Die Debatte um ein Burka-Verbot ist weiterhin in vollem Gange. (Bild: Imago/Ahmad Sidique/Xinhua)
Migrantenkrise

Mehr Migranten aus Afghanistan

Die Europäische Union bemüht sich um die Rückführung von Migranten aus Afghanistan. Doch ihre Zahl steigt. Schon die Hälfte aller unbegleiteten minderjährigen Migranten in Europa sind Afghanen. In Afghanistan wächst der Auswanderungsdruck. Problematisch: Nur 38 Prozent der Afghanen können schreiben – und fast alle vertreten einen mit westlichen Wertvorstellungen unvereinbaren Scharia-Islam.

Das klingt wie eine gute Nachricht: In den ersten sechs Monaten des Jahres sollen 4000 im vergangenen Jahr nach Europa eingewanderte afghanische Migranten zur Rückkehr an den Hindukusch bewegt worden sein. Das berichtete kürzlich die Frankfurter Allgemeine Zeitung. 2305 der freiwilligen Rückkehrer sollen aus Deutschland kommen. Für die Rückkehr sollen die Afghanen zwischen 700 (Deutschland) und 5600 (Norwegen) Euro erhalten haben. Die EU plane sogar, hieß es, in Kabul die Rückkehr von 80.000 bis 100.000 Afghanen zu erwirken – innerhalb eines allerdings unbestimmten Zeitraumes.

2016: Schon über 60.000 Migranten aus Afghanistan

Wer sich nun zu einem Seufzer der Erleichterung hinreißen lässt, muss sich auf Ernüchterung gefasst machen. Denn die Zahl der Migranten aus Afghanistan in Europa oder Deutschland sinkt nicht, sondern sie steigt. Für das Jahr 2015 meldet das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BaMF) allein für Deutschland 31.400 Asyl-Erstanträge von Afghanen. Tendenz steigend: Unter Berufung auf Zahlen des Bundesinnenministeriums schreibt die Landeszentrale für Politische Bildung Baden-Württemberg für die ersten fünf Monate des Jahres 2016 von 60.398 Asylbewerbern aus Afghanistan.

Seit dem Sommer 2015 habe ich zwischen 3500 und 4000 Migranten nach Europa geschleust.

Afghanischer Schleuser in Istanbul

Beunruhigend quer zu diesen jüngsten deutschen Zahlen liegen Meldungen aus dem vergangenen Jahr. Etwa 70.000 Afghanen seien bereits in Europa angekommen, meldete schon im vergangenen September die Internationale Organisation für Migration (IOM). Bis zu 100.000 Afghanen verließen derzeit ihre Heimat, wo die Reisepässe bereits knapp würden, berichtete zur gleichen Zeit Spiegel Online.

Dieser Tage schreibt die Pariser Tageszeitung Le Monde von offenbar zahlreichen afghanischen Migranten in der Türkei. Seit der Schließung der Balkanroute und seit dem Migranten-Abkommen zwischen der EU und Ankara sind sie sozusagen in der Türkei blockiert. Jetzt warten sie darauf, dass Ankara die Migrationsschleusen wieder öffnet, oder sie suchen illegale Wege nach Europa. Das Blatt zitiert einen von ihnen im Titel: „Wenn die Griechenlandroute sich öffnet, dann mache ich mich sofort wieder auf den Weg.“ Ein anderer junger afghanischer Le-Monde-Gesprächspartner betätigt sich seit zwei Jahren in Istanbul als Schleuser: „Seit dem Sommer 2015 habe ich zwischen 3500 und 4000 Migranten nach Europa geschleust.“ Stolze Bilanz eines einzigen Schleusers.

Afghanen stellen die Hälfte von 90.000 unbegleiteten minderjährigen Migranten, die 2015 Europa erreichten.

Eine beängstigende Steigerung ist auch bei sogenannten unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen aus Afghanistan zu verzeichnen: Seit 2008 haben 76.700 alleinreisende jugendliche Afghanen Europa erreicht. Das berichtete diesen Mai das Washingtoner Pew Research Center. Afghanen stellten damit 39 Prozent aller unbegleiteten minderjährigen Migranten. Auch bei ihnen steigen die Zahlen: Im Jahr 2015 waren dem Statistischen Bundesamt zufolge von fast 90.000 unbegleiteten minderjährigen Migranten, die in Europa ankamen, 51 Prozent Afghanen. Die Jugendlichen sollen vielköpfigen afghanischen Clans per Familienzusammenführung die Einwanderung nach Europa ermöglichen.

Millionen afghanische Migranten müssen Pakistan und Iran verlassen − und wollen nach Europa

Alles spricht dafür, dass der Trend anhält. Denn genau jetzt werden Millionen Afghanen, die sich zum Teil seit Jahrzehnten als Flüchtlinge in Afghanistans Nachbarländern Pakistan und Iran aufhalten, von den beiden Gastgeberländern zur Rückkehr genötigt und gezwungen. In Pakistan etwa sind rund 1,5 Millionen Afghanen als Flüchtlinge registriert. Beobachter sprechen von mindestens einer weiteren Million Afghanen, die ohne Papiere in Pakistan leben – seit Jahrzehnten. Weil pakistanische Taliban in Pakistan blutige Terroranschläge verüben, ist in Islamabads Nationalem Aktionsplan gegen den Terror von der Abschiebung aller Afghanen die Rede. Seit Anfang 2015 sollen schon etwa 240.000 Afghanen in ihre alte Heimat zurückgekehrt sein. Die Zahl der Rückkehrer steigt von Monat zu Monat, so die Internationale Organisation (IOM). Viele wollen nicht in Afghanistan bleiben, sondern weiter nach Europa.

Im Iran sind fast eine Million Afghanen als Flüchtlinge registriert. Dazu kommen zwei Millionen Afghanen, die illegal im Land leben, berichtete kürzlich die Londoner Tageszeitung The Guardian. Berichten zufolge werden auch aus dem Iran derzeit sehr viele afghanische Migranten deportiert. Die New York Times schrieb Ende Juli von Kolonnen von mindestens 30 Bussen voller Afghanen, die mehrmals die Woche aus dem Iran kommend einen Grenzübergang zur afghanischen Provinz Herat anfahren.

Terror gegen die schiitische Minderheit der Hazara

Dazu kommt die immer blutigere Verfolgung der afghanischen Hazaras – eine persisch sprechende schiitische Minderheit in Zentral-Afghanistan – durch sunnitische Taliban, Al-Kaida und jetzt auch durch Terroristen des Islamischen Staates. Offenbar mit Erfolg rekrutieren die Iraner im eigenen Land, aber auch in Afghanistan, schiitische Hazara für ihren Krieg in Syrien auf der Seite von Diktator Bashar Assad. Iranischen Staatsmedien zufolge sollen schon 20.000 Afghanen im syrischen Bürgerkrieg kämpfen, berichtet The Guardian. Angeblich erhalten die afghanischen Syrien-Kämpfer von Teheran einen monatlichen Sold von 500 Dollar (The New York Times) und die Aussicht auf iranische Staatsangehörigkeit für sich und ihre Familien (The Guardian).

Syriens Bürgerkrieg hat Afghanistan erreicht. Das verheißt für die Europäer noch mehr Migranten.

Mit umso größerem Hass verfolgen nun sunnitische Terroristen in Afghanistan und Pakistan die schiitische Minderheit der Hazara. Kürzlich verübten Terroristen des Islamischen Staates einen Selbstmordanschlag auf eine Hazara-Demonstration in Kabul: 80 Tote. „Wenn sie nicht aufhören, nach Syrien zu gehen und sich zu Sklaven des Iran zu machen, dann werden wir solche Anschläge definitiv fortsetzen“, erklärte der I.S.-Kommandeur Abu Omar Khorasani der Nachrichtenagentur Reuters per Telefon. Syriens Bürgerkrieg hat Afghanistan erreicht. Das verheißt dort wachsenden konfessionellen Konflikt, noch mehr Gewalt, noch mehr Unsicherheit – und für die Europäer noch mehr Migranten aus Afghanistan.

Vervierfachung der Bevölkerung seit 1950, weitere Verdoppelung bis 2050

Doch der wichtigste Migrationsgrund ist ein anderer, viel einfacherer: dramatischer demographischer Druck. 1950 zählte Afghanistan 7,4 Millionen Einwohner. Heute sind es über 32 Millionen. Interessant: Seit Beginn der US-Intervention am 7. Oktober 2001 und während vierzehn Jahren Krieg ist Afghanistans Bevölkerung um gut zehn Millionen gewachsen. Mit 5,33 Kindern pro Frau hat Afghanistan die elfthöchste Geburtenrate der Welt. Die Bevölkerung wächst jedes Jahr um 2,32 Prozent. Für das Jahr 2050 rechnet die UN in ihrer Weltbevölkerungsprojektion mit 56 Millionen Afghanen. Schon jetzt sind 64 Prozent der Afghanen jünger als 25 Jahren.

Analphabetentum und härtester Scharia-Islam

Die Europäer müssen sich klar machen, was da auf sie zukommt oder in großen Zahlen schon angekommen ist. Nur 38,2 Prozent der Afghanen − 24,2 Prozent der Frauen – können lesen und schreiben. Aber fast alle vertreten härtesten Scharia-Islam. Eine Umfrage des Washingtoner Pew Research Institutes zufolge wollen 99 Prozent der afghanischen Muslime das grausame islamische Scharia-Recht als offizielles Gesetz sehen. 81 Prozent dieser afghanischen Scharia-Muslime befürworten Amputationsstrafen und 79 Prozent die Todesstrafe für Religionsabtrünnige. 84 Prozent befürworten die Steinigung von Ehebrechern. Dazu kommt etwa bei den afghanischen – und pakistanischen − Paschtunen ein archaisches paschtunisches Stammesgesetz, in dem es vor allem um Ehre, Blutrache und Tod geht. Das erläuterte Ende Juli der Schweizer Afghanistan-Experte Albert A. Stahel in der Basler Zeitung: Paschtunische Wertvorstellungen sind mit denen des Westens praktisch unvereinbar.

Einer der vielen bestürzenden Umstände an dem Mord ist, dass die Mörder keine religiösen Extremisten waren, sondern ganz normale Afghanen.

BBC News

Erhellend für all dies war ein Vorfall vom März 2015 in Kabul: Ein Mob erschlug, steinigte und verbrannte eine junge Afghanin, weil sie angeblich einen Koran verbrannt habe. Die Polizei schaute zu, und prominente Imame lobten den Lynchmord. Das berichtete der britische Sender BBC News und machte eine Beobachtung: „Einer der vielen bestürzenden Umstände an dem Mord ist, dass die Mörder keine religiösen Extremisten waren, sondern ganz normale Afghanen.“