Mini-Gipfel auf Ventotene
Wie geht es weiter mit Europa in der Krise? Auf der Insel Ventotene, unweit Neapel, sind Bundeskanzlerin Angela Merkel, Frankreichs Präsident Francois Hollande und Italiens Premierminister Matteo Renzi zum Mini-Gipfel zusammen gekommen. Es ging um die Folgen des Brexit, Wirtschaftsfragen, die wieder eskalierende Migrantenkrise und um die Zukunft Europas.
Europa in der Krise

Mini-Gipfel auf Ventotene

Wie geht es weiter mit Europa in der Krise? Auf der Insel Ventotene, unweit Neapel, sind Bundeskanzlerin Angela Merkel, Frankreichs Präsident Francois Hollande und Italiens Premierminister Matteo Renzi zum Mini-Gipfel zusammen gekommen. Es ging um die Folgen des Brexit, Wirtschaftsfragen, die wieder eskalierende Migrantenkrise und um die Zukunft Europas.

Bundeskanzlerin Angela Merkel beriet mit dem französischen Präsidenten François Hollande und Italiens Regierungschef Matteo Renzi über die Zukunft Europas. Bei dem Dreiergipfel auf der italienischen Insel Ventotene und auf einem davor ankernden italienischen Flugzeugträger wollten die drei einen Weg aus der Krise nach dem Brexit-Votum finden. Das Treffen in Italien war eine Fortsetzung der Gespräche, die im gleichen Format auf Einladung Merkels schon Ende Juni − unmittelbar nach der Brexit-Entscheidung − in Berlin geführt wurden. Ziel ist es, einen gemeinsamen Ansatz der verbleibenden 27 EU-Staaten zu suchen.

Das Wort Sparpolitik hat in Europa nur Schaden angerichtet.

Italiens Premierminister Matteo Renzi

Merkel und Hollande seien in Italien, um die Europäische Union „von Grund auf” neu zu beleben, sagte Renzi am Vorabend des Treffens. „Das braucht sie.” Der Mini-Gipfel in Italien dient außerdem der Vorbereitung eines informellen Gipfels der 27 EU-Mitgliedstaaten − ohne Großbritannien −, der am 16. September in Bratislava stattfinden soll. Auf der Agenda von Ventotene standen Gespräche über die Flüchtlingskrise und über die Verteidigungs- und Sicherheitspolitik nach den Terroranschlägen in Frankreich und Deutschland. Außerdem ist es um wirtschaftliche Fragen gegangen. Vor allem Italien ist hoch verschuldet und versucht in der Bankenkrise, mehr Flexibilität von Brüssel herauszuschlagen. Auch Frankreich plagt eine lahmende Wirtschaft. „Das Wort Sparpolitik hat in Europa nur Schaden angerichtet”, sagte Renzi, der für mehr Investitionen – und damit Schulden – plädiert.

Rom und Paris haben noch nie gespart

Der italienische Premier unterschlägt bei seiner Forderung allerdings, dass bislang weder sein Land noch Frankreich je angefangen haben, zu sparen: Beide Länder haben ihre Staatsausgaben noch nie gesenkt − abgesehen von einem kurzen, kleinen Einschnitt im Krisenjahr 2008 nur im Falle Italiens −, sondern stets erhöht. Für beide Länder wird ihre stetig steigende Staatsverschuldung zur wachsenden Gefahr: Italiens Verschuldung beläuft sich auf über 130 Prozent der Wirtschaftskraft des Landes, Frankreichs Schuldenlast nähert sich der 100-Prozent-Marke.

Sollten die Zinsen wieder steigen, droht Paris eine ernste Haushaltskrise.

Nur dank der Politik der Europäischen Zentralbank und der darum extrem niedrigen Zinsen bleiben die Staatsschulden für Rom und Paris tragfähig: Italien zahlt derzeit auf zehnjährige Anleihen 1,12 Prozent Zinsen, Frankreich nur 0,19 Prozent. Zur Erinnerung: Kurz nach seiner Wahl im Jahr 2012 klagte Frankreichs Staatspräsident Hollande darüber, dass Frankreich jedes Jahr 50 Milliarden Euro zahlen müsse − nur für Schuldzinsen. Das muss Paris jetzt nicht mehr. Mehr Geld in der Staatskasse ist darum aber nicht. Im Gegenteil: Seit 2012 ist Frankreichs Staatsverschuldung um knapp zehn Prozentpunkte von 89,4 auf heute etwa 98,2 Prozent gewachsen. Sollten die Zinsen wieder steigen, droht Paris eine ernste Haushaltskrise.

Bislang hat sich die Bundesregierung gegen Versuche ausgesprochen, die EU-Haushaltsregeln aufzuweichen oder aufzugeben. Auf Renzis Drängen auf größere Flexibilität bei den europäischen Haushaltsregeln angesprochen, führte unmittelbar vor dem Dreier-Gipfel auf Ventotene Regierungssprecher Steffen Seibert aus, dass aus Berliner Sicht „eine glaubwürdige Durchführung und Einhaltung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes sehr wichtig” sei. Daran habe sich nichts geändert.

Wer übernimmt Großbritanniens Netto-Beitrag zum EU-Haushalt?

Ein anderes Wirtschaftsthema liefert die britische Entscheidung zum Ausstieg aus der EU. Im vergangenen Jahr trug London mit 11,5 Milliarden Euro die zweitgrößte Nettozahlung zum Haushalt der Europäischen Union bei − nach Deutschland, das mit 14,3 Milliarden Euro wie immer größter Nettozahler war. Die große Frage ist nun: Wie soll nach dem Brexit der Beitrag des zweitgrößten EU-Nettozahlers auf die dann verbliebenen nur elf Nettozahler umgelegt werden? Sicher ist nur: Rom und Paris wollen − und können − kaum weitere Milliarden-Lasten übernehmen (Der Bayernkurier berichtete).

Migrantenstrom aus Afrika steigt wieder

Ventotene liegt im Tyrrhenischen Meer, schräg gegenüber Neapel, gehört allerdings zur Region Latium. Die knapp zwei Quadratkilometer und 391 Einwohner große Insel ist ein symbolischer Ort. Während des Zweiten Weltkriegs wurden hier politische Widersacher gefangen gehalten. So hat hier der Antifaschist Altiero Spinelli mit Gleichgesinnten in Haft das „Manifest von Ventotene” verfasst, in dem sie für ein vereintes Europa plädieren. Sie gelten damit als Vordenker der EU. Merkel, Hollande und Renzi wollen auf der Insel Spinellis Grab besuchen.

Über die zentrale Mittelmeerroute haben in diesem Jahr schon fast 100.000 zumeist schwarzafrikanische Migranten Italien erreicht.

Anschließend ist das Trio auf dem Flugzeugträger „Garibaldi” zu Gast. Das Schiff − einer von zwei Flugzeugträgern der italienischen Marine − ist das Flaggschiff der EU-Operation Sophia, die unter anderem Menschenschmuggler im Mittelmeer aufspüren soll. An der Operation, die aber in erster Linie afrikanische Migranten aus Gewässern vor der libyschen Küste aufnimmt und nach Sizilien bringt, ist auch die deutsche Bundeswehr beteiligt. Der Besuch auf dem italienischen Flugzeugträger hat den Teilnehmern des Mini-Gipfels Gelegenheit gegeben zur Befassung mit der Migrantenkrise: Denn der Migrantenzustrom steigt wieder deutlich. Über die zentrale Mittelmeerroute haben in diesem Jahr schon fast 100.000 zumeist schwarzafrikanische Migranten Italien erreicht. (dpa/BK)