„Das freundliche Gesicht der Scharia“
Der Burkini ist keine Mode, sondern „die Übersetzung eines politischen Projekts und einer Gegengesellschaft, die auf der Versklavung der Frau gründet“. So sieht es jedenfalls Frankreichs Premierminister Manuel Valls. Burkini-Verbote in französischen Badeorten haben eine lebhafte politische Debatte entfacht – über einen Islam, der Valls zufolge mit französischen Werten noch nicht vereinbar ist.
Frankreich

„Das freundliche Gesicht der Scharia“

Der Burkini ist keine Mode, sondern „die Übersetzung eines politischen Projekts und einer Gegengesellschaft, die auf der Versklavung der Frau gründet“. So sieht es jedenfalls Frankreichs Premierminister Manuel Valls. Burkini-Verbote in französischen Badeorten haben eine lebhafte politische Debatte entfacht – über einen Islam, der Valls zufolge mit französischen Werten noch nicht vereinbar ist.

Klare Sprache von Frankreichs Ministerpräsident Manuell Valls: „Der Burkini ist kein neuer Badeanzug oder eine Mode. Er ist die Übersetzung eines politischen Projektes, einer Gegengesellschaft, die auf der Versklavung der Frau gründet.“ Mit den deutlichen Worten in der südostfranzösischen Regionalzeitung La Provence (Auflage 180.000) stellt sich der Premier hinter mehrere Bürgermeister, die in den vergangenen vierzehn Tagen per Verordnung das Tragen des Burkini genannten Kopf-bis-Fuß-Badeanzugs an den Stränden und in den Schwimmbädern ihrer Kommunen verboten haben. Valls: „Ich verstehe die Bürgermeister, die in einer Zeit der Spannung reagieren, in dem sie nach Lösungen suchen, um Störungen der öffentlichen Ordnung zu vermeiden.“ Valls unterstützt darum alle Bürgermeister, die solche Verordnungen erlassen haben, „um das Zusammenleben zu erleichtern.“

Gegenüber Provokationen muss sich die Republik verteidigen.

Premierminister Manuel Valls

Damit nicht genug. Valls nutzte das Burkini-Thema, um, wie kürzlich schon im Parlament, auf die Bedrohung durch salafistische Bestrebungen im Lande hinzuweisen. Der Burkini, so der Premier, sei das Instrument einer „archaischen Vision“ des Islam. Man könne ihn nicht unter Hinweis auf Freiheitsrechte verteidigen. Valls: „Aber das ist nur die Freiheit, Frauen zu unterjochen.“ Es gebe da die Vorstellung, so Valls weiter, dass Frauen von Natur aus unzüchtig und unrein und darum vollständig verhüllt sein müssten. Valls: „Gegenüber Provokationen muss sich die Republik verteidigen.“ Unterstützung erhält Valls vom Ex-Premier und bürgerlichen Bewerber um die Präsidentschaftskandidatur Franςois Fillon. Der wirft Leuten, die das Tragen des  Burkini mit Verweis auf Freiheitsrechte verteidigen wollen, sophistische Schein-Argumentation vor: „Die berufen sich auf unsere Prinzipien der Form nach, um ihren Geist zu verraten.”

75 Prozent für ein Gesetz gegen den Burkini, 25 Prozent dagegen.

Ergebnis der Figaro-Umfrage vom 18. August

Ein nationales Gesetz gegen den Burkini lehnt Valls allerdings ausdrücklich ab: „Ich glaube nicht, dass es notwendig ist, in der Angelegenheit gesetzgeberisch tätig zu werden: Eine allgemeine Vorschriftenreglung für die Kleiderordnung kann nicht die Lösung sein.” Ob das in Wahlkampfzeiten sein letztes Wort ist, muss sich zeigen. Denn schon fordert etwa die bürgerliche Präsidentin der Region Ile-de-France, Valérie Pévresse, ein Gesetz gegen den Burkini, um die Bürgermeister von Badeorten oder Orten mit Badeanlagen mit dem Problem nicht allein zu lassen: „Für alle öffentlichen Strände und öffentlichen Badeanlagen müssen die gleichen Regeln gelten und die gleiche Verpflichtung zur Achtung der öffentlichen Ordnung, der Würde der Person sowie der Regeln der Hygiene und der Sicherheit.” Als halbwegs repräsentativer Ausdruck der allgemeinen Stimmung dazu darf das Ergebnis der täglichen Figaro-Umfrage vom 19. August gelten: „Braucht es ein Gesetz, um den Burkini zu verbieten?”, hatte das Blatt am Vortag seine Leser gefragt. Die Antwort fiel deutlich aus: Von 40.230 Lesern, die sich an der Online-Abstimmung beteiligten, stimmten 75 Prozent für ein Gesetz gegen den Burkini, 25 Prozent dagegen.“

Burkini-Tag nahe Marseille

Ausgangspunkt der Burkini-Debatte war Anfang August ein Vorfall im Raum Marseille gewesen. Im Städtchen Penne-Mirabeau, zehn Kilometer vom Flughafen Marseille entfernt, hatte eine Frauen-Selbsthilfeorganisation ein Spaßbad mieten wollen, um dort im September einen Burkini-Badetag zu veranstalten – nur für Frauen im Burkini und für Kinder und Buben unter zehn Jahren. Als das bekannt wurde, kaum 14 Tage nach dem islamistischen Massenmord in Nizza, war die Empörung groß. Bürgermeister Michel Amiel, ein ehemaliger Sozialist, kündigte an, den geplanten Burkini-Tag per Verordnung als potentielle Störung der öffentlichen Ordnung zu untersagen. Amiel: „Ich halte den Event für eine Provokation, die wir im aktuellen Zusammenhang nicht brauchen. Das ist gesellschaftliche Spaltung durch und durch.“

Stop der Tyrannei der Minderheiten, des militanten Islam und der Preisgabe unserer Geschichte, unserer Kultur und unserer Identität!

Le Figaro

Die Debatte erhitzte sich. Das Spaßbad war nicht öffentlich, sondern Eigentum eines Privatunternehmens. Konnte da der Burkini-Tag überhaupt verboten werden? Andere Lokalpolitiker schalteten sich ein. Und die Presse. „Stop“ betitelte die Pariser Tageszeitung Le Figaro den prominenten Kommentar auf Seite Eins und rief auf zum Widerstand „gegen die schleichende Islamisierung unseres Landes“. Solche Ereignisse häuften sich, so das Blatt, und daran dürfe man sich nicht gewöhnen: „Stop der Tyrannei der Minderheiten, des militanten Islam und der Preisgabe unserer Geschichte, unserer Kultur und unserer Identität.“ Wohl eher unabsichtlich stellte sogar das linksliberale Konkurrenzblatt Le Monde, das eher den Gegnern eines Verbots zuneigt, den aktuellen Terror-Zusammenhang her: Am 6. August brachte es direkt neben dem vierspaltigen Artikel zur Marseiller Burkini-Aufregung als kleine Meldung die Erhöhung der Todesbilanz von Nizza auf 85. Zwei Tage später wurde der Burkini-Tag abgesagt. Der Druck war zu groß geworden: Der Spaßbad-Eigner verzichtete darauf, sein Gelände an jene Frauenhilfsgruppe zu vermieten.

Burkini-Verbot in Cannes

Bei der Marseiller Debatte blieb es nicht. Schon am 28. Juli hatte der Bürgermeister von Cannes eine Verordnung erlassen, die den Burkini verbot, ohne ihn allerdings ausdrücklich zu nennen. Der Verordnung zufolge erhalten alle Personen Strandverbot, die nicht „korrekte Kleidung“ tragen, „die die guten Sitten und die religiöse Neutralität respektieren und den Regeln der Hygiene und der Sicherheit der Badegäste entsprechen“. Die Verordnung war zunächst nicht groß publiziert worden. Erst Tage später erfuhr ein muslimisches „Kollektiv gegen die Islamophobie in Frankreich“ (CCIF) von der Verordnung und wollte per einstweiliger Verfügung dagegen vorgehen. Vergeblich. Das zuständige Verwaltungsgericht von Nizza sah weder Grund zur Eile noch in der Verfügung des Bürgermeisters von Cannes einen „gravierenden und illegalen Eingriff in ein fundamentales Freiheitsrecht“. Im Gegenteil. Das Verwaltungsgericht bestätigte dem Bürgermeister, dass „im Zusammenhang mit den jüngsten Attentaten, vor allem in Nizza“, die Maßnahme keineswegs unverhältnismäßig sei: „Das Tragen einer besonderen Kleidung, die nicht dem üblichen Badeanzug entspricht, kann in diesem Zusammenhang tatsächlich als ausschließlich religiöses Zeichen gedeutet werden.“ Inzwischen sind schon sechs Burkini-Trägerinnen an den Stränden von Cannes angehalten worden. Ihnen drohen Bußgelder.

Massenschlägerei in Sisco auf der Insel Korsika

Zuvor muss der Conseil d’Etat, das oberste Verwaltungsgericht in Paris, die Sache entscheiden, voraussichtlich am kommenden Freitag (26. August). Zumal weitere Bürgermeister nachgezogen sind, etwa in Nizza, Menton, Villeneuve-Loubet, Mandelieu-la-Napoule, Fréjus, Le Lavandou an der Côte d’Azur, in Leucate nahe Narbonne oder in Touquet und Oye-Plage, ganz im Nordwesten des Landes am Ärmelkanal. Im Strandstädtchen Sisco (1000 Einwohner), nahe Bastia auf der Insel Korsika, haben Burkinis und offenbar aggressives Verhalten arabischstämmiger Franzosen eine Massenschlägerei mit fünf Verletzten ausgelöst. Siscos sozialistischer Bürgermeister erließ daraufhin ebenfalls ein Burkini-Verbot.

Warum der Burkini unakzeptabel ist

Unterdessen hat der Bürgermeister von Cannes sein Verbot, das übrigens nur bis zum 31. August gilt, erklärt und präzisiert: „Ich habe diese Verordnung unter anderem darum erlassen, um im Rahmen des Ausnahmezustands die Sicherheit meiner Stadt zu garantieren.“ Niemand verbiete das Kopftuch, die Kippa oder das Kreuz. „Ich verbiete lediglich eine Uniform, die das Symbol des extremistischen Islamismus ist.“ Noch deutlicher wurde der konservative Abgeordnete und Bürgermeister von Villeneuve-Loubet. Für ihn ist der Burkini „das freundliche Gesicht der Scharia und eine Methode, um den öffentlichen Raum zu erobern für Leute, die uns eine andere Art von Gesellschaft aufzwingen wollen. Frauen, die da mitmachen, sind – bewusst oder nicht – Komplizen jener, die gegen uns Krieg führen.“ Ähnlich sieht es Franςois Copé, ehemaliger Vorsitzender der Sarkozy-Partei Les Républicains. „Wir müssen aufhören, dieses Thema zu verharmlosen“, so Copé. „Dahinter steht die Vorstellung von der dem Manne unterlegenen Frau, die versteckt oder unterworfen werden muss. Das ist die Vision des Salafismus, und der ist der Mutterboden des Dschihadismus.“

Alle diese Formen der Absonderung nähren den Aufbau einer Form von Gegengesellschaft, die sich gegen das Abendland und seine Werte auflehnt, und dem Terrorismus den Boden bereitet.

Le Monde

„Warum der Burkini unakzeptabel ist“, erklärt in der dem Burkini-Verbot eher fernstehenden Tageszeitung Le Monde der in Marokko geborene französische Soziologe Philippe d’Iribarne: „Weil es nicht den ganzen Islam verkörpert, sondern den Willen, den Körper zu beherrschen, ist dieses Kleidungsstück Ausdruck der Ablehnung der Gleichheit von Mann und Frau und stört den sozialen Frieden.“ Die islamische Kleidung − und da meint d’Iribarne keineswegs nur den Burkini − sei für eine auf die Gleichheit von Frauen und Männern verpflichteten Gesellschaft nur schwer erträglich: „Alle diese Formen der Absonderung nähren den Aufbau einer Form von Gegengesellschaft, die sich gegen das Abendland und seine Werte auflehnt, und für die Radikalen dem Terrorismus den Boden bereitet.“ Auf die unterschiedlichen persönlichen Motive der Burka- und Burkini-Trägerinnen käme es dabei gar nicht an, so d’Iribarne: Entscheidend sei, dass die Burkini-Trägerinnen willentlich oder unwillentlich dazu beitrügen, eine soziale Norm zu erzwingen.

Aufschlussreich ist d’Iribarnes Erklärung für die wachsenden französischen Empfindlichkeiten, die in der Burkini-Debatte zum Ausdruck kommen: Die Feindseligkeit gegenüber islamischer Kleidung sei Feindseligkeit gegenüber einem radikal-islamischen Gesellschaftsentwurf, der in der Tat vielfach Probleme aufwerfe.

Valls: Muslime müssen religiöse Zurückhaltung und Diskretion üben

Die Burkini-Debatte vermischt sich längst mit der viel größeren Diskussion über die Reform des Islam in Frankreich zu einem „Islam de France“ – Islam von Frankreich –, die Premierminister Valls nach dem Terrorangriff von Nizza losgetreten hat. Sie wird im Wahlkampf um die Präsidentschaft 2017 noch eine große Rolle spielen. Valls hat jetzt schon einmal die französischen Muslime aufgerufen, zu einem in Frankreich üblichen Maß an religiöser Zurückhaltung und Diskretion zu finden: „Wenn wir einen Islam de France bauen wollen, der mit unseren Werten, unseren Freiheiten und der Gleichheit von Mann und Frau vereinbar ist, dann muss der Islam in der Bekundung seiner Überzeugung die gleiche Diskretion an den Tag legen, wie auch alle anderen Religionen es tun. “

Wenn wir einen Islam de France bauen wollen, der mit unseren Werten, unseren Freiheiten und der Gleichheit von Mann und Frau vereinbar ist, dann muss der Islam in der Bekundung seiner Überzeugung die gleiche Diskretion an den Tag legen, wie auch alle anderen Religionen es tun.

Manuel Valls

Bemerkenswert: Valls sagt damit, dass es einen solchen Islam, der mit den französischen Werten vereinbar ist, derzeit in Frankreich nicht gibt. Valls weiter: „Im öffentlichen Raum gebietet sich diese Diskretion für alle gleichermaßen, mit den gleichen Rechten und den gleichen Pflichten.“ Auch Valls zieht die Verbindung zum aktuellen islamischen Terrorismus: „In dieser sehr besonderen Zeit, in der wir Terroranschläge im Namen eines fehlgeleiteten Islam erleiden müssen, muss jeder Bürger seiner Verantwortung gerecht werden.“