Andrzej Duda. Amtsinhaber Bronislaw Komorowski lag uneinholbar weit vor allen Konkurrenten. Doch jetzt hat der Mann aus dem Nichts Noch-Präsident Komorowski mit 51,5 gegen 48,5 Prozent aus dem Amt gefegt. Am 6. August wird Duda Polens neuer Präsident.

„Duda wurde vor allem gewählt, weil ihn niemand kennt“, beobachtet die Neue Zürcher Zeitung. Tatsächlich sagt die Wahlsensation etwas aus über die politische Situation in Polen und über weitverbreiteten Wähler-Überdruss an Komorowski wie an der seit acht Jahren regierende Bürgerplattform (PO), für die der Amtsinhaber stand.

Duda trat für die nationalkonservative Partei Recht und Gerechtigkeit von Ex-Premier Jaroslaw Kaczynski an. Gewählt haben ihn die eher ländlichen, konservativen PiS-Wähler, Rentner – und sehr viele junge Wähler. Was kein Zufall ist: Denn trotz erfreulicher Wirtschaftsdaten – für 2015 erwartet Polen 3,3 Prozent Wachstum – beträgt die Arbeitslosigkeit erschreckende 11,3 Prozent (The Economist) und trifft vor allem die Jungen. In den vergangenen zehn Jahren sind etwa 2,5 Millionen in aller Regel gut ausgebildete junge Polen nach Westeuropa ausgewandert. Vom „Denkzettel der Jugend“ schreibt denn auch die NZZ. Kein gutes Omen für die PO und Ministerpräsidentin Ewa Kopacz zur bevorstehenden Parlamentswahl im September – nur einen Monat nach Dudas Amtseinführung.

Wird die Kaczynski-Partei mit Andrzej Duda moderater?

Kaczynski hat den unbekannten Duda sozusagen aus dem Hut gezaubert. Im Hinblick auf die bevorstehende Parlamentswahl hatte er weder sich selbst, noch seine Partei, noch irgendeinen wichtigen Parteifreund mit einer Niederlage gegen den als unschlagbar geltenden Komorowski belasten wollen. Es ist anders gekommen: Jetzt übernimmt der Kaczynski-Intimus – Duda war kurz stellvertretender Justizminister in der Regierung von Jaroslaw Kaczynski und dann Berater von Präsident Lech Kaczynski – das höchste Amt im Staat. Kehren nun mit ihm die konfrontativen Jahre der Kaczynski-Brüder nach Warschau zurück?

Das ist nicht ausgemacht. Duda wurde nach vorne geschickt, gerade weil er umgänglich, moderat und  unideologisch auftreten konnte, sozusagen als das freundliche Gesicht der PiS. Nichts spricht dafür, dass der Jurist und einstige Pfadfinder Duda sich nach der Wahl als nationalkonservativer Radikaler im Kaczynski-Stil entpuppt. Im Gegenteil, mit Duda könnte eine neue Generation von PiS-Politiker hervortreten, hofft die Londoner Wochenzeitung The Economist. Für PiS-Chef Kaczynski könnte tatsächlich ein Problem entstehen: Duda sollte mit seiner frischen, modernen Art für die PiS neue Wählerschichten gewinnen. Das ist ihm gelungen – und macht ihn einflussreich, auch in der Partei, der er als Präsident nicht mehr angehören darf. Wenn Kaczynskis PiS im September tatsachlich die Rückkehr an die Macht gelänge, könnte es spannend werden, vor allem in der Partei selber. Aufschlussreich: Am triumphalen Wahlabend hat sich Kaczynski nicht blicken lassen.

Warschau stellt Bedingungen für den Euro-Beitritt

Richtig, Duda ist im Wahlkampf mit europaskeptischen Tönen aufgetreten. Dass sich mit ihm an Warschaus europäischem Kurs viel ändert, ist dennoch nicht zu erwarten. Zum einen, weil das nicht in der Hand des Präsidenten, sondern in der der Regierung liegt. Zum anderen, weil Warschau seit Beginn der Ukraine-Krise und Russlands aggressiver Politik eher mehr als weniger europäische Nähe sucht.

Auch mit seiner Abwehrhaltung gegenüber einer schnellen Einführung des Euro vertritt Duda in Polen keine radikale Position. Zwar hat sich Polen 2004 mit dem EU-Beitritt dazu verpflichtet, auf die Übernahme der Gemeinschaftswährung hinzuarbeiten. Mit nur 51 Prozent Staatsverschuldung, einem für 2015 prognostizierten Haushaltsdefizit von 1,5 Prozent und 0,2 Prozent Inflation erfüllt Polen auch alle Maastricht-Kriterien für die Einführung des Euro. Aber seit der Finanz- und dann der Eurokrise – Warschau ist dabei mit seiner eigenen Währung, dem Zloty, vergleichsweise gut gefahren – treten die Polen auf die Bremse. Jahrelang vermied es etwa der bürgerliche Ministerpräsident Donald Tusk – er ist jetzt in Brüssel EU-Ratspräsident –, Warschau auf einen Euro-Beitrittstermin festzulegen. Als vor einem Jahr Präsident Komorowski zur schnellen Euro-Einführung riet, lehnte Tusk-Nachfolgerin Kopacz das prompt ab – und stellte zwei Bedingungen: „Die Eurozone muss wirklich sicher sein und ohne jegliche Krise. Ich habe gesehen, dass die Euro-Zone noch viel nachzuholen hat.“ Die Eurokrise hat einiges geändert: Vorher pochte Brüssel auf Bedingungen und Kriterien für den Euro-Beitritt. Jetzt verlangt umgekehrt Polen, dass die Eurozone Gesundheit und Beitrittsfähigkeit beweist. Das ist nur vernünftig und hat mit Euro- gar Europaskepsis nichts zu tun.