Thatcher-Fan für den Elysée-Palast
Große Überraschung im Rennen um die Präsidentschaftskandidatur der französischen Républicains: Mit 44,2 Prozent geht Franςois Fillon als Favorit in die Stichwahl am kommenden Sonntag. Weil Präsident Hollandes Sozialisten im Zustimmungstief verharren, gilt die Vorwahl der Bürgerlichen vielen als heimliche Präsidentschaftswahl: Der Sieger wird im Mai gegen Le Pen antreten – und wohl gewinnen.
Frankreich

Thatcher-Fan für den Elysée-Palast

Große Überraschung im Rennen um die Präsidentschaftskandidatur der französischen Républicains: Mit 44,2 Prozent geht Franςois Fillon als Favorit in die Stichwahl am kommenden Sonntag. Weil Präsident Hollandes Sozialisten im Zustimmungstief verharren, gilt die Vorwahl der Bürgerlichen vielen als heimliche Präsidentschaftswahl: Der Sieger wird im Mai gegen Le Pen antreten – und wohl gewinnen.

Und wieder haben Meinungsforscher und Umfrageinstitute falsch gelegen. Monatelang prognostizierten alle Umfragen für die Vorwahl des bürgerlichen Lagers um Frankreichs Präsidentschaftskandidatur ein Rennen zwischen Ex-Präsident Nicolas Sarkozy und dem einstigen Premierminister Alain Juppé, mit klarem Vorsprung für Juppé. Jetzt haben vier Millionen Wähler einen dicken Strich durch die Umfrage-Rechnungen gemacht: Überraschungssieger wurde mit gut 44 Prozent der Stimmen der ehemalige Premierminister Franςois Fillon, sensationelle 16 Prozentpunkte vor Juppé, der auf 28 Prozent der Stimmen kam.

Sarkozy gescheitert

Sarkozy ist mit enttäuschenden knapp 21 Prozent aus dem Rennen um die Präsidentschaftskandidatur der Les Republicains ausgeschieden. Noch am Wahlabend hat er seine Niederlage eingeräumt: „Es ist mir nicht gelungen, eine Mehrheit der Wähler zu überzeugen.“ In der zweiten Wahlrunde am kommenden Sonntag wolle er für Fillon stimmen, sagt er. Die Erklärung kommt einer Wahlempfehlung an seine Wähler gleich und macht Fillon rein mathematisch zum praktisch unschlagbaren Favoriten – wenn nicht die Wähler wieder einen Strich durch die Rechnung machen.

Eine vorgezogene Präsidentschaftswahl?

Der Vorwahl der Républicains kommt besondere Bedeutung zu. Die Pariser Tageszeitung Le Monde hat sie schon vor Wochen zur vorgezogenen eigentlichen Präsidentschaftswahl erklärt. Denn Präsident Franςois Hollande befindet sich mit einstelligen Prozentzahlen im absoluten Zustimmungstief. Kaum jemand glaubt, dass er oder ein anderer sozialistischer Kandidat es im Mai 2017 in die zweite Runde der Präsidentschaftswahl schaffen könnte.

Der bürgerliche Kandidat, der im kommenden Mai in der zweiten Wahlrunde gegen Marine Le Pen antritt, wird Präsident, hofft das politische Paris.

Gleichzeitig gilt Marine Le Pen, die Chefin des rechtspopulistischen Front National, für die Stichwahl im Mai 2017 schon als gesetzt. Der bürgerliche Kandidat, der gegen sie antritt, wird Präsident, hofft das politische Paris. Das macht die Vorwahl der Républicains so wichtig. Le Monde hat ziemlich unverhohlen Wähler der Sozialisten dazu aufgerufen, sich mit einem Votum für Juppé – dem bürgerlichen Lieblingskandidaten der Linken – an der Vorwahl der Bürgerlichen zu beteiligen. Die Sozialisten sollten so verhindern, dass sie im Mai 2017 nur die Wahl zwischen Le Pen und Sarkozy hätten. Die mit vier Millionen Wählern unerwartet hohe Wahlbeteiligung ist ein Indiz dafür, dass solche Aufrufe ihre Wirkung nicht verfehlt haben.

Fillon: Kandidat des radikalen wirtschaftspolitischen Bruchs

Mit Fillon ist aber nun jener Kandidat zum Überraschungsfavoriten aufgestiegen, der Sarkozy politisch am nächsten steht. Kein Wunder: Von 2007 bis 2012 war er Sarkozys einziger Premierminister. Der 62-jährige Fillon, der im Fernsehen auch schon einmal als Freund schneller Autos auftritt, präsentierte sich im Wahlkampf als rigoroser Wirtschaftsreformer. Seit er im April seine Kandidatur erklärt hat – „egal, was passiert“ – predigt er die wirtschaftspolitische „rupture“ , den radikalen Bruch: „Ich bin Kandidat, um das Projekt von Bruch und Fortschritt voranzutragen mit nur einem großen Ziel: Frankreich innerhalb von zehn Jahren zu Europas Nummer Eins zu machen.“ Fillon ist ein Wirtschaftsliberaler alter Schule und hat sich als entschiedener Anhänger der britischen Reform-Premierministerin Margaret Thatcher geoutet. Seinem Land will er eine – für französische Verhältnisse – radikale Kur verschreiben: Rente ab 65, Abschaffung der 35-Stunden-Woche. In fünf Jahren will er 110 Milliarden Euro an öffentlichen Ausgaben einsparen und 500.000 Beamtenstellen wegfallen lassen. Von den Kandidaten der Républicains vertritt Fillon das radikalste Wirtschaftsprogramm, schreibt das bügerliche Pariser Blatt Le Figaro.

Ich bin Kandidat, um das Projekt von Bruch und Fortschritt voranzutragen mit nur einem großen Ziel: Frankreich innerhalb von zehn Jahren zu Europas Nummer Eins zu machen.

François Fillon

In der Außenpolitik gilt Fillon, der 1981 mit 27 Jahren als damals jüngster Abgeordneter für das westfranzösische Département Sarthe ins Parlament einzog, als vergleichsweise russlandfreundlich. Er plädiert für ein Bündnis mit Moskau gegen den Islamischen Staat. Fillon: „Dass Moskau in der Region seine eigenen Interessen hat, ist offensichtlich – aber wer hat die im Mittleren Osten nicht?” Diktator Assad hält er in Syrien für das kleinere Übel gegenüber den radikalen Islamisten. Fillon erinnert auch daran, dass Syriens christliche Minderheit ebenfalls Assad zuneigt und nicht von der sunnitischen Mehrheit regiert werden möchte.

Es gibt kein religiöses Problem in Frankreich. Es gibt ein Problem, das mit dem Islam zu tun hat.

François Fillon

Zuhause vertritt Fillon katholisch-konservative Werte. Das umstrittene Gesetz über die „marriage pour tous“ – die Ehe für alle –  will er korrigieren: Das Adoptionsrecht für homosexuelle Ehepaare soll fallen. Ohne Furcht vor politisch korrekten Tabus warnt Fillon vor der Gefahr eines totalitären Islam: „Es gibt kein religiöses Problem in Frankreich. Es gibt ein Problem, das mit dem Islam zu tun hat.” In seinem kürzlich erschienenen kleinen Band „Den totalitären Islam besiegen” warnt er, „dass die blutige Invasion des Islamismus in unser Alltagsleben einen Dritten Weltkrieg ankündigen könnte”.

Juppé: Große Verdienste um Bordeaux

Auch Fillons verbliebener Konkurrent Juppé ist Karrierepolitiker durch und durch. Der 71-Jährige gilt wahlweise als langweilig oder schroff-autoritär – und führt trotzdem regelmäßig Ranglisten der beliebtesten Politiker Frankreichs an. Im Vorwahlkampf positionierte er sich als Versöhner, der auch die Mitte der Gesellschaft erreichen kann. „Über die Jahre hat er schließlich einem deutschen Christdemokraten geähnelt“, schreibt Le Monde. Auch Linke, die ihrem eigenen Lager keine große Chance mehr ausrechnen, hoffen auf ihn als bevorzugtes Bollwerk gegen einen Wahlsieg der Rechtspopulistin Marine Le Pen. Genau darum löst er bei der konservativen Basis weniger Begeisterung aus – wohl ein Grund, warum er nun aus der Rolle des haushohen Favoriten für die konservative Präsidentschaftskandidatur abstürzte.

Linke, die ihrem eigenen Lager keine große Chance mehr ausrechnen, hoffen auf Juppé als ihr bevorzugtes Bollwerk gegen einen Wahlsieg der Rechtspopulistin Marine Le Pen.

Politisch geprägt wurde der aus einfachen Verhältnissen stammende Juppé vor allem von Ex-Präsident Jacques Chirac. Unter ihm war er unter anderem Premierminister (1995-1997) und Außenminister (1993-1995). Im Kampf um Chiracs Nachfolge als Führungsfigur der Konservativen unterlag er allerdings Nicolas Sarkozy. Dieser ernannte Juppé 2011 zum zweiten Mal zum Außenminister.

Bordeaux − Alain Juppés Visitenkarte.

Neue Zürcher Zeitung

2004 hatte Juppé die politische Szene verlassen müssen, nachdem er im Zusammenhang mit einer Parteispendenaffäre zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden war. Derzeit ist der am 15. August 1945 im südwestfranzösischen Mont-de-Marsan geborene Literaturliebhaber Bürgermeister von Bordeaux. Von „Alain Juppés Visitenkarte“ schreibt die Neue Zürcher Zeitung mit Blick auf die blühende Hafensatdt an der Garonne. Bürgermeister Juppé hat sich dort seit den 90er Jahren große Verdienste erworben: Bordeaux strahlt und boomt und gilt den Franzosen heute als schönste Stadt ihres an schönen Städten so reichen Landes. (dpa/BK/H.M.)